Bunkermentalitäten

Von Alexa Hennings · 29.10.2007
Die Zeiten der Bunker sind vorbei. Im August 2007 teilte das Bundesinnenministerium mit: Die 2000 Bunker und Schutzräume für Zivilschutz in Deutschland werden aufgegeben. Die Anlagen würden keinen Schutz vor den aktuellen Bedrohungslagen bilden, hieß es im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Bisher kostete der Unterhalt der schon seit vielen Jahren überflüssigen Schutzräume zwei Millionen Euro pro Jahr. Entwidmung und Verkauf ist angesagt.
Eine Ära geht endgültig zu Ende. Schon seit dem Ende des Kalten Krieges fristen die Bunker ein Schattendasein. Nicht alle Fachleute befürworten jedoch das Aus für die Bunker, ebenso wenig die Demontage der Sirenen auf den Hausdächern in den 90er Jahren - Gutachten zeigten später, dass die Sirenen immer noch die wirksamste und schnellste Warnung der Bevölkerung sind. Die Hansestadt Hamburg hat mit 78 Bunkern für 80.000 Menschen eine der höchsten "Bunkerdichten" in Deutschland. In einem Hochbunker richtet der ehemalige Zivilschutzbeauftragte der Stadt Peter Mohr gerade mit ehemaligen Kollegen ein "Zivilschutzmuseum" ein.

Film Zivilschutz 70er: "Sie können nach einem Atomwaffenangriff den Schutzraum nur nach Entwarnung verlassen - oder wenn sichere Nachricht eintrifft, dass eine gefährliche, radioaktive Strahlung nicht mehr vorhanden ist ..."

Straßenumfrage Hamburg:
"Der nächste Bunker, wo man im Notfall unterkommt? Weiß ich nicht, nein."
"Im Barmbecker Krankenhaus ist doch auch so ein Bunker, den sie jetzt bearbeiten."
"Ja, genau. Reißen sie den ab?"
"Der nächste Bunker? Da, wo der Dom ist. Wie heißt das da? Keine Ahnung!"
"Wo der Dom ist, wie heißt das noch mal? Heiligengeistfeld, genau. Wer kann denn da rein? Nur die, die rundherum wohnen. Hamburg hat jetzt fast 1,8 Millionen."

Hamburg-Barmbeck. Eine kleine, friedliche Einkaufsstraße. Ein junger Mann mit Ohr-Kopfhörern, eine Mutter mit Tochter und Eiswaffel, ein Ehepaar am Gemüsestand, zwei 80-Jährige beim Glas Ducksteiner im Straßencafé. Sie alle sind verblüfft über die Frage nach dem nächsten Bunker. Dabei ist er nur fünf Minuten von hier entfernt, in der Bramfelder Straße 96. Keiner weiß von ihm. Die meisten kennen nur einen der 78 Hamburger Bunker, den in der Nähe des Rummelplatzes, den man hier Dom nennt. Doch das ist im Zentrum der Stadt und der Bunker dort ist kein Schutzraum, sondern ein Mediencenter mit Disco. Aber hier, in der Nähe? Achselzucken.

Hamburger Innenbehörde - Abteilung Katastrophen-, Brand- und Bevölkerungsschutz. Im sechsten Stock sitzt Dr. Peer Rechenbach vor einer leicht veralteten Weltkarte, die mit kleinen Flammenzeichen übersät ist: die Brandherde terroristischer Bedrohungen nebst einer Übersicht über die Zusammensetzung selbstgebastelter Bomben. Herr Rechenbach hat sozusagen die Bedrohungslage von heute im Rücken.

"Die Bedeutung der Bunker hat in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen. Es sind Relikte, die aus dem Zweiten Weltkrieg übernommen wurden, die eine Rolle gespielt haben während des Kalten Krieges."

"Gesicht abwenden, Augen fest schließen, Kopf und Nackenbedecken. Im Auto sofort Motor abstellen. In den nächsten 90 Sekunden noch nicht aufstehen. Kriechend Deckung suchen vor der Druckwelle. Eine Wand, ein Hauseingang können das Leben retten ..."

"Die Bunker sind nicht alle funktionsfähig gewesen – sie wären aber über einen bestimmten Zeitraum aktivierbar gewesen. Wir müssen in Abhängigkeit zu einer Risikosituation die Bunker in zwei bis drei Monaten ertüchtigen. Diese Fragestellung wurde aber nicht diskutiert, denn die Bedrohungslage ist seit fast 20 Jahren oder noch länger nicht gegeben. Und deswegen hat es auch keine detaillierten Planungen gegeben, welchen Bunker man in welcher Zeit mit welchen Maßnahmen ertüchtigen kann."

Das "Leben nach dem Bunker" hat also eigentlich schon vor 20 Jahren begonnen. Die Kolosse waren zwar da, aber sie waren auch wieder nicht da - denn wenn es drei Monate dauert, sie einzurichten mit allem, was man für den Notfall braucht, dann sind sie im Grunde schon lange sinnlos. Dr. Rechenbach nickt. Er habe keinen Grund, die Entscheidung des Bundes, alle Zivilschutzbunker aufzugeben, anzuzweifeln.

"Ich brauch’ die Bunker nicht. Wir müssen uns anderen Risiken stellen, wir müssen andere Lösungen finden, um die Bürger sach- und fachgerecht zu schützen."

Die fünf Finger an der Hand des Katastrophenbeauftragten reichen aus, um die Risiken für Hamburg herzuzählen: Sturm, Starkregen, Sturmflut, industrielle und verkehrsbedingte Risiken. Terror? Auf Nachfrage. Gegen Bombenleger kann man nur im Vorfeld etwas tun. Giftgas?
"Bei einer Giftgaswolke schützt Sie schon ihre normale Wohnung, indem Sie Fenster und Türen schließen und die Klimaanlage ausschalten. Dafür brauchen wir keine speziell hergerichteten Bunker oder Schutzräume."

"In dieser Deckung so lange bleiben, bis die Druckwelle vorüber ist. Wenn die Kleidung Feuer gefangen hat, die Flammen durch Abwälzen ersticken. Bei Verdacht auf radioaktiven Staub Oberbekleidung abstreifen ..."

"Ein Angriff auf ein Kernkraftwerk ist im Wesentlichen durch vorbeugende Maßnahmen zu schützen. Hier hat es Risikostudien in Deutschland schon vor vielen Jahrzehnten gegeben, die auch solche Fälle beleuchtet und die entsprechende bauliche Vorkehrungen zum Schutz des Kernkraftwerkes herbeigeführt haben. Sodass wir die sichersten Kernkraftwerke weltweit haben, die auch solche Risiken zu einem gewissen Grad mit abdecken."

Unser Leben ist so sicher geworden, dass nach der Wende auch nahezu alle Sirenen von den Hausdächern abmontiert wurden. In Hamburg stehen sie nur noch entlang der Elbe, im Sturmflutgebiet. Seit 2001 gibt es ein "satellitengestütztes Kommunikationssystem des Bundes", das amtliche Warndurchsagen in Sekundenschnelle an die Radioanstalten gibt. Das soll die Sirenen – deren Unterhalt natürlich auch kostete - ersetzen. Wie man jedoch bei Stromausfall im Notfall sein Radio anbekommt? Herr Rechenbach würde sagen: Das liegt in der Selbstverantwortung jeden Bürgers. Ein Radio mit Batteriebetrieb – und stets frischen Batterien – gehöre eben in jeden Haushalt, genauso wie gewisse Vorräte an Essen und Trinken. Vermutlich bleibt diese Forderung genauso ungehört wie jene aus dem Zivilschutz-Lehrfilm aus den frühen 70er Jahren, einer Zeit, als die Bundesregierung beschloss, die vorhandenen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg neu auszustatten und auch Hausbesitzer aufforderte, Schutzräume in ihren Kellern einzurichten.

"Baut Schutzräume, schützt Haut und Atemwege im Ernstfall vor dem großen ABC! Der Staat unterstützt euch finanziell. Dieses ABC hätte die Menschheit besser nie gelernt. A steht für Atomwaffen, B für biologische Kampfmittel, hinter C verbergen sich chemische Kampfstoffe ..."

Peter Mohr steht im vierten Stock des Zivilschutzbunkers in der Bramfelder Straße 96. Ein siebenstöckiges grün-braunes, fensterloses, quaderförmiges Ungetüm, eingequetscht zwischen 50er-Jahre Wohnhäusern. Ein Plakat kündet von jener Zeit, als das Bauwerk in den frühen 70ern reaktiviert wurde.

"Hier entsteht im Auftrage des Bundes ein strahlensicherer Luftschutzraum für 1700 Personen. Bitte entschuldigen Sie die vorübergehenden Geräuschbelästigungen – wir halten sie so gering wie möglich. Diese Arbeiten können auch Ihrer Sicherheit dienen! Ja. Bloß, die Menschen haben das etwas anders interpretiert und haben dann umgehend gegen die Nutzbarmachung des Bunker demonstriert."

Noch heute scheint der ehemalige Zivilschutzbeauftragte der Stadt Hamburg, obgleich seit neun Monaten pensioniert, noch immer etwas sauer zu sein auf die Bevölkerung, die sich gar nicht schützen lassen wollte – was Herr Mohr bis heute nicht so recht verstehen kann.

"Wir haben hier die Klimaanlage. Wir haben das hier schon gehabt, dass wir mit 30 Leuten hier drin waren und hatten eine Luftfeuchtigkeit von 90 und 95 Prozent! Nur mit 30!"

Die 30 Leute im Bunker kommen derzeit leicht zusammen: Peter Mohr und seine Mitstreiter vom "Förderverein historischer Zivil- und Bevölkerungsschutz" richten gerade ein Museum ein. Am 2. November soll es eröffnet werden. Zivilschutz vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Ende des Kalten Krieges ist das Thema des Museums – eine ganz einmalige Sache, wie Peter Mohr mit leuchtenden Augen versichert.

"Europaweit! So ein Museum gibt es nirgendwo. Ich habe ein bisschen Probleme mit dem Begriff weltweit, aber mir ist auch aus Amerika oder Australien nicht bekannt, dass es dort ein vergleichbares Museum gibt."

Als das Museumsvorhaben bekannt wurde, vertrauten Sammler aus der ganzen Bundesrepublik ihre Schätze dem Verein an: Sammlungen aus dem Zweiten Weltkrieg, der Nachkriegszeit bis hin zur Zivilverteidigung der DDR. Vom Gasjäckchen für Kinder über Würfelspiele für den Luftschutzraum, Plakate, Filme, Luftschutzapotheke und Ausrüstungen der Hilfsdienste bis zur kompletten Einrichtung eines Bunkers, der in den 70er Jahren reaktiviert wurde.

"Dies ist der Bereich persönliche Ausstattung. Ich fang mal oben an: Die berühmten Damenbinden, die Wochenbettpackungen, hier die Windeln. Hier haben wir die Trainingsanzüge, die so erinnern an die 50er Jahre, als Sepp Herberger die Weltmeisterschaft gewann."

Das Nagelneue, das Unbenutzte all der Sachen ist schaurig und beruhigend zugleich. Schaurig, sich in die Zeit vor 30 Jahren zu versetzen, wo Ost und West mit einem Krieg rechneten - und beruhigend, dass alles ganz anders kam und all die Dinge schön in ihrer Originalverpackung bleiben konnten.

"Die größte aller Katastrophen, die wir kennen, ist der Krieg. Kann man ihn verhindern? Seit Jahren bemühen sich die Abrüstungskonferenzen, bis heute ergebnislos ... Dies ist eine Rakete. Dies ist eine Anti-Rakete. Und dies ist eine Anti-Anti-Rakete ..."

Der Kampf der Systeme, hier zeigt er sich im Kleinen. Materialisiert sich im Windelhöschen "Putzlilein", das, obgleich nie benutzt, dennoch so aussieht, als ob, weil das Material inzwischen brüchig wurde. Der Kampf der Systeme zeigt sich im Lehrbuch "Zivilverteidigung" an DDR-Schulen, am Plakat mit Läusen und Kartoffelkäfern, die die jeweils andere Seite vom Feind erwarteten. Beklemmend ist vieles, erheiternd manches andere – zumindest aus heutiger Sicht. Vor allem aus dem Bereich der Zivilschutz-Filmkunst.

"So, Maria, du gehst jetzt ins Haus und packst unser Notgepäck zusammen. Und der Opa soll im Hof die Fässer mit Wasser füllen und die Kannen im Schutzraum. Und du Karl, hilfst mir jetzt, die Sandsäcke vors Fenster bauen!"

"Wir haben etwa 700 Bundesfilme und 70 Filme aus der DDR. Ganz interessante Filme, 'Die Frau im Zivilschutz' oder 'Der Bauer im Bevölkerungsschutz', wie decke ich meine Kuh ab oder bringe sie in den Stall – es gibt tolle Sachen. Nein, wirklich – auch die Naivität, die man in den 50er Jahren hatte."

Natürlich ist auch Peter Mohr froh, dass diese Zeiten vorbei sind. Dass dem Kalten Krieg ein vereintes Europa folgte. Dass er als Zivilschutzbeauftragter der Stadt Hamburg immer nur Vorsorge treiben musste, Übungen hatte, und nie den Ernstfall erlebte, dass ein Bunker wirklich gebraucht wurde. Besonders traf es den Zivilschutzexperten, dass während seiner Amtszeit fast alle Hamburger Sirenen abgebaut wurden – bis auf die im Sturmflutgebiet der Elbe. Auch das war ein Beschluss aus Berlin, wie dieser jetzt mit den Bunkern.

"Jetzt ist der ewige Frieden ausgebrochen. So hieß es ja damals. Keine Bedrohung und nichts mehr. Aber dass man doch evt. Schutzvorkehrungen braucht und auch Alarmierungsmöglichkeiten haben muss, hat sich ja erst 2001 erwiesen. In den anderen europäischen Ländern werden Bunker gebaut. Ob ich die Schweiz nehme oder Schweden. Überall werden Bunker gebaut, es werden auch überall Sirenen gebaut. Nur bei uns hat man sie abgebaut. Und ansonsten hat man hier nur die Warnung über den Rundfunk. Und wenn Sie den Rundfunk nicht eingeschaltet haben, dann werden Sie nicht gewarnt. So einfach ist das."

Die Entsorgung eines Bunkers, umweltgerecht versteht sich, kostet etwa 450.000 Euro, gibt Peter Mohr zu bedenken. Andererseits müsste der Staat dann neue, geschützte Bereiche für die Bürger schaffen.

"Da müsste man wirklich noch mal überlegen, ob die Aufgabe des Bunkers der letzte Schrei ist. Ich habe von Fachleuten gehört, die wirklich wissen, wovon sie sprechen, dass es sein könnte, dass die Aufgabe aller Bunker, und es gibt ja 2000 in der Bundesrepublik, dass das mal die teuerste Sparmaßnahme des Bundes werden könnte."

Der herbstliche Frieden in der Barmbecker Einkaufsstraße ist ungetrübt. Wer denkt an einem Tag wie diesem schon an Gefahr und Bedrohung? Zumindest die Jungen eher weniger, oder, wie das 17-jährige Mädchen mit der Eiswaffel zeitgemäß formuliert:

"Nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass etwas passieren sollte. Zumindest nicht in dieser Art passieren sollte."

Der etwa zehn Jahre ältere junge Mann mit den Ohrkopfhörern, der gern in die Disco in den Heiligengeistfeld-Bunker geht, sieht das Ganze pragmatisch.

"Die Zeiten des Krieges haben sich geändert. Und den nuklearen Erstschlag kann ich auch mit einem Bunker nicht überleben, weil ich die zwei Millionen Jahre Halbwertzeit nicht überlebe! Da wird mir ein Bunker nicht weiter helfen. Da bin ich lieber froh, wenn ich nicht überlebe. Von daher finde ich es im Grunde richtig, dass es so gemacht wird."

Das Ehepaar vor dem Gemüsestand, Ende 50, wiegt mit den Köpfen.

"Kann nicht mal irgendwas sein und wir brauchen’s dann doch, um uns in Sicherheit zu bringen? Weiß nicht, ich würde schon was stehen lassen. Ich denke, es sollte schon eine Notunterkunft da sein.
Die muss auch funktionstüchtig sein, sonst nützt das alles nichts!
Ich denke schon, man sollte nicht überall `ne Disco reinsetzen."

Und schließlich die beiden 80-Jährigen vor ihrem Glas Ducksteiner. Sie Hamburgerin, er Dresdner, verheiratet seit 60 Jahren. Die beiden wissen es nicht nur, sie haben es erlebt, was Krieg und Bomben bedeuten. Sie finden es richtig, dass es noch Bunker gibt – obgleich sie nicht für alle ausreichen würden.

"Wenn das alles so wäre, wie die Menschen sich das vorstellen, Ruhe und Frieden, dann brauchen wir so was nicht. Aber ich glaube einfach nicht daran. Der Hass ist zu groß und eins kommt zum anderen.
Wenn was kommt, was ist das wohl? Das wird eine große Bombe sein."

Gott mag es verhüten, seufzt die alte Dame noch und nimmt einen Schluck Ducksteiner. Auch die Sirenen wurden abgebaut? Das verblüfft sie. In der Not – vom Schlimmsten einmal abgesehen, aber zum Beispiel bei einem Chemieunfall – finde sich ja vielleicht dann in dem einen oder anderen Hamburger Keller noch eine alte Handsirene, um die Leute zu warnen?

Im Zweifelsfall gibt es eine Handsirene im Museumsbunker Bramfelder Straße 96, fünfter Stock, links halten, zweites Regal. Peter Mohr hat den Schlüssel.