Bundeswehreinsatz im Innern?

"Ein Terroranschlag kann ein Katastrophenfall sein"

Soldaten der Bundeswehr üben im Spezialpionierbataillon 164 in Husum mit dem G36-Gewehr.
Sollen Bundeswehrsoldaten als Anti-Terrortruppe zum Einsatz kommen? Der Sicherheitsexperte Horst Teltschik hält das für sinnvoll. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Horst Teltschik im Gespräch mit Dieter Kassel · 23.11.2015
Soll die Bundeswehr als Anti-Terror-Truppe auch im Inland zum Einsatz kommen? Der Sicherheitsexperte Horst Teltschik hält das im Falle eines Anschlags für möglich. Wenig sinnvoll erscheinen ihm hingegen Bodentruppen gegen den IS.
Der Sicherheitsexperte und ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, kann sich im Fall eines Anschlags auch einen Anti-Terroreinsatz der Bundeswehr im Inland vorstellen. Im Deutschlandradio Kultur sagte Teltschik, der unter Helmut Kohl (CDU) dessen enger Berater im Bundeskanzleramt war:
"Das würde ich persönlich nicht ausschließen. Das hängt natürlich von der Größe eines solchen Anschlags und von der Gefährdung ab. Wir setzen ja die Bundeswehr auch in Katastrophenfällen schon ein – und ein Terroranschlag kann ein Katastrophenfall sein."
Bundeswehr bereits im Inland im Einsatz
Die Bundeswehr werde schon jetzt im Inland eingesetzt – etwa bei der Bewältigung des großen Flüchtlingswelle. "Ich glaube, dass die Bevölkerung einen solchen Einsatz sofort begrüßen würde", betonte Teltschik. Dessen ungeachtet habe er während seiner Arbeit im Bundeskanzleramt die Erfahrung gemacht, dass Politiker gut beraten seien, die Entscheidung zu treffen, die sie für richtig hielten und nicht der Stimmung in der Bevölkerung nachzugeben, "die ja leicht zu manipulieren ist".
Von einem Einsatz von Bundeswehr-Bodentruppen gegen den IS in Bürgerkriegsländern wie Syrien oder Mali dagegen hält Horst Teltschik nichts. Kein westlicher Staat denke derzeit darüber nach – eine Konzentration auf Lufteinsätze sei sinnvoll. Vorstellbar sei jedoch, die derzeit in Mali als Ausbilder eingesetzten Bundeswehrangehörigen auch als Kampftrupps mit einheimischen Soldaten zum Einsatz zu bringen. Auch vor dem Hintergrund solcher und anderer möglicher Einsätze in Bürgerkriegsgebieten müsse die Verteidigungsministerin gut überlegen, ob die Ausrüstung und Gesamtzahl der Bundeswehrsoldaten ausreichend seien.

Lesen Sie hier das gesamte Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Eines der Mittel im Kampf gegen den islamistischen Terror ist der militärische Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Für Frankreich, für die USA und für einige andere Staaten ist das eines Mittel der Wahl. Aber sollte es das möglicherweise auch für Deutschland sein, sollte sich die Bundeswehr an Kampfeinsätzen in Syrien beteiligen? Fragen dazu jetzt an den Sicherheitsexperten und ehemaligen Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik. Schönen guten Morgen, Herr Teltschik!
Horst Teltschik: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Kampfeinsätze der Bundeswehr in Syrien – muss man darüber jetzt zumindest nachdenken?
Teltschik: Die Bundeswehr ist ja schon vor Ort im Nordirak, wir liefern ja bereits Waffen an die sogenannten Peschmerga, an Kurden, die ja auch zum Einsatz kommen, wir trainieren Kurden. Aber darüber hinaus gibt es keinen einzigen Staat des Westens, der bereit ist, Bodentruppen in den Kampf zu schicken. Warum sollen es jetzt die Deutschen tun? Von daher konzentrieren sich alle, die vor Ort im Kampfeinsatz sind, auf Lufteinsätze. Und wenn Sie mal sehen, wie viele da schon unterwegs sind, dann gibt es keinen Sinn, dass auch noch deutsche Kampfflugzeuge sich beteiligen.
Kassel: Aber ist das nicht wieder – Sie haben ja die Lieferungen an die kurdischen Peschmerga erwähnt, Herr Teltschik. Ist das nicht wieder dieses "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass"? Wir liefern anderen Waffen, damit die für uns kämpfen, aber selber wollen wir nicht.
Teltschik: Das ist eine berechtigte Frage. Das betrifft ja nicht nur die Region Syrien, das betrifft Somalia in Afrika. Wir sind ja insgesamt weltweit, so weit ich weiß, an 15 Orten unterwegs. Und man kann sich schon die Frage stellen, ob nicht die Deutschen, die Franzosen, die Europäer wie die Amerikaner, die also Kurden oder Syrer oder Afrikaner ausbilden, nicht auch bereit sind, zumindest Kampftrupps mit einzusetzen, wenn es zu Situationen kommt wie jetzt die Besetzung des Hotels in Mali, in dem sogar deutsche Bürger waren.
Kassel: Aber wenn wir gerade über Mali sprechen, Herr Teltschik, wenn ich da richtig informiert bin, sind da so etwa 20 Bundeswehrangehörige im Einsatz, das sind mehr oder weniger Ausbilder, Trainer. Würden Sie da ernsthaft sagen, das soll man ausweiten, ganz konkret zum Beispiel in diesem Land?
Teltschik: Es sind insgesamt 200 Bundeswehrangehörige in Mali, und die Bundesverteidigungsministerin von der Leyen überlegt ja, ob sie dieses Kontingent erhöht. Und da könnte ich mir schon vorstellen, dass man von diesen 200 oder am Ende vielleicht 500 – ich weiß nicht, wie viele vorgesehen sind –, auch Kampftrupps dann in Notfällen mit den Auszubildenden Bürgern vor Ort, also mit den Soldaten von Mali mit einsetzt, wenn es wirklich notwendig ist. Wir haben das ja auch schon hinter uns gebracht auf dem Balkan.
Irgendwann ist die Belastungsrenze erreicht
Kassel: Aber ich stelle mir auch die Frage, an 15 Orten ist die Bundeswehr im Einsatz, das sind unterschiedliche Einsätze, auch unterschiedlich große Kontingente. Aber auf eines können wir uns, glaube ich, doch einigen, diese 15 Orte, das ist noch nicht die Gesamtzahl der Orte auf der Welt, wo es Konflikte gibt. Wie einsatzfähig ist denn die Bundeswehr? Ist da nicht einfach irgendwann schlicht eine Belastungsgrenze erreicht?
Teltschik: Ja, das ist berechtigt. Das war ja die ständige Diskussion in Afghanistan. Wir sind ja seit über zehn Jahren in Afghanistan unterwegs, und seit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist immer die Diskussion gewesen, sind sie entsprechend ausgebildet beziehungsweise haben sie die nötige Ausrüstung. Und da wurde ja auch ständig nachgerüstet. Ich glaube, dass die Bundeswehr, und von der Leyen spricht ja auch bereits darüber, die Bewaffnung entsprechend weiterentwickeln muss und verstärken muss und auch überlegen muss, ob die Gesamtzahl der Bundeswehr ausreichend ist.
Kassel: Das ist ja in der Bundesrepublik Deutschland immer umstritten gewesen, nicht nur die Auslandseinsätze, überhaupt die Rolle der Bundeswehr, und wie viel Geld da überhaupt reingesteckt werden soll. Jetzt, noch unter der Einwirkung der Anschläge von Paris und des vereitelten Anschlags in Hannover stehend, glauben Sie, dass die Stimmung in der Bevölkerung sich gerade verändert, was die Bundeswehr angeht?
Teltschik: Die Stimmung der Bevölkerung ist in solchen Fragen immer eine besondere Schwierigkeit für politische Entscheidungen. Aber denken Sie daran, dass es ausgerechnet eine rot-grüne Regierung war, die zum ersten Mal den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes entschieden hat. Außenminister Fischer, der davon gesprochen hat, als die rot-grüne Regierung den Balkaneinsatz beschlossen hat, dass ein zweites Auschwitz verhindert werden muss. Man findet dann immer Gründe, um einen solchen Einsatz zu rechtfertigen, aber ich glaube, dass die Anzahl der Terroranschläge und die Maßnahmen, die zum Beispiel eine Stadt Brüssel jetzt durchsetzt, die Stimmung schon verändert hat. Und lassen Sie morgen einen Anschlag in Deutschland geschehen – ich kann mir da schon eine gewisse Hysterie auch gerade der Deutschen vorstellen, die ja bisher das Glück hatten, dass kein Terroranschlag in Deutschland geschehen ist. Politiker müssen gelegentlich ja auch gegen die Mehrheitsstimmung entscheiden.
Auch mal gegen die Meinung in der Bevölkerung entscheiden
Kassel: In Paris und Brüssel erleben wir auch wieder, dass Militär im Inland eingesetzt wird zur Terrorabwehr, was in der Bundesrepublik grundsätzlich rechtlich so nicht einfach möglich ist. Aber auch darüber wird ja diskutiert. Würden Sie denn einen Antiterroreinsatz der Bundeswehr im Inland befürworten?
Teltschik: Das würde ich persönlich nicht ausschließen. Das hängt natürlich von der Größe eines solchen Anschlags und von der Gefährdung ab. Wir setzen ja die Bundeswehr auch in Katastrophenfällen schon ein. Und ein Terroranschlag kann ein Katastrophenfall sein anderer Art als ein Hochwasser, aber warum soll dann die Bundeswehr nicht, wie jetzt auch – in der Organisation der Flüchtlingswelle ist ja die Bundeswehr auch eingesetzt, das ist ja auch nicht ihr Aufgabengebiet. Man muss halt dann entsprechende Entscheidungen treffen. Ich glaube, dass die Bevölkerung einen solchen Einsatz sofort begrüßen würde.
Kassel: Glauben Sie, die Politik wird sich das trauen in nächster Zeit?
Teltschik: Die Politik – ich habe, als ich im Bundeskanzleramt war, erlebt, dass Bundeskanzler Helmut Kohl auch gegen die Mehrheit der Bevölkerung entschieden hat und trotzdem Wahlen gewonnen hat. Die Bürger wollen von der Politik wissen, dass die sich bewusst sind, was sie tun wollen, dass sie bereit sind, dafür zu kämpfen, und dass sie auch das Risiko von Wahlen eingehen. Dann kann man die Zustimmung gewinnen. Wenn man aber nur zögert und nur Bedenken äußert und nur der Bestimmung der Bevölkerung nachgibt, die ja leicht zu manipulieren ist, dann kann man nicht gewinnen.
Kassel: Herzlichen Dank! Horst Teltschik war das, Sicherheitsexperte, über die Rolle der Bundeswehr im Aus- und möglicherweise auch im Inland.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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