Bundeswehr

"Eine große Freude und Ehre"

Soldaten der Bundeswehr legen am Sonntag (18.11.2007) bei der Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee Kränze nieder. Mitglieder der Bundeswehr sowie Vertreter der Jüdischen Gemeinde ehrten die auf dem Friedhof bestatteten 395 deutschen Soldaten jüdischen Glaubens, die im ersten Weltkrieg fielen.
Soldaten der Bundeswehr legen bei einer Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee Kränze nieder. © picture alliance / dpa / Foto: Marcel Mettelsiefen
Von Michael Hollenbach  · 07.02.2014
Bis vor Kurzem trug die Kaserne in Aachen den Namen eines preußischen Generals mit antisemitischen Positionen. Jetzt heißt sie Leo Löwenstein. Er gründete nach dem 1. Weltkrieg den Reichsbund jüdischer Frontsoldaten.
"Wir Enkelkinder fühlen eine große Freude und Ehre darüber, dass die Kaserne den Namen von ihm bekommen hat."
Dan Löwenstein kann sich noch an seinen Großvater Leo Löwenstein erinnern, der 1956 starb. Auch Dans Schwester Irene Hollander, die aus Israel angereist ist, ist stolz, dass nun eine deutsche Kaserne nach ihrem Opa benannt wurde, aber:
"Für mich ist es schon ein Konflikt. Der Holocaust liegt die ganze Zeit wie ein Schatten über der ganzen Familie. Aber es ist ein Prozess, es hat sich viel verändert. Und Deutschland hat die Hand weit ausgestreckt, und ich glaube auch, dass das sehr ernst gemeint ist."
Gideon Römer-Hillebrecht ist Oberst im Generalstab der Bundeswehr und stellvertretender Vorsitzender des Bundes jüdischer Soldaten. Er ist froh, dass die Aachener für ihre Kaserne auf den Namen Max von Gallwitz verzichtet haben:
"Erstens weil die Aachener Bundeswehr hier das in Eigeninitiative gemacht haben, die haben erkannt, der Name ist belastet, das hat einen faden Beigeschmack, wir gehen auf die Neusuche und zweitens natürlich Leo Löwenstein, der Verfechter für ein Recht der deutschen Juden, hier in Deutschland auch in einer Armee zu sein."
Freiwillig zum Kriegsdienst
Leo Löwenstein war studierter Chemiker. Wie viele andere Juden meldete er sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst. Er wurde im Ersten Weltkrieg Hauptmann – und damit einer der wenigen jüdischen Offiziere; zu groß war der Antisemitismus im deutschen Offizierskorps. Dabei waren viele jüdische Soldaten mit großer Hoffnung in den Krieg gezogen, sagt Gideon Römer-Hillebrecht:
"Das ist der Hintergrund für den 1. Weltkrieg: die Begeisterung. Jetzt können wir endlich beweisen, dass wir mit den Deutschen zusammen eine Front sind und nachher werden sie uns lieben."
Doch die Realität sah anders aus. Die Antisemiten in der Reichswehr denunzierten die Juden als Drückeberger.
"Und 1916 gab es dann eine Judenzählung, weil man dachte, die Juden sind zu feige, die sind nicht an der Front, die sind zu Hause geblieben. Da hat dann Deutschland endgültig gezeigt, dass es nicht integrationsbereit war. Es ging nicht um die Juden, die waren integrationsfähig, die wollten. Es ging darum, dass die Antisemiten hier schon ihre böse Fratze zeigten, und das war eine zutiefst einschneidende Erfahrung, dass die Frontsoldaten, die vorne kämpften, sich zählen lassen mussten als Juden, ob sie denn wirklich genug waren."
Aus patriotischen Gründen
Die Zählung, deren Ergebnisse nicht veröffentlicht wurden, zeigte, dass überdurchschnittlich viele Juden an der Front kämpften. Auch für Leo Löwenstein muss diese Judenzählung ein Affront gewesen sein. Zumal seine technischen Erfindungen fürs Militär so wichtig waren: So hatte er Erfolg mit speziellen Schallmessungen, die die feindlichen Standorte bestimmen und als Ziel orten konnten. Seine mehr als 20 Erfindungen ließ er nicht patentrechtlich schützen, sondern übertrug deren Verwertung aus patriotischen Gründen dem deutschen Staat.
1919 gründete Leo Löwenstein den Reichsbund jüdischer Frontsoldaten: zum einen, weil die üblichen Kriegervereine keine jüdischen Veteranen aufnahmen; zum anderen auch als Selbstschutzorganisation gegen antisemitische Übergriffe. Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten verstand sich vor allem als deutsche Organisation. Der Bund war noch bis Mitte der 30er-Jahre streng antizionistisch ausgerichtet, berichtet Rainer Hoffman vom Bund jüdischer Soldaten, der 2006 gegründeten Nachfolgeorganisation des Reichsbundes:
"Er hat den damals entstehenden Bestrebungen, nach Palästina zu gehen, widersprochen, er wollte in Deutschland bleiben. Es zeigt, wie stark der deutsche Patriotismus war unter deutschen Juden."
Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten wurde zu einem Sammelbecken. 1933 hatte er mehr als 50.000 Mitglieder.
"Es war die größte jüdische Massenorganisation, die es gab. Er hatte erheblichen politischen Einfluss und er war eine Vereinigung der Selbstvergewisserung, sich selbst bestätigen: Es ist gut in Deutschland zu sein, es war ein Verein der wehrhaften Staatsbürger."
Brutaler Antisemitismus
Auch Leo Löwenstein, der für seinen Einsatz im 1. Weltkrieg das Eiserne Kreuz Erster Klasse erhalten hatte, hat den brutalen Antisemitismus der Nationalsozialisten unterschätzt, berichtet dessen Enkelin Irene Hollander:
"Er war nationalistisch eingestellt. Wir haben zu Hause einen Brief, den er Hitler geschickt hat, und er schreibt ihm, dass er im 1. Weltkrieg war, dass er seine Erfindungen dem deutschen Staat geschenkt hat. Dann fährt er fort: Ich bitte Sie, mich und meine Familie nicht in ein Konzentrationslager zu deportieren. Er machte sich noch 1942 große Hoffnungen, dass er nicht ins KZ müsse."
Leo Löwenstein und seine Frau überlebten das KZ Theresienstadt und emigrierten später nach Schweden und dann in die Schweiz. Heute gibt es zumindest rund 200 Juden, die in der Bundeswehr ihren Dienst tun. Eine positive Entwicklung, meint Oberst Gideon Römer-Hillebrecht:
"Innerhalb der letzten Jahre gibt es eine Zunahme an jüdischen Soldaten. Da ist ein Generationswechsel. Während die älteren Mitglieder von uns sich in den jüdischen Gemeinden noch oft beschimpfen lassen mussten, dass sie zur Bundeswehr gekommen sind nach dem Motto: In Deutschland geblieben - das reicht eigentlich als Jude in diesem Täterstaat, dann noch zur Bundeswehr zu gehen, das ist ja das Schlimmste, was man machen konnte. Jetzt haben wir eine Generation, die vor allem aus den ehemaligen Sowjetrepubliken kommt, und die kommen oft als Sieger, das heißt, sie sind die Nachfahren der siegreichen Roten Armee, das ist ein ganz anderes Selbstverständnis, und dort sind, auch aufgrund der Zeit, die Hemmungen gefallen, zur Bundeswehr, Im Gegenteil: es wird als interessanter Arbeitgeber gesehen."
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