Bundesverfassungsgerichts-Urteil

Streit um Tonfetzen von Kraftwerk

Die deutsche Band Kraftwerk bei einem Konzert in Eindhoven.
Die Band Kraftwerk hofft auf das Karlsruher Urteil, weil ein Beat aus ihrem Song "Metall auf Metall" ohne jede Rücksprache übernommen wurde. © dpa picture-alliance/ Paul Bergen
Reinhold Schmücker im Gespräch mit Dieter Kassel  · 31.05.2016
Das Bundesverfassungsgericht verkündet heute ein wegweisendes Urteil für die Musikbranche. Der Philosoph Reinhold Schmücker warnt in dem Verfahren rund um Remix davor, beim Schutz von Tonfetzen zu weit zu gehen.
Streitpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht ist das Sampling, also die Übernahme von Orginal-Elementen aus anderen Musikstücken. Der Pionier der Elektromusik, Kraftwerk-Mitglied Ralf Hütter war gegen den Musikproduzenten Moses Pelham vor Gericht gezogen, weil er in dem Lied "Nur mir" der Sängerin Sabrina Setlur einen Beat aus dem Song "Metall auf Metall" von Kraftwerk eingespielt hatte.

Zwei Musikstücke

"Natürlich ist in diesem Fall die Kraftwerk-Sequenz zwar kurz, aber als Loop dem Song unterlegt", sagte der Philosoph Reinhold Schmücker im Deutschlandradio Kultur. Der Professor an der Universität Münster leitet Forschungsgruppe "Ethik des Kopierens" am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld.
Die sich identisch wiederholende Rhythmus-Sequenz sei zwar in gewisser Hinsicht für den Kraftwerk-Song bestimmend, aber es sei dennoch klar, dass es sich um zwei völlig verschiedene Musikstücke handele. "Das wird niemand bezweifeln", sagte Schmücker.

Freiheit für Kreativität bewahren

"Wenn wir anfangen würden, Sequenzen dieser Kürze grundsätzlich so zu schützen, dass man sie nur noch mit Erlaubnis dessen, der zumindest meint, sie erstmals hervorgebracht zu haben, wiederverwenden darf und dann auch noch nur unter Zahlung von Lizenzgebühren, dann würde das eine ganz erhebliche Einschränkung der künstlerischen Kreativität bedeuten", sagte Schmücker und wies darauf hin, dass dies der Bundesgerichtshof bereits im Vorverfahren anerkannt habe.
"Es gibt nicht umsonst im deutschen Urheberrecht die Möglichkeit ein Stück oder einen Teil eines schutzfähigen Werkes frei zu benutzen."
Der Rechtsstreit, der sich nun bereits 19 Jahre hinzieht, dreht sich um eine Sequenz von zwei Sekunden, wobei dieser "Tonfetzen" aber als eine Art Dauer-Rhytmus unter den Setlur-Song gelegt wurde.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Es geht um zwei Sekunden, zwei Sekunden, die schon seit Jahren diverse deutsche Gerichte beschäftigen. Die Band Kraftwerk hat den Musikproduzenten Moses Pelham verklagt, weil der in dem Song "Nur mir" von Sabrina Setlur einen Beat, eine Rhythmussequenz aus dem Kraftwerk-Song "Metall auf Metall" verwendet hat. Bisher haben die Gerichte in sämtlichen Instanzen Kraftwerk recht gegeben, aber Pelham gab keine Ruhe und hat mit einigen Unterstützern das Bundesverfassungsgericht angerufen, das heute Vormittag verkünden wird, ob die bisherigen Gerichtsentscheidungen im Einklang stehen mit der im Grundgesetz verankerten Freiheit der Kunst oder eben nicht. Welche Rechte hat ein Urheber, was genau bedeutet da eigentlich das Leistungsschutzrecht und was darf ein Künstler eigentlich ungefragt verwenden? Eine grundsätzliche Frage, mit der sich Reinold Schmücker intensiv beschäftigt. Er ist eigentlich Professor für Philosophie an der Universität Münster, zurzeit aber auch einer der drei Leiter der Forschungsgruppe "Ethik des Kopierens" an der Uni Bielefeld. Schönen guten Morgen, Professor Schmücker!
Reinold Schmücker: Ja, guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Lassen Sie uns beide und alle, die uns zuhören, jetzt mal genau das machen, was das Verfassungsgericht zum Prozessbeginn tatsächlich auch getan hat, nämlich die beiden Werke, um die es geht, mal ganz kurz hören! Fangen wir an mit sozusagen der Kopie, wenn man es so nennen will, Sabrina Setlur, ein Ausschnitt aus "Nur mir"!
((Musik))
So geht das jetzt noch etwa dreieinhalb Minuten weiter, sie singt dann auch schon, aber im Hintergrund bleibt es eigentlich so, wie wir es jetzt hören, und genau das ist das Problem. Denn das, was da dreieinhalb Minuten dauert, das basiert eigentlich eben in der Tat auf dem Stück "Metall auf Metall" von Kraftwerk, das hört man auch eigentlich recht deutlich:
((Musik))
Jetzt ist dieser Beat im Hintergrund gerade weg, bei Kraftwerk ist das etwas abwechslungsreicher, aber dieses metallische Geräusch im Hintergrund, das ist eigentlich das Corpus Delicti, darüber wird gestritten, dazu muss heute das Verfassungsgericht entscheiden. Professor Schmücker, wenn es nicht diese Geschichte gäbe, dieses 19 Jahre lange Gerichtstheater, wäre dann das, was wir gehört haben, für Sie überhaupt in irgendeiner Form bemerkenswert?
Schmücker: Na ja, bemerkenswert ist natürlich schon, dass man Dinge irgendwie übernimmt. Das ist aber glaube ich eine menschliche Grundtätigkeit wie das Essen und Trinken auch. Also, im allerweitesten Sinne kopieren und Dinge neu zusammenstellen, neu kombinieren, neu komponieren, das ist etwas, was menschliches Leben und für die Kulturentwicklung, aber auch für unser Lernen ganz unabdingbar ist. Die ersten Werkzeuge sind so entstanden, dass man von einfacheren Werkzeugen sinnvolle Aspekte kopiert, übernommen hat und mit anderen sinnvollen Aspekten, zweckmäßigen Aspekten anderer Werkzeuge rekombiniert hat. Aber hier geht es natürlich um Remix in einem sehr viel engeren Sinne oder um Sampling, genauer gesagt, und das muss man natürlich dann auch gesondert betrachten, das wird ja das Gericht heute tun.

Remix als Teil der Evolution

Kassel: Nun gibt es seit einer Weile schon eine Initiative, die sich sogar "Recht auf Remix" nennt. Und Leonhard Dobusch von dieser Initiative behauptet klipp und klar: Mixen und Remixen ist Bestandteil unseres Lebens. Würden Sie dem zustimmen?
Schmücker: Ja, das habe ich ja eben im Grunde auch so gesagt.
Kassel: Ja, Sie haben sogar gesagt, das ist es nicht – wie die Initiative das meint – seit ein paar Jahren, Sie sagen, das ist eigentlich seit Jahrhunderten so, oder?
Schmücker: Na ja, wenn man es in dem engeren Sinne nimmt, dass man sagt, also, Remix ist zum Beispiel die sozusagen Neuabmischung vorhandener Tonspuren mit dem Ziel, Variationen des Originals zu erzeugen oder so, dann wird man das natürlich auf einen kürzeren Zeitraum datieren können. Wenn man den von mir eben vorgeschlagenen sehr viel noch weiteren Begriff verwendet, dann wird man sagen müssen: Remix ist nicht nur ein Phänomen der digitalen Ära, sondern ein Bestandteil menschlicher Kultur und menschlicher Kulturevolution, geradezu von Anbeginn an. Aber das hängt natürlich davon ab, wie man die Begriffe definiert.
Kassel: Aber wenn wir mal davon ausgehen, das ist so, man definiert es so, dann bezieht sich das natürlich nicht nur auf die Musik, oder?
Schmücker: Nein, ich meine, auch das ist wichtig zu sehen: Auch in der Kunst, sagen wir mal, ist Remix kein Phänomen, das jetzt erst seit den 1970er-Jahren entstanden wäre. Im Grunde, die Collage-Technik ist mindestens 120 Jahre alt, noch älter natürlich in der bildenden Kunst. Man kann im Grunde sagen, die Merzbilder von Kurt Schwitters haben auch Remix-Charakter, ein Maler wie Baselitz hat schon zu Beginn dieses Jahrtausends eine eigene Remix… sogenannte Serie gemacht mit Bildern, die er 30, 40 Jahre vorher gemalt hat und eher neu kombiniert hat, neu nachgemalt hat.
Sie finden in der Literatur natürlich in der Beat Generation Literatur etwa, die nach der Technik des Cut-Up verfährt, die einfachste Form ist so, dass man im Grunde ein Blatt Papier senkrecht zerschneidet und das neu zusammensetzt, also nicht eigentlich zusammengehörige Seiten oder Spalten, die so entstehen, oder Schnipsel wieder zusammenklebt. Solche Techniken haben wir in den verschiedensten Künsten. Und Elfriede Jelinek zum Beispiel, wenn Sie "Wolken.Heim" anschauen, ein Buch, wo hinten ganz lakonisch drin steht: Die verwendeten Texte sind unter anderem von Hölderlin, Hegel, Heidegger, Fichte, Kleist und aus den Briefen der RAF von 1973 bis 1977, und da hat sie natürlich auch noch ein bisschen eigene Sachen, manche hat sie variiert, aber im Grunde ist das in der Literatur ein ganz klassischer Remix von einer Nobelpreisträgerin.

Unterschiede zum Plagiat

Kassel: Nun gibt es aber natürlich auch in der Literatur immer wieder Plagiatsvorwürfe und Ähnliches. Wie kann man eigentlich die Grenze setzen zwischen einer kreativen Weiterverarbeitung, wo man wirklich sagen muss, ich habe zwar was genommen, was schon da war, aber ich habe daraus ein eigenes Werk geschaffen, und echtem Klauen, also wirklich der Masche, ich verdiene halt Geld mit den Ideen anderer Leute?
Schmücker: Na ja, nehmen Sie das Beispiel Jelinek, "Wolken.Heim". Es ist eigentlich ganz einfach, auf dem Buch steht "Jelinek" drauf und es ist ja auch klar, dass durch das Remix – deswegen ist Remix ja auch so was Kreatives – etwas Neues entsteht. Wenn da jetzt auf dem Buch drauf stünde … Ja, das geht eben beim Remix auch so schlecht, weil, dann müsste man mehrere Autoren angeben. Aber beim Plagiat ist es ja klassischerweise so, dass man täuscht, indem man sich den Text eines anderen Autors aneignet und sagt, er sei von einem selbst. Das ist ja beim Remix nicht der Fall.
Kassel: Nun sind wir aber, wenn wir dann jetzt wirklich mal auf diesen konkreten Fall in Karlsruhe zurückkommen, Moses Pelham gegen Kraftwerk, dann wird es hier natürlich unendlich kompliziert, finde ich. Da muss man auch mal unterscheiden zwischen Urheberrecht, Leistungsschutzrecht und worum es wirklich geht. Weil Kraftwerk ja sagen, es geht nicht nur um die Grundfrage, darf er überhaupt, sondern wir sagen: a) muss er uns fragen, hat er nicht gemacht, und b) müssen wir Geld dafür kriegen. Und Pelham sagt sogar, er hat gar nicht gewusst, dass das von Kraftwerk ist.
Schmücker: Na ja, dazu kann man jetzt nichts sagen, ob er das nicht gewusst hat oder in dem Moment nicht … Das ist glaube ich hier auch nicht entscheidend. Natürlich ist in diesem Fall die Kraftwerk-Sequenz zwar kurz, aber als Loop dem Song unterlegt, also als so eine sich immer wieder in identischer Weise wiederholende Rhythmussequenz. Und da kann man natürlich sagen, die ist vielleicht für den Song in einer bestimmten Weise bestimmend. Trotzdem ist es ja ganz klar: Wir haben es hier mit zwei völlig verschiedenen Musikstücken zu tun, das wird niemand bezweifeln. Und ich glaube, wenn wir anfangen würden, Sequenzen dieser Kürze grundsätzlich so zu schützen, dass man sie nur noch mit Erlaubnis dessen, der zumindest meint, sie erstmals hervorgebracht zu haben, wiederverwenden darf und dann auch noch nur unter Zahlung von Lizenzgebühren, dann würde das ja eine ganz erhebliche Einschränkung der künstlerischen Kreativität bedeuten.
Und das hat im Grunde ja auch der Bundesgerichtshof schon im Vorverfahren anerkannt. Es gibt ja nicht umsonst im deutschen Urheberrecht die Möglichkeit, ein Stück oder ein Teil eines Werkes, eines schutzfähigen Werkes frei zu benutzen, das ist im Paragraf 24 des Urheberrechtsgesetzes geregelt, wenn man ein neues Stück schafft. Und der Bundesgerichtshof hat ja ausdrücklich gesagt, das könnte auch der Fall sein. Er hat aber in diesem speziellen Verfahren gesagt, na ja, wir können das Ganze eigentlich gar nicht als Werk anerkennen, auch diese Rhythmussequenz, deswegen ist ein Urheberrechtsschutz da gar nicht gegeben. Aber was gegeben ist, ist ein Leistungsschutz für den Tonträgerhersteller, und zwar deshalb, weil bei der Produktion des Setlur-Songs man im Grunde zum Sampling auch eine digitale Kopie des Kraftwerk-Rhythmus‘ verwendet hat.
Kassel: Wir sehen also, es geht um Kunst, es geht um Kultur, man kann in die Geschichte blicken, aber es geht natürlich auch um ganz komplizierte Details der Rechtsprechung heute in Karlsruhe, wo um voraussichtlich ungefähr zehn Uhr oder ab zehn Uhr das Verfassungsgericht seine Entscheidung im Streit zwischen Sabrina Setlur und ihrem Produzenten und Kraftwerk verkünden wird. Seine Ansichten zu diesem Thema haben wir gehört von Professor Reinold Schmücker von der Forschungsgruppe "Ethik des Kopierens". Herr Schmücker, ich glaube, wir bleiben beide gespannt die nächsten gut zwei Stunden, und ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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