Bundesverfassungsgericht

Eine Frau sucht ihren leiblichen Vater

Für einen Vaterschaftstest werden Speichelproben entnommen.
Für einen Vaterschaftstest werden Speichelproben entnommen. © picture alliance / dpa/ dpa/web / KNA-Bild Christian Wölfel
Von Ita Niehaus · 24.11.2015
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt, ob Inge Jansen Anspruch darauf hat zu wissen, wer ihr leiblicher Vater ist. Sie forderte den inzwischen 88-jährigen vermeintlichen Erzeuger zum DNA-Test auf - der lehnte ab, und ein jahrelanger Rechtsstreit folgte.
"Das ist der Spruch von ihm. 27.7.64. 'Der Kreis ist ein Sarg, in dem die Nachtigallen singen. Darum leben, aber mit Vernunft leben.' Kann ich nichts anfangen mit dem ersten Satz."
Ein aufgeschlagenes Poesiealbum und ein paar alte Fotos liegen vor Inge Jansen auf dem Tisch. Ihren richtigen Namen möchte die 65 Jahre alte Frau nicht nennen. Der Spruch im Poesiealbum ist von dem Mann, von dem sie glaubt, dass er ihr Vater ist.
"Ich möchte endlich wissen, wer ich bin. Für mich ist das wichtig, weil ich eine wirklich ganz, ganz schlechte Kindheit hatte."
Nichtehelich geboren zu sein, war nicht einfach damals in der Nachkriegszeit. Als Inge Jansen drei Jahre alt war, heiratet die Mutter. Die Familie lebt vor allem von Sozialhilfe, der Stiefvater ist Alkoholiker und sehr gewalttätig.
"Er ist mit Beil und Messer rumgelaufen, wollte uns immer umbringen."
Einmal war es fast soweit. Die Mutter lag schon bewusstlos am Boden. Inge Jansen rief den Bruder um Hilfe.
"Der Bruder hat meiner Mutter geholfen, indem er meinen Stiefvater erstochen hat. Danach ging es dann los in Nachbarschaft. Mörderbrut und wie die mich betitelt haben."
Traumatische Erfahrungen. Immer wieder fragt Inge Jansen die Mutter nach ihrem leiblichen Vater. Schließlich, als sie 14 ist, erfährt sie seinen Namen und besucht ihn.
"Ich wollte einfach hin, sehen, wer er ist, wie er aussieht. Und – weil ich dachte, einen guten Vater. Vielleicht akzeptiert er mich. Und ich lerne mal was anderes kennen wie nur Gewalt."
Sie treffen sich noch einige Male. Im Café und bei ihm zuhause. Auch zusammen mit der Mutter. Als die 1972 stirbt, bricht der mutmaßliche Vater den Kontakt ab.
"Er will nicht belästigt werden, will seine Ruhe. Um seinen Ruf hat er Angst vielleicht. Ich weiß es nicht."
Dokument vom Standesamt stachelt ihre Neugierde an
Inge Jansen heiratet, bekommt Kinder. Die drängenden Fragen nach ihrer Herkunft rücken in den Hintergrund.
"Es waren meine Kinder, meine Familie da. Dann hatte ich auch Pflegekinder – ich war für jemanden da und konnte Gutes tun. Das hat darüber hinweg geholfen. Aber jetzt, wo man älter wird und viel mehr Zeit zum Denken hat, dann ist das alles wieder viel stärker da."
2008 will Inge Jansen eine Familienangelegenheit klären und bekommt die Kopie eines alten Schriftstücks zugeschickt. In dem Dokument zeigt der Mann, den sie für ihren Vater hält, ihre nicht eheliche Geburt beim Standesamt an.
"Ich konnte ja nie was beweisen. Poesie-Album. Kann ja jeder geschrieben haben. Aber das kann nicht jeder geschrieben haben."
Jetzt will Inge Jansen Klarheit. Sie fordert den Mann zum DNA Test auf, aber der lehnt ab. Es folgt ein jahrelanger Rechtsstreit quer durch alle Instanzen. Inge Jansen will wissen, woher sie kommt, ihr vermeintlicher Erzeuger wehrt sich dagegen. Heute muss nun das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob ein Kind Anspruch darauf hat zu wissen, wer sein leiblicher Vater ist. Geld war Inge Jansen nie wichtig. Sie rechnet auch nicht mehr damit, dass der inzwischen 88 Jahre alte Mann von sich aus Kontakt aufnimmt.
"Jetzt möchte ich einfach bis zum Ende gehen. Und dass ich ihm gegenübertreten kann, meine Wut, meinen Zorn zeigen kann. Dass ich ihm sagen kann, dass er sehr viel Schuld daran hatte, dass ich so eine Kindheit hatte. Wenn er dagewesen wäre, wäre es vielleicht alles anders geworden."
Inge Jansen ist eine Einzelkämpferin.Aber es geht ihr nicht nur um ihr eigenes Schicksal. Sie hofft, dass es noch viele andere Betroffene gibt. Kinder zum Beispiel, die mit einem Stiefvater aufwachsen und einfach nur wissen möchten, wer ihr leiblicher Vater ist. Und sie wünscht sich vor allem eines:
"Dass viele, wenn ich durchkomme, den Weg auch einschlagen können."
Mut machen Inge Jansen Stellungnahmen von Fachverbänden, die das Bundesverfassungsgericht eingeholt hat. Die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht etwa befürwortet ihr Anliegen. Denn der Gesetzgeber habe es grundrechtswidrig unterlassen, dem Kind in solch einem Fall zu ermöglichen, sein Recht auf Kenntnis der Abstammung durchzusetzen. Was die Karlsruher Richter letztendlich entscheiden, wird Inge Jansen erst in einigen Wochen erfahren.
"Ich habe schon ein bisschen Angst davor, dass es nicht zu meinen Gunsten ausfällt. Ich hoffe einfach, dass wir Glück haben."
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