Bundestagsvizepräsidentin Pau warnt vor Überwachungsstaat

Moderation: Birgit Kolkmann · 21.04.2008
Die Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau, hat die geplante BKA-Gesetzesnovelle kritisiert. Das Gesetz sei ein "Kompromiss gegen die Bürgerinnen und Bürger, gegen ihre Grund- und Freiheitsrechte", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke.
Birgit Kolkmann: Online-Überwachung, Lauschangriff und demnächst auch Kameras des Bundeskriminalamtes in den Privatwohnungen Verdächtiger? Der Entwurf des neuen BKA-Gesetzes enthält einige Reizpunkte, über die in der Großen Koalition heftig gestritten werden. Es wurde im Justiz- und Innenministerium erarbeitet, und so steht auch die SPD-Justizministerin dahinter. Sie meint, dass alle Regelungen zum Schutz des privaten Kernbereichs penibel eingehalten werden und der Gesetzentwurf verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden ist. Ihr Parteikollege Benneter sagt aber, das Gesetz sei ein Sammelsurium der Grausamkeiten aus allen Polizeigesetzen. Kritik gibt es auch von der Opposition, zum Beispiel von der Innenexpertin und stellvertretenden Fraktionschefin der Linkspartei, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Was passt Ihnen nicht am Gesetzentwurf, Frau Pau?

Petra Pau: Ja, guten Morgen erst mal! Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur ein Sammelsurium von allem, was man sich so vorstellen kann. Es wird offensichtlich zum Standardprogramm, dass Trojaner, Videos und Wanzen eingesetzt werden. Sondern das ist ein Kompromiss gegen die Bürgerinnen und Bürger, gegen ihre Grund- und Freiheitsrechte. Und ich denke, hier muss ein Stoppschild gesetzt werden und nicht erst wieder vor dem Bundesverfassungsgericht.

Moderatorin: Das Leben der anderen anschauen. Fühlen Sie sich an DDR-Zeiten erinnert?

Pau: Ich versuche, da nicht zu vergleichen, sondern ich streite eher dafür, unser Grundgesetz und damit auch unsere Bürger- und Freiheitsrechte zu schützen. Man sollte das nicht gleichsetzen.

Moderatorin: Sie haben ja auch gesagt, die Autoren des Gesetzes hätten zu viele Wildwestkrimis geguckt. Aber was haben die Wildwestkrimis mit modernem Terrorismus zu tun?

Pau: Manchmal sind diese dort auch Thema, aber viel mehr, wenn ich den Fernseher einschalte, erlebe ich, dass in manchen Krimis eben Grund- und Bürgerrechte von vornherein außer Kraft gesetzt werden und das, was ich offensichtlich jetzt Sicherheitsfanatiker wünschen, dass sie mit der Kamera in jeden Bereich der Privatsphäre schauen können, ob denn irgendjemand irgendjemanden kennt, der sich etwas ausdenkt, das findet dort gelegentlich auch statt. Deshalb habe ich nicht nur empfohlen, den Krimikonsum einzuschränken, sondern gelegentlich mal in den Grundrechtereport zu schauen.

Moderatorin: Nun sagt der SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz, wer nun diesen Entwurf kritisiert, der hat ihn nicht gelesen. Außer der Online-Durchsuchung sei es nämlich nichts Neues. Alles gebe es schon auf Länderebene. Und dieses sei insofern gar nicht zu kritisieren.

Pau: Ich habe ihn gelesen, allerdings erst am Freitag, weil früher ist er der Opposition auch nicht zur Kenntnis gelangt. Richtig ist, dass es die eine oder andere Maßnahme auf entsprechende ländergesetzlicher Grundlage gibt. Aber einen solchen Katalog zum Standardprogramm zu machen, da ist schon mal noch eine ganz andere Qualität. Und der Kollege Wiefelspütz sollte sich dann mal mit seinen Kollegen, die das nicht nur kritisieren, sondern völlig zu Recht auch für verfassungsrechtlich bedenklich halten, unterhalten.

Moderatorin: Nun sagte der Kollege Wiefelspütz auch, nach der Föderalismusreform sei nun mal das BKA für präventive Terrorbekämpfung zuständig, und deshalb müsse die Videoüberwachung auch ins BKA-Gesetz. Es reiche nicht, wenn es nur in Ländergesetzen drinsteht. Ist es vielleicht doch alles halb so wild?

Pau: Auch die Föderalismusreform ist weder vom Himmel gefallen oder uns von außen aufgedrückt worden, sondern das hat die Große Koalition mit ihrer Mehrheit durchgedrückt, um dann Sicherheitsbefugnisse zentralisieren zu können beim BKA. Es wäre allerhöchste Zeit, vielleicht auch den einen oder anderen Fehler, der bei der Föderalismusreform gemacht wurde, zu korrigieren.

Moderatorin: Haben Sie die Befürchtung, dass wir auf den Weg in einen Überwachungsstaat sind?

Pau: Das, was in den letzten Jahren in dem Gebiet innere Sicherheit passiert ist und was mit diesem BKA-Gesetz und einem Gesetz, welches am Wochenende noch mal angekündigt wurde von Bundesjustizministerin Zypries und zur Behandlung von Verdächtigen passiert, ist aus meiner Sicht wirklich der Umbau des demokratischen Rechtsstaates zum präventiven Sicherheitsstaat, oder andere sagen Überwachungsstaat.

Moderatorin: Sie meinen, das zum Beispiel das Unter-Strafe-Stellen von einer Ausbildung in Terrorcamps oder Anleitung zum Bombenbau ins Internet stellen, dass das mit hohen Strafen schon bewehrt wird, das sei zu viel?

Pau: Ich halte das in der Praxis für kaum anwendbar, dass man Absichten, welche in irgendeinem Kopf sich entwickeln, unter Strafe stellen kann. Ich bin ja selten einer Meinung mit dem Kollegen Bosbach, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Unionsfraktion. Aber er hat aus meiner Sicht völlig zu Recht kritisiert, dass dieser Gesetzentwurf eher Symbolpolitik ist.

Moderatorin: Da bräuchte man im Prinzip schon eine Gedankenpolizei?

Pau: Wohl wahr.

Moderatorin: Die FDP-Kritik geht ja insgesamt etwas weiter, bezieht sich aber auch auf die Polizeiarbeit. Da sagt der FDP-Vorsitzende Westerwelle, Deutschland braucht nicht mehr Gesetze, sondern mehr und eine besser ausgestattete Polizei. Wenn man bedenkt, dass in den letzten Jahren 10.000 Polizeidienststellen geschlossen worden sind, auch noch schlecht ausgestattet ist die Polizei. Das sieht man immer wieder auch als Bürger. Wäre da das eigentliche Feld, etwas zu tun?

Pau: Da hat er recht. Wir brauchen keine neuen Gesetze, sondern manches Gesetz muss auch noch vom Tisch, unter anderem zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung. Die liegt im Moment ja in Karlsruhe mit einer unvergleichlichen Verfassungsklage von mehreren 10.000 Bürgerinnen und Bürgern. Polizistinnen und Polizisten sollen ordentlich ausgebildet sein, ausgestattet sein. Das geht beim Handy los, welches oftmals erst privat angeschafft werden muss und natürlich auch beim Computer. Und vor allen Dingen sollen sie dort sein, wo sie Bürgerinneren und Bürgern wirklich Sicherheit vermitteln, das heißt nicht im Büro, sondern auf der Straße.

Moderatorin: Nun fordert aber die Gewerkschaft der Polizei, die nicht im Verdacht steht, ganz besonders rechts außen zu stehen im politischen Spektrum, dass die Videoüberwachung absolut notwendig ist, wenn man die Terrorabwehr einigermaßen vernünftig organisieren will. Was ist denn nun eigentlich richtig? Man ist verwirrt als Bürger.

Pau: Ich habe das gesehen. Nun bin ich Mitglied der Gewerkschaft und Polizei und widerspreche da ausdrücklich meinem Vorsitzenden.

Moderatorin: Konrad Freiberg?

Pau: So ist es. Weil er hat das ja am Wochenende gefordert. Nicht alles, was technisch möglich ist und vielleicht die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen erleichtern würde, ist deswegen verfassungsrechtlich geboten. Und da muss die Polizei den Grundrechtsschutz vor technischem Einsatz stellen.

Moderatorin: Auch, wenn möglicherweise dadurch dann Terrorschläge begünstigt werden?

Pau: Ich kann nicht erkennen, wie durch die Videoüberwachung von Wohnungen, noch dazu wenn Terroristen wissen, dass dies möglich ist, der terroristische Anschlag verhindert werden kann, sondern wir geben unsere Grund- und Freiheitsrechte schon auf, bevor die Terroristen zuschlagen. Wir sollten wirklich das, was an ordentlicher Polizeiarbeit da ist, mit Mitteln und Methoden auch zur Aufklärung beziehungsweise Verhinderung von Straftaten einsetzen. Aber eins ist richtig, eine absolute Sicherheit, dass es nicht schwerste Kriminalität auch geben kann, gibt es nicht, und das ist auch nicht mit technischen Mitteln und mit einem Überwachungsstaat zu haben.

Moderatorin: Petra Pau war das, die Innenexpertin der Linkspartei, stellvertretende Fraktionschefin im Bundestag auch und Bundestagsvizepräsidentin. Schönen Dank für das Interview in Deutschlandradio Kultur, Frau Pau!