Bundestag

Staatsrechtler: Hauptausschuss schnell wieder abschaffen

Moderation: Korbinian Frenzel · 02.12.2013
Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat der Bundestag einen sogenannten Hauptausschusses eingesetzt - als Provisorium bis zur Regierungsbildung. Der Staatsrechtler Martin Morlok hält das für höchst problematisch.
Korbinian Frenzel: Bei all dem Rumgehacke auf der großen Koalition – erlauben Sie uns mal kurz einen positiven Gedanken: So viele Menschen standen selten hinter einer Regierung in diesem Land, so viele Wählerstimmen. Im Bundestag kommen Union und SPD auf über Dreiviertel der Mandate, das ist ein ziemlich breites Mandat, eine ziemlich umfassende Legitimation, Entscheidungen zu treffen. So weit, so gut.
So weit, so problematisch aber leider auch, denn die Mehrheit aus Schwarzen und Roten, die sich da abzeichnet, ist so groß, dass der Mini-Opposition aus Linken und Grünen im Bundestag kaum noch Rechte bleiben. Sie können nämlich nicht mal mehr einen Untersuchungsausschuss einrichten. Und für so manches andere fehlt auch die notwendige Minderheitenmehrheit. Für was, das weiß Martin Morlok, Staatsrechtler an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Morlok!
Martin Morlok: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Welche Zähne sind denn der Opposition noch gezogen durch die übergroße Mehrheit der großen Koalition?
Morlok: Das eine und wichtigste Kontrollinstrument ist ja ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, und das ist deswegen so wichtig, weil die Kontrolle der Mehrheit durch die Opposition sonst darauf angewiesen ist, dass man die Regierung fragt, und die antwortet. Ob sie immer ganz richtig und vollständig antwortet, weiß man nicht. Der Untersuchungsausschuss ist das einzige Instrument, mit dem die Opposition sich selber Informationen verschaffen kann. Das ist also der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist, die Mehrheit entscheidet natürlich in der Demokratie, aber in den Grenzen der Verfassung. Und ob diese Grenzen eingehalten worden sind, das kann das Verfassungsgericht nachprüfen. Aber wiederum braucht es ein Viertel der Mitglieder des Bundestages, um das Verfassungsgericht anzurufen, um nachprüfen zu lassen, ob ein Gesetz auch diesen Rahmen einhält.
Es gibt weitere Oppositionsrechte, etwa die Redezeit. Da scheint man sich ja wohl vernünftig zu einigen, aber was in der Diskussion mir zu kurz kommt, das ist die Möglichkeit, eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss durchführen zu lassen. Dass man nämlich die Gründe, die die Mehrheit für ein Gesetzgebungsverfahren anführt, auch mal mithilfe von externem Sachverstand auf den Prüfstand stellen kann.
Frenzel: Nun könnte man jetzt ja, und ich mach das jetzt einfach mal in ganz Rousseau'scher Manier sagen, hinter dieser Mehrheit von Union und SPD steht ja ein Wählervotum, und wenn da dieser Wille ist, dass da mal jemand richtig durchregieren kann, dass eine Opposition nicht allzu viel blockieren oder kontrollieren kann – sind das nicht die höchsten Weihen, die man in einer Demokratie erhalten kann?
Morlok: Na ja, dazu gibt es zwei Dinge zu sagen: Zum einen hat der Wähler ja nicht eine bestimmte Koalition gewählt, sondern einzelne Parteien, die auch durchaus unterschiedliche Positionen vertreten haben und sich nun zur Koalition vereinigt haben. Und das Zweite ist, wie gesagt, die Mehrheit entscheidet, aber, wie gesagt, sie muss kontrolliert werden. Auch aus präventiven Gründen, dass man die Verfassung einhält, und dass Argumente der Minderheit aufgenommen werden, um sie damit in der Öffentlichkeit entkräften zu können.
Frenzel: Nun gibt es ja das Signal der großen Parteien, im Zweifel der Minderheit zu helfen. Sie haben das bei der Redezeit angesprochen. Dieselbe Idee gibt es auch bei Untersuchungsausschüssen, dass also Union und SPD dann einfach zu der notwendigen Mehrheit verhelfen würden. Ist das nicht ausreichend beruhigen.
Der Staatsrechtler Martin Morlok
Der Staatsrechtler Martin Morlok© dpa / pa / Thissen
Morlok: Na ja. Die Frage ist: Wenn es weh tut, wird dann die Mehrheit tatsächlich einem Untersuchungsausschuss zustimmen? Wir haben ja durchaus schon erlebt, dass diejenigen, die von einem Untersuchungsausschuss überzogen wurden, dagegen sogar geklagt haben. Und dass man jetzt einem Untersuchungsausschuss gegen sich selber zustimmen soll, das verlangt gegebenenfalls Heroismus. Im Übrigen, ich habe mir den Koalitionsvertrag in diesem Punkt angeguckt, und da steht drin, dass die Mehrheitsparteien die Minderheitsrechte im Bundestag schützen werden. Wenn man das beim Wort nimmt, so reicht es nicht aus. Das Problem ist ja, dass die Rechte der Opposition eben mangels Masse zum guten Teil nicht greifen können. Also es geht um Ausweitung der Rechte einer relativ kleinen Opposition.
Frenzel: Aber nehmen wir mal das Beispiel Bayern. Da hatte die CSU unter Edmund Stoiber ja sogar eine Zweidrittelmehrheit alleine, und es ist nichts wirklich Schlimmes passiert. Ist unsere Demokratie vielleicht gefestigt genug, dass wir diese fest verbrieften Rechte so gar nicht in Anspruch nehmen müssen?
Morlok: Rechte sind schon dafür da, dass man sie in Anspruch nimmt. Sie haben natürlich recht, man muss jetzt nicht den Teufel an die Wand malen und den Untergang der Demokratie befürchten. Wir haben ja eine aufmerksame, kritische Öffentlichkeit, die dafür sorgen wird, dass in aller Regel eine Blockade von Oppositionsrechten der Mehrheit sehr, sehr schwer fallen wird.
Frenzel: Ist denn dieser Hauptausschuss, der da jetzt eingerichtet wurde, eigentlich aus Ihrer Sicht auch ein Problem? Also dieser Ersatzausschuss, der jetzt erst mal die Arbeit machen soll?
Morlok: Ja, das ist ein großes Problem. Zum einen deswegen, weil das Grundgesetz ja eine Reihe von Pflichtausschüssen vorsieht. Und der Hauptausschuss soll die Aufgaben all dieser Ausschüsse wahrnehmen. Man hat ja doch die Idee gehabt, das ein spezialisierter Europaausschuss, ein spezialisierter Ausschuss für Auswärtiges, für Verteidigung, dass diese Ausschüsse mit Spezialisten besetzt sind und nicht einige Leute alles machen. Und das zweite große Problem liegt doch darin, dass nur eine kleine Gruppe, 47 Abgeordnete diesen Hauptausschuss bilden und die anderen 600 Abgeordneten sitzen daneben und können die eigentliche Arbeit nicht machen. Also die Gleichbehandlung der Abgeordneten ist auch ein Problem. Insofern muss man sehen, dass man das möglichst schnell beendet.
Frenzel: Zeigt nicht all das, dass der Bundestag, so stolz wir auf ihn sind, in unserem Grundgesetzgefüge eigentlich eine ziemlich schwache Institution ist im Vergleich zur Regierung, im Vergleich zu den bestimmenden Regierungsfraktionen?
Morlok: Das ist sicher eine richtige Tendenz, die Sie hier beschreiben. Dass tatsächlich die Regierungsseite die Oberhand gewinnt, und genau deswegen müssen wir über diese Oppositionsrechte reden, aber auch über die Rechte der Parlamentarier innerhalb der Mehrheitskoalitionen. Auch diese sollten es sich nicht bieten lassen, dass man den Hauptausschuss einfach einsetzt. Man kann doch die anderen Ausschüsse im Moment schon mal einsetzen, und wenn dann ein Ausschussvorsitzender Minister wird oder der Zuschnitt der Ressorts sich ändert – dann ändert man eben die personelle Besetzung der Ausschüsse oder den Zuschnitt der Ausschüsse. Das ist alles machbar, wenn das Parlament sich auf die eigenen Beine stellt und nicht sich nur an der Regierung ausrichtet.
Frenzel: So sieht es Professor Martin Morlok, Staatsrechtler an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Morlok: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema