Bundespräsident mischt sich ein

Joachim Gauck als Nebenaußenminister

Bundespräsident Joachim Gauck im Berliner Dom
Bundespräsident Joachim Gauck: Hier bei seiner Rede am 23. April 2015 im Berliner Dom zum Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich. © picture alliance / dpa / Foto: Britta Pedersen
Von Jörg Himmelreich · 19.06.2015
Am Wochenende wird Joachim Gauck wieder eine Rede halten. Anlass ist der erste nationale Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. In solchen Reden mische sich der Bundespräsident gerne ein, sagt der Autor Jörg Himmelreich und lobt ihn als ehrlich. Außerdem setze er - mehr als seine Vorgänger - wichtige Akzente in der Außenpolitik.
Er repräsentiert nach innen und nach außen, aber das ist auch schon alles, was er politisch darf. Dabei ist der Bundespräsident das höchste Verfassungsorgan. Er unterschreibt als Notar der Nation jedes Gesetz, damit es in Kraft treten kann, nachdem der Bundestag es verabschiedet hat.
Er verleiht Bundesverdienstkreuze an verdiente Bürger und empfängt ausländische Staatsgäste. Regelmäßig wird er von der Kanzlerin besucht, aber auch von den Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen zum Gespräch über das politische Alltagsgeschäft. Und je nach seinen Interessen lädt er auch andere, interessante Leute ins Schloss Bellevue ein.
Ansonsten reist er durch die Bundesrepublik - und vor allem in offizieller Mission immer wieder ins Ausland. Und für alle seine Termine gilt, er darf reden, aber nicht gestalten. Die Rede ist sein einziges Instrument, um politisch zu wirken. Wenn der Bundespräsident glaubwürdig ist und persönliche Autorität hat, dann haben seine Worte in der Öffentlichkeit besonderes Gewicht.
Theodor Heuss, der schwäbelnde Bildungsbürger der 50er-Jahre, befriedete die junge Bundesrepublik nach Diktatur und Krieg, verhalf einer zutiefst orientierungslosen Gesellschaft zu einem demokratischen Selbstverständnis.
In den 80er-Jahren ging Richard von Weizsäcker einen entscheidenden Schritt weiter, die Niederlage des 8. Mai 1945 deutete er in einer historischen Rede als eine Befreiung der Deutschen vom Nationalsozialismus, eine Befreiung nicht der Opfer, sondern auch der Täter aus den Fängen des Unrechts.
Gaucks Botschaft sind Freiheit und Demokratie
Joachim Gauck mischt sich gern ein – und vor allem unter die Bürger. Seine Botschaft sind Freiheit und Demokratie. Nicht immer gefällt, was er sagt. Sein Talent zeigt sich, wie er es sagt, im persönlichen Dialog und in öffentlicher Rede. Ihm gelingt es, in vielen Momenten passende Worte zu finden – mal verständnisvoll, mal mutig, immer ehrlich.
Wie keiner seiner Vorgänger setzt er Akzente in der Außenpolitik. Und in der Außenpolitik sind Worte schon selbst Politik. Beim Antrittsbesuch in Jerusalem 2012 korrigierte er die Bundeskanzlerin. Israels Sicherheit sei "bestimmend" für deutsche Politik, aber keine Staatsräson, weil er von diesem Begriff nur "enorme Schwierigkeiten" erwarte.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz überraschte er mit einem klaren Bekenntnis, dass sich Deutschland seiner Verantwortung in den Krisen der Welt zu stellen habe. Gleichzeitig redete er seinen Landsleuten ins Gewissen, diese neue Rolle erst noch einüben zu müssen.
Und als in diesem April die Regierungsfraktionen im Bundestag herumdrucksten, ob es diplomatisch klug sei, den Völkermord des Osmanischen Reiches an den Armeniern auch so zu benennen, verkündete er unmissverständlich: er verwende den Begriff Völkermord ungeschminkt. Und siehe da, die schwarz-rote Koalition folgte dem Zwischenruf aus dem Präsidialamt.
Gauck nützt eine Lücke
Mit seinem Amtskollegen Erdogan und der islamisch-konservativen Regierung in Ankara hatte er sich schon vor einem Jahr bei einem Besuch der Türkei angelegt. Vor Studenten beschwor Gefahren für die Demokratie am Bosporus.
Joachim Gauck nutzt eine Lücke. In Zeiten einer Großen Koalition ist die Stimme der kleinen grün-linken Opposition kaum zu vernehmen. Und Angela Merkel pflegt in heiklen Fragen ihren kommunikativen Minimalismus. Sie teilt stets nur den kleinsten politischen Schritt mit und den auch nur rein technisch, aber sie meidet jede Vision und weitere Perspektive.
Ab und zu springt der Bundespräsident ein – mal als Nebenaußenminister, mal als Mahner der Nation. Die Neugierde wächst deshalb, was er morgen zu den Flüchtlingen in Deutschland und Europa zu sagen haben wird.
Jörg Himmelreich schreibt als Autor für die "Neue Zürcher Zeitung" und forscht zu kulturgeschichtlichen und außenpolitischen Themen Russlands und Asiens. Er war Mitglied des Planungsstabs des Auswärtigen Amts in Berlin sowie Gastdozent und politischer Berater in Washington, Moskau und London.
Jörg Himmelreich
Jörg Himmelreich© Peter Ptassek
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