Bundesbildungsministerin fordert Ende des Koalitionsstreits

Annette Schavan im Gespräch mit Nana Brink · 22.06.2010
Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat von den Kabinettsmitgliedern der Regierung eine stärkere Koalitionsdisziplin gefordert. Zugleich verteidigt sie den vielfach kritisierten Führungsstil der Kanzlerin.
Nana Brink: Gurkentruppe, sagen viele. Höflich ausgedrückt könnte man sagen, die Koalition in Berlin ist zerstritten, zumindest melden sich dauernd Vertreter vor CDU, CSU und FDP zu Wort, die den jeweils anderen wüst beschimpfen. Eine, die sich da zurückhält und eher an Sachthemen interessiert ist, ist Bildungsministerin Annette Schavan, gleichzeitig stellvertretende CDU-Chefin. Aber auch in ihr Ressort fällt viel Streitpotenzial, zum Beispiel über das sogenannte Zehn-Prozent-Ziel, also zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen laut Koalitionsvertrag für Bildung und Forschung ausgegeben werden. Die CDU-Ministerpräsidenten wollen da ihrer Ministerin alles andere als folgen – Uneinigkeit also, wohin man blickt. Und ich bin jetzt verbunden mit CDU-Bildungsministerin Annette Schavan, einen schönen guten Morgen, Frau Schavan!

Annette Schavan: Schönen guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Die Regierung hat sich auch nach sechs Monaten nicht gefangen. Sie sind stellvertretende CDU-Chefin und Vertraute der Bundeskanzlerin. Wie bezeichnen Sie das Bild der Koalition bislang?

Schavan: Die Koalition ist besser als das Bild, das sie abgibt. Wir haben wichtige Entscheidungen getroffen, dazu gehört zum Beispiel das Zukunftspaket nach der Haushaltsklausur. Aber richtig ist auch, die Bürger haben den Eindruck, dass wir zu stark mit uns selbst beschäftigt sind, Streit an der Tagesordnung ist, und deshalb muss wirklich jetzt Konzentration in der Sache erfolgen. Wir müssen deutlich machen, dass wir überzeugt sind von unseren Beschlüssen, und damit das schaffen, wovon oft gesprochen worden ist: Deutschland stärker aus der Krise herauszuführen, als das Land hineingegangen ist.

Brink: Wo sind denn die Störenfriede? Sitzen die in Bayern?

Schavan: Das ist viel zu einfach zu personalisieren. Es muss bei jedem Begeisterung in der Sache deutlich werden. Ich beteilige mich nicht am Beschimpfen der Kollegen, ich finde, wir haben gute Beschlüsse gefasst. Es gibt große Erwartungen, dass wirklich in so schwieriger, wirtschaftlich schwieriger Situation wir uns konzentrieren.

Brink: Aber das Beschimpfen von Kollegen ist ja nun zum Grundtenor dieser Koalition geworden, egal wo man sie nun verortet. Viele sagen ja auch, die Kanzlerin hat es bislang nicht geschafft, ein Klima der Zusammenarbeit zu schaffen, gerade aus Reihen der FDP kommt diese Kritik. Ist das wahr?

Schavan: Das ist ganz eigentümlich, weil ja normalerweise immer gesagt wird, Merkel vergisst, auf den Tisch zu hauen. Ich finde, es muss Konzentration auf die Sache erfolgen und wir müssen alle lernen; die Bürger finden, dass der Streit in der Sache nicht immer übertragen werden darf auf Streit der Personen, und das muss in den nächsten Wochen deutlich werden, dass uns die Sache begeistert, dass uns die Sache verbindet, dass Ringen in der Sache nicht schon Streit ohne persönlichem Wohlwollen ist. Wir brauchen mehr persönliches Wohlwollen im Umgang miteinander.

Brink: Aber Sie sind ja eine Merkel-Vertraute. Warum hat sie dann nicht eingegriffen, warum hat sie nicht genau das herbeigeführt, warum macht sie das nicht klar nach außen: Ich bin die Chefin und nun spielt ihr alle mit im Team?

Schavan: Wir sind alle erwachsene Menschen. Warum wartet eigentlich jeder darauf, von der Chefin gesagt zu bekommen, was er zu tun hat? Im Übrigen: Wer sagt eigentlich, dass Angela Merkel nicht ihren Führungsanspruch im Kabinett auch klar artikuliert? Ihre Art der Führung überzeugt, weil sie Menschen ernst nimmt, weil sie die Kabinettskollegen ernst nimmt, und wir sollten uns genau darauf einstellen, dass wir ernst genommen werden.

Brink: Ein Teil der Zerstrittenheit, die ja auch nach außen hin vermittelt wird, hat auch mit der Wahl des Bundespräsidenten zu tun. Das ist ja nun auch ein Teil parteipolitischen Gezänks geworden. Ihr Parteifreund Kurt Biedenkopf hat zum Beispiel kürzlich gefordert, die Wahl freizugeben. Ist das eine gute Idee?

Schavan: Ich schätze Kurt Biedenkopf sehr, finde diese Idee aber nicht gut. Denn wir haben Christian Wulff nominiert und nun ist doch klar, dass jemand, der nach vielen Jahren der politischen Erfahrung, der mit großer Überzeugungskraft seine politische Arbeit geleistet hat, jetzt auch erwarten kann, dass wir zu dieser Nominierung stehen. Ich bin da sehr zuversichtlich. Natürlich geht es auch darum, an diesem Tag Geschlossenheit zu zeigen, natürlich geht es an diesem Tag auch darum zu zeigen, wir wissen, wen wir da nominiert haben und dass Christian Wulff für uns ein wirklich guter Bundespräsident ist.

Brink: Aber trotzdem vermittelt sich ja den Leuten nach außen, dass es ein Streitpunkt ist, also dass die Koalition sich auch da streitet, zum Beispiel Sachsens Ministerpräsident Tillich von der CDU hat nun die FDP aufgefordert, Kurs zu halten, weil die FDP-Wahlmänner eben nicht so ganz auf der Wulff-Linie sind. Ist das nicht auch wieder ein Zeichen von Zerstrittenheit und parteipolitischer, ja eigentlich Vorteilnahme daraus, will man Kapital schlagen?

Schavan: Auch bei jeder anderen Bundespräsidentenwahl hat es im Vorfeld selbstverständlich die eine oder andere Stimme gegeben, die gesagt hat: Ist das jetzt wirklich so richtig, musste es der sein, ist es richtig, alle Mitglieder der Bundesversammlung der eigenen Fraktion zu verpflichten? Es war nie anders und deshalb sollten wir aufhören, jede kritische Frage, die heute gestellt wird, schon als den Ausbruch von großem Streit zu werten.

Brink: Ein anderer Grundsatzstreit, der ja in Ihr Ressort fällt, geht über die bessere Finanzierung der Bildung zwischen Bund und Ländern, es geht um das Zehn-Prozent-Ziel, also zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes soll für Bildung verwendet werden – ein Streitpunkt. Die CDU-Ministerpräsidenten haben Ihnen da schon eine Rote Karte gezeigt ...

Schavan: Es ist ganz klar, dass zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung zu investieren in diesen Zeiten ganz anstrengend ist. Dennoch bleibe ich dabei und werbe dafür, auch bei den Ländern, denn wer will, dass wir heute die Weichen stellen für den künftigen Wohlstand, der muss bereit sein zu diesen Investitionen. Da wird es einen Wettbewerb der Länder geben. In manchen Ländern sind erhebliche Anstrengungen schon heute im Landeshaushalt, um dieses Ziel zu erreichen, der Bund steht, zwölf Milliarden werden in den nächsten Jahren investiert und dann rate ich uns, neben dem Geld auch andere bildungspolitische Themen aufzugreifen. Denn natürlich stimmt auch: Nicht alles hängt am Geld. Die Finanzausstattung muss stimmen, aber es muss eben auch stimmen die Begeisterung für das Thema Bildung.

Brink: Aber die Länder sind da nicht so engagiert bei der Sache. Es gibt eine ganz klare Übereinstimmung aller Ministerpräsidenten gegenüber dem Bund, die heißt: Wenn ihr uns nicht unterstützt mit einem Mehranteil des Steueraufkommens, dann machen wir da nicht mit. Da nützt doch der ganze Enthusiasmus wenig?

Schavan: Interessant ist ja aber, dass sie das Zehn-Prozent-Ziel nicht in Zweifel ziehen. Und wer noch sich die Zeit von vor drei oder vier Jahren vor Augen führt, der muss sagen: Auch wenn enorm viel gestritten worden ist, aber in diesen letzten Jahren haben wir viel erreicht, weil es Konsens über die notwendigen Bildungsreformen gibt, auch über die notwendigen Investitionen, und in dieser Frage – gibt es Steuerpunkte, ja oder nein – war jetzt kein Konsens zu erzielen, also warten wir ab. Denn, noch einmal gesagt: Es wird in den Ländern erhebliche Bemühungen geben und daran wird sich übrigens jedes Land bei jeder Landtagswahl messen lassen müssen.

Brink: Vielen Dank, Bildungsministerin Annette Schavan, stellvertretende CDU-Vorsitzende, für das Gespräch!

Schavan: Bitte schön!