Bütikofer: "Gabriel ist viel zu soft"

Im Gespräch mit Ernst Rommeney und Matthias Thiel · 07.04.2007
Reinhard Bütikofer hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel scharf kritisiert. Die Steinkohle werde wohl deshalb von ihm privilegiert, weil er als Sozialdemokrat mit der "Steinkohle verheiratet" sei. Bütikofer forderte zusätzliche Anstrengungen beim Klimaschutz. Ein neues Wärmegesetz könne die "Energieverschwendung" im Gebäudebereich eindämmen.
Deutschlandradio Kultur: Was machen Sie an diesem Wochenende? Gehen Sie zu einem Ostermarsch?

Reinhard Bütikofer: In Lubmin gibt es eine große Demonstration gegen ein geplantes Kohlekraftwerk. Dazu bin ich eingeladen worden und da spreche ich.

Deutschlandradio Kultur: Ist das der einzige?

Bütikofer: Ja.

Deutschlandradio Kultur: Denn es geht ja da um Umwelt- und Energiepolitik. Normalerweise treffen sich die Ostermarschierer, um die Abrüstung als Thema zu haben.

Bütikofer: Ich freue mich natürlich, dass sich die Einsicht verbreitet, dass Energiepolitik sehr viel mit Frieden zu tun hat. Die Kriege der Zukunft werden nicht zuletzt, wenn wir die Weichen vorher nicht richtig stellen, Kriege um knappe Ressourcen und knappe Energie sein. Insofern hängt das in der Tat eng zusammen. Ich freue mich natürlich auch über Abrüstungskampagnen. Nur dass ich jetzt das ganze Wochenende nicht mit Ostermärschen zubringe, liegt schlicht daran, dass meine Kinder mich besuchen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wie steht die Partei zur Friedensbewegung? Sie sprachen eben schon von den Kriegen der Zukunft. Hat die Partei inzwischen ein zwiespältiges Verhältnis zur Friedensbewegung?

Bütikofer: Die Friedensbewegung selbst ist eine vielgestaltige Veranstaltung. Da gibt es, wie es immer war, Kinder unterschiedlicher Denkungsart. Es gibt Pazifistinnen und Pazifisten, für die jede militärische Operation grundsätzlich auszuschließen ist. Und es gibt andere, die sich gegen deutsche Beteiligung wehren etc., etc. Wir betrachten uns – so haben wir es auch nach langen Diskussionen in unserem Grundsatzprogramm mal aufgeschrieben – als eine Partei, die Politik für Gewaltfreiheit macht und die das zum Ziel hat, wie immer, wie seit Gründung. Aber gleichzeitig sind wir in den Auseinandersetzungen – etwa um die kriegerischen Ereignisse der 90er Jahre auf dem Balkan – zu dem Ergebnis gekommen, wir glaube, dass wir nicht in jeder einzigen Situation immer sagen können, wir schließen militärische Mittel aus. Manchmal, wie Erhard Eppler mal gesagt hat, ist Militär die Voraussetzung dafür, dass Frieden möglich wird. Nicht "Militär kann Frieden schaffen", dafür braucht es was ganz anderes. Aber ohne zum Beispiel jetzt in Afghanistan den notwendigen zivilen Aufbau des Landes, den wichtigen demokratischen Impuls im Land auch militärisch zu schützen, würde das alles sicherlich nicht gelingen können.

Deutschlandradio Kultur: Aber wird das denn wirklich auf der Straße bei den Ostermärschen so diskutiert? Oder sind es eher die Linken, die Ihnen da den Rang ablaufen, weil sie eben auch gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr sind, ganz einfach?

Bütikofer: Ich habe jetzt keine aktuellen Umfragen zur Hand, mit denen ich belegen könnte, wer wem den Rang abläuft. Ich erinnere mich aber, dass die PDS mal in der Vergangenheit solche Umfragen gemacht hat und zu ihrem großen Erstaunen feststellte, dass wir Grünen offenkundig bei denen, die sie gefragt haben, in Friedensfragen wesentlich glaubwürdiger waren. Ich glaube auch, dass die Menschen da viel weiter sind als manche von diesen linken Ideologen, die da vor allem Parolen verbreiten, während es in Wirklichkeit ja darauf ankommt Nachdenken zu verbreiten.

Deutschlandradio Kultur: Im Bundesvorstand waren Sie in der Frage der Einsätze von Bundeswehrtornados in Afghanistan ja eigentlich ganz alleine, obwohl der Parteitag beschlossen hatte, keine Ausweitung der militärischen Einsätze in Afghanistan zuzulassen. Trotzdem waren Sie der Einzige in der Parteiführung, der sich für die Tornadoeinsätze da eingesetzt hat. Warum?

Bütikofer: Also, das Bild, dass wir da zerrissen wären, das stimmt nicht. Wir waren uns sehr einig in der strategischen Orientierung, dass es dort einen neuen Anlauf braucht, dass viel mehr zivile Mittel rein gesteckt werden müssen – auch von Deutschland. Es ist besonders ironisch, dass die USA gegenwärtig wesentlich mehr für zivilen Aufbau draufpacken, auch die Kanadier etwa oder die EU, als die Deutschen. Wir waren uns sehr einig, dass es eine neue Strategie im Vorgehen gegen die Drogenwirtschaft braucht. Es kann nicht erfolgreich sein, wenn man die kleinen Bauern zum Hauptfeind dieses Kampfes erklärt usw. Es gibt da viele Punkte, wo wir einfach sagen müssen, es braucht eine neue Strategie.

Und dann waren wir uns nicht einig in der Frage, ob die Tornados einen Beitrag dazu leisten können. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass die Tornados da eine positive Rolle spielen können, weil es durch mehr Aufklärung dessen, was da von den Taliban an Hinterhalten gelegt wird, auch möglich ist, den Aufbau besser zu schützen. Wir wissen, dass es verschiedene NGO gibt, die derzeit sagen, wir trauen uns nicht in den Süden unsere Leute zu schicken, weil die Sicherheitslage dort so schwierig ist, dass der Aufbau gar nicht gelingen kann. Wir wissen das auch von Leuten wie Tom Königs, der im Auftrag der UNO dort arbeitet. Wir wissen von dem afghanischen Außenminister, der ja Mitglied unserer Partei ist, dass im letzten Jahr zwischen 150 und 200 Schulen von den Taliban im Süden des Landes abgefackelt worden sind. Vor dem Hintergrund ist für mich das Argument stichhaltig: Wir müssen das, wenn wir es mit dem Aufbau ernst meinen, auch schützen.

Im Übrigen ist es nicht so, dass der Parteitag, um das auch aufzugreifen, überhaupt über die Tornadofrage diskutiert hätte. Was im Parteitag eindeutig abgelehnt worden ist, und ich habe diese Passage in dem Beschluss selber mit formuliert, war die damalige Diskussion um die Entsendung von deutschen Bodentruppen in den Süden. Darum ging die Diskussion im Parteitag. Und da hat er gesagt, das wollen wir nicht, aber wir stehen zur militärischen Mitverantwortung. Das hat er ausdrücklich beschlossen. Insofern sehe ich mich in dieser Tradition.

Deutschlandradio Kultur: Aber Joschka Fischer empfiehlt nun, gerade auch ihrer Partei, ein starkes militärisches Engagement in den Krisengebieten nicht zu scheuen. Droht da nicht doch eine neue Zerreißprobe?

Bütikofer: "Zerreißprobe" ist, glaube ich, nicht das richtige Wort. Aber eine neue Diskussion ist da immer nötig. Man muss die Situation einschätzen. Würde ich nicht glauben, dass der Aufbau in Afghanistan – wenn die Weichen richtig gestellt werden – noch erfolgreich gestaltet werden kann, würde ich auch ganz andere Diskussionen führen. Das ist doch klar. Deswegen muss man immer wieder hingucken. Man kann nicht sagen, wir haben uns einmal entschieden, wir schicken Bundeswehr nach Afghanistan und dann gucken wir einfach zu, egal, was passiert, dass sie da bleiben oder immer mehr dazu kommen und man sich in irgendeinen kriegerischen Morast ziehen lässt oder in ihm irgendwann wiederfindet. Das ist doch eindeutig.

Und wir werden auch als Grüne mit einer längeren Perspektive darüber reden, was insgesamt unsere Erfahrungen mit diesen Auslandseinsätzen sind, die wir seit Ende der 90er Jahre mit verantwortet haben. Manche davon waren offensichtliche Erfolgsgeschichten – Mazedonien zum Beispiel. Manche davon sind nicht so ganz leicht zu bewerten. Wie ist das im Kosovo zu bewerten? Wie sicher sind wir, dass nicht demnächst wieder...

Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja auch Beispiele, dass es nicht unbedingt immer von Vorteil gewesen ist.

Bütikofer: Die Jury im Falle Kosovo ist noch nicht zurückgekehrt und hat ihr Verdikt, glaube ich, noch nicht gefällt. Insgesamt glaube ich schon, dass deutsche Politik – und dem kann sich keine Partei entziehen und dem wollen wir uns auch nicht entziehen – zur Kenntnis nehmen muss, dass die ganze europäische Gemeinschaft in ihrer eigenen Tradition als Friedensunion auf der historischen Grundlage und mit dem historischen Bewusstsein, dass dieses Europa als Friedensprojekt zusammengewachsen ist, global eine größere Verantwortung übernehmen muss. Die Herausforderung an Europa ist heute nicht mehr nur, untereinander Frieden zu halten, sicherzustellen, dass Deutsche und Franzosen nicht wieder alle 50 Jahre aufeinander einschlagen. Sondern die Herausforderung für die europäische Politik ist schon auch, Mitverantwortung zu übernehmen. Und da ist ganz viel – und da ist Europa stark – im Bereich der zivilen Konfliktprävention und der zivilen Konfliktbearbeitung, aber da gibt es auch Verantwortungen durch Truppeneinsätze im Rahmen der Vereinten Nationen. Das wird wenig diskutiert. Und diejenigen – bei der Linkspartei etwa, die sich nicht genug tun können, das Afghanistanengagement insgesamt schlecht zu reden, sagen selten dazu, dass dieses mit einem Mandat der Vereinten Nationen geschieht.

Deutschlandradio Kultur: Aber warum gibt es in Ihrer Partei Rücktrittsforderungen an Sie, aus NRW, von der Grünen Jugend. Da scheint man doch nicht einverstanden zu sein, dass es noch immer eine Option für Militäreinsatz und für Bundeswehreinsatz gibt.

Bütikofer: Ich bin jetzt in dieser grünen Partei schon ziemlich lange aktiv und ich habe schon ziemlich viele Friedensdiskussionen in dieser Partei mitgemacht. Ich war 1993 einer der Ersten, die gesagt haben, man muss gegen die Völkermordpolitik von Milosevic in Bosnien-Herzegowina auch mit militärischen Mitteln Widerstand leisten. Im Verhältnis zu dem, was es da an Aufregung und tiefer Zerrissenheit gegeben hat, war diese Rücktrittsforderung eines NRW-Landtagsabgeordneten, der dafür noch nicht mal den Rückhalt seines Kreisverbands gekriegt hat, meines Erachtens jetzt nicht großer Erwähnung wert.

Deutschlandradio Kultur: Themenwechsel, Herr Bütikofer. Hat Sigmar Gabriel Ihnen schon geantwortet?

Bütikofer: Hat er mir geantwortet? Ich rede immer mal mit ihm. Aber einen Brief habe ich jetzt gerade keinen gekriegt.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben ihm viele Ratschläge und Mahnungen mit auf den Weg gegeben zur Umwelt- und Energiepolitik. Hat er überhaupt nicht darauf reagiert?

Bütikofer: Sagen wir so: Wenn ich mit Sigmar Gabriel rede, sind wir uns in der Analyse dessen, was nötig wäre, oft einig. Ich stelle nur dann immer fest, wenn er als Umweltminister handeln soll, dann tut sich da eine Kluft auf zwischen dem klugen Analytiker Gabriel und dem aktiven Politiker. Noch mehr fällt mir auf, dass derzeit der Sigmar Gabriel in der SPD fast der einzige sichtbare Kopf ist, der in diese Richtung redet. Mir fallen viel mehr ein, die jetzt in der Klimadebatte gewarnt haben, dass man es nicht übertreiben darf. Struck hat von "Klimahysterie" geredet. Beck hat abgewiegelt. Verheugen wollte, wie üblich, vor allem die Industrie schützen. Müntefering hat gesagt, seid mal vorsichtig. Also, da kommt mir manchmal Sigmar Gabriel vor als einsamer Rufer in der Klimawüste bei der SPD. Und dann würde ich allerdings auch hinzufügen, er macht schon auch erhebliche politische Fehler. Zum Beispiel habe ich es für einen schweren Fehler gehalten, dass in der beginnenden Diskussion über die nächste Handelsphase beim Emissionshandel Sigmar Gabriel der Allererste war, der gesagt hat, also, Emissionszertifikate versteigern wollen wir nicht. Ich weiß nicht, auf wen er da gehört hat, aber es war ein schlechter Rat jedenfalls, weil wir jetzt feststellen, die Wirtschaft ist überausgestattet mit Zertifikaten. Die erwünschte ökologische Lenkungswirkung findet gegenwärtig überhaupt nicht statt. Und wenn wir jetzt nicht zum Emissionshandel das tun, was uns alle Ökonomen raten, dass wir tatsächlich die Verschmutzungsrechte versteigern, um eine solche Lenkungswirkung zu erzielen, dann wird uns ein wunderschönes Instrument, um das uns viele – bis nach Kalifornien – beneiden, unter der Hand zerbröseln. Da ist es dann eben ein Fehler, wenn der verantwortliche Minister als erster Stichwortgeber für eine Position daherkommt, die gerade in die falsche Richtung läuft.

Und dann auch, was sich jetzt zum Beispiel in der Auseinandersetzung über die Kohleprivilegien im Emissionshandel praktisch tut, gefällt mir überhaupt nicht. Er ist da viel zu soft, um das mal freundlich auszudrücken. Dass Steinkohle gegenüber Gas privilegiert wird, ist für ihn der Ausgangspunkt. Da ist nicht der Ökologe Gabriel am Werk, sondern da ist der Sozialdemokrat am Werk, der seit Jahrzehnten mit der Steinkohle verheiratet ist. Und dann scheint er sogar gegenüber der Braunkohle einzuknicken. Also, es gibt da Vieles. Nur ich betrachte ihn jetzt nicht als Feind, sondern ich möchte ihn gerne als einen Partner haben, weil ich überzeugt bin, mit einem hat er auf jeden Fall Recht, dass wir eine ökologische Innovationspolitik brauchen, dass wir eine ökologische Industriepolitik brauchen. Das ist richtig. Das ist etwas, was die SPD insgesamt nicht gelernt hat. Da würde ich mir manchmal wünschen, sie würden mehr auf ihn hören.

Deutschlandradio Kultur: Aber sind Sie nicht zu radikal? Sie wollen aus der Braunkohle richtig aussteigen. Wie erklären Sie das den Leuten in Ostdeutschland? Sie stellen die ganze Stromwirtschaft da infrage.

Bütikofer: Ich war gerade in der zurückliegenden Woche bei einem jungen Solarunternehmen in der Nähe von Leipzig, die dargelegt haben, wie sie sich mit einer hochmodernen Solartechnologie, Photovoltaik, am Markt platzieren wollen. Wenn man genau hinguckt, findet man genug Studien, die sagen: Wenn die Entwicklung da tatsächlich so weitergeht, wie es im Moment sich abzeichnet, dann ist bis 2010 sogar bei der Solarbranche, die immer als besonders teure erneuerbare Energie gegolten hat, ein Kilowattstundenpreis am Markt ohne Subvention wie bei der Braunkohle darstellbar. Jetzt schon ist es so, dass die erneuerbare Branche, was die Arbeitsplatzzahlen in Ostdeutschland betrifft, eine der Boombranchen ist. In Sachsen gibt es noch die Automobilbranche, die enorm Arbeitsplätze aufgebaut hat, aber sonst gibt es wahrscheinlich im ganzen Osten nix, was so viel an ökonomischem Potenzial darstellt und ganz konkret Beschäftigungsmöglichkeiten bietet.

Deutschlandradio Kultur: Ich habe das oft gehört. Es geht doch hier um die Frage, dass die Stromerzeuger jetzt in neue Kraftwerke investieren wollen. Aber sie haben jetzt noch nicht die gleiche Kapazität, um in erneuerbarer Energie einen Ersatz zu schaffen. Sie müssen doch in die Kohle rein.

Bütikofer: Das stimmt so nicht zusammen. Erst mal geht es um die Frage des Volumens. Wenn alle die Kohlekraftwerke gebaut werden, die jetzt in der Planung sind, dann haben wir am Schluss mehr CO2-Emissionen in Deutschland als wir 1990 hatten. Also, was immer wir machen, wenn wir das machen, sind wir völlig verrückt geworden. Jetzt liegt der neueste IPCC-Bericht auf dem Tisch, der in einer sehr, sehr eindeutigen Sprache darlegt, was Klimawandel, wenn er außer Rand und Band gerät, bedeutet, und zwar nicht nur für Afrika als dem Kontinent, den es am härtesten trifft, sondern auch für unsere Breiten. Und man kann in einer solchen Situation nicht mehr so kurzsichtig denken. Zweitens, die Kohle ist nicht alternativlos. Die Kohle kann ersetzt werden zum Teil schon durch mehr erneuerbare Energie. Es gibt Restriktionen gegen erneuerbare Energie. Die sind willkürlich und die muss man infrage stellen. Heute sind, weil die Nabenhöhe von Windmühlen inzwischen bei 105 oder 125 Meter liegt, Windstandorte hoch ertragreich, die man in der Vergangenheit nicht einbeziehen konnte. Aber es wird durch Planungsschikanen unmöglich gemacht, solche Windstandorte auszunutzen. Es gibt eine Zahl von Hermann Scheer, die ich beeindruckend finde, der mal ausgerechnet hat: Wenn in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen so viel in Windkraft investiert würde oder so viel Windkraft zugelassen würde wie in Sachsen-Anhalt, dann wäre das Potenzial in Deutschland 50 Prozent höher als wir derzeit haben. Also, da wird von denen, die sagen, wir haben keine Alternative, eine reale Alternative, die es gibt, blockiert.

Drittens haben wir Gas als Übergangstechnologie. Das finde ich ökologisch wesentlich weniger gefährlich. Viertens haben wir, das wird oft in der Diskussion völlig vergessen, die große Ressource Einsparung. Wir haben jetzt im Hausbereich, im Gebäudebereich 50 Prozent Energieverschwendung. Warum können wir nicht sagen, wir machen ein Erneuerbares Wärmegesetz – lang versprochen, immer verzögert – wie beim erneuerbaren Strom, das einen Markt schafft für erneuerbare Energie? Wir haben es ja beim erneuerbaren Strom durchs EEG erlebt, wie da die Post abging. Warum können wir nicht sagen, wir machen gesetzliche Standards, die vorschreiben, dass Häuser, die heute gebaut werden, insbesondere auch solche, die von der öffentlichen Hand gebaut werden, nur noch in Niedrigenergiebauweise gebaut werden, so dass Energie gespart wird? Das sind alles reale Alternativen zu diesem Kohlewahnsinn.

Deutschlandradio Kultur: Aber das sind Vorschläge von den Grünen, die jetzt kaum öffentliches Gehör finden, weil alle reden...

Bütikofer: Jetzt, weil wir drüber reden, schon ein bisschen mehr.

Deutschlandradio Kultur: Aber trotzdem, in der öffentlichen Wahrnehmung ist das urgrüne Profil, der Umwelt-, der Klimaschutz, so ein bisschen abhanden gekommen.

Bütikofer: Nee, nee, nee! Das bestreite ich rundweg. Es gibt eine Umfrage, die die WELT publiziert hat, wo der deutsche Durchschnitt gefragt wurde: Welcher Partei trauen Sie beim Klimaschutz was zu? Da sagen 52 Prozent, "den Grünen", und der nächste ist die CDU mit acht und die SPD mit sechs Prozent. Und sonst gibt es niemanden mehr, dem man was zutraut. Das heißt auf Deutsch: Das Vertrauen in unsere Kompetenz, da vernünftige Vorschläge zu machen, ist größer als das in alle anderen zusammen. Und das kann man auch an bestimmten Punkten konkretisieren.

Zum Beispiel ist ja lange gestritten worden, ob Tempolimit auf Autobahnen geht oder nicht geht. Heute haben wir eine 60-Prozentmehrheit in der Bevölkerung, die sagt, wenn es dem Klima hilft, machen wir das. Also, diese Art von Isolierung, die Sie da unterstellen, die Grünen sind im Off, das erlebe ich gerade umgekehrt. Ich erlebe mehr Resonanz für grüne Ideen. Ich erlebe, dass andere das zum Teil aufnehmen, manche nur rhetorisch.

Deutschlandradio Kultur: Und damit geht es allein schon als Merkmal der Grünen verloren, weil andere Parteien es auch aufnehmen.

Bütikofer: Nun, um dieses Alleinstellungsmerkmal kämpfe ich auch nicht. Ich will ja nicht, dass ich der Einzige bin, der davon redet, dass es einen Klimawandel gibt. Ich will ja nicht, dass ich der Einzige bin, der sagt, man muss was tun. Wenn es stimmt, dass man was tun muss, dann muss ich dran interessiert sein, dass es alle begreifen und dass alle sich jedenfalls in die Auseinandersetzung darum begeben, wie man es denn macht. Und mein Alleinstellungsmerkmal als Grüne liegt heute darin, dass ich sagen kann: Wir brauchen einen radikalen Realismus. Wir dürfen nicht weiterhin der Liebedienerei gegenüber bestimmten Lobbys den Vorrang gegenüber dem Notwendigen geben, was zu tun ist. Und diese Unabhängigkeit, die wir haben, dass wir eben nicht mit der Kohle verheiratet sind, wie die SPD, oder mit dem Atom, wie die CDU, dass wir uns auch nicht von der IG Bau, Steine, Erden oder von der IG Chemie vorschreiben lassen, wie radikal man im Ökologischen sein darf, das ist, glaube ich, eine große Qualität. Und dann haben wir uns halt nicht nur mit den Überschriften beschäftigt, sondern auch mit den konkreten Lösungsstrategien.

Deutschlandradio Kultur: Bloß mit wem wollen Sie das durchsetzen, wenn es wirklich so ist, dass Sie radikal sein wollen. Die großen Parteien, SPD und CDU, sind nicht so radikal. Wen haben Sie als Partner?

Bütikofer: Nun, wenn klar ist, wir müssen Klimaschutz vorantreiben, dann braucht es jemanden, der diese Notwendigkeit deutlich und unverstellt ausspricht und der daraus aus Konsequenzen zieht. Die Frage, wie weit man dann mit einem möglichen Partner kommt, ist immer auch die Frage, wie viel Rückhalt man für das eigene Programm bei der Bevölkerung hat. Als wir 98 in die erste rot-grüne Koalition eingetreten sind, wusste jeder, die Grünen sind radikaler als die SPD, wollen unbedingt den Atomausstieg. Die machen diese Koalition nicht, wenn sie den nicht kriegen. Das wusste auch die SPD und deswegen stand der Atomausstieg auch im Koalitionsvertrag und wurde umgesetzt. Und insofern mache ich mir jetzt erst mal keine Gedanken. Sind die noch ein paar Schritte hinter uns? Das sind sie in der Tat. Ich mache mir Gedanken darum: Wie kann ich dafür sorgen, dass ich für das, was notwendig ist, jetzt die Unterstützung und den Rückhalt in der Bevölkerung schaffe, dass alle anderen es nicht hinterher mit Verweis darauf, ja, aber Deutschland ist noch nicht so weit, blockieren können.

Deutschlandradio Kultur: Herr Bütikofer, wie gut spielen Sie Schach?

Bütikofer: Ich war jetzt gerade bei der Europameisterschaft in Dresden und habe da ein paar spielen sehen, lauter Großmeisterinnen und Großmeister – daran gemessen, schrecklich schlecht.

Deutschlandradio Kultur: Gehen Sie wegen der strategischen Schulung zu den Schacheuropameisterschaften?

Bütikofer: Nee, einfach, weil ich Fan bin.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben sich nicht in Serie von einem Großmeister besiegen lassen?

Bütikofer: Ich habe einmal, und da war ich noch Jugendlicher, an einer Simultanveranstaltung teilgenommen, als der Großmeister Lothar Schmied in Speyer in meinem damaligen Schachklug in einer Simultanveranstaltung war. Gegen den habe ich immerhin Remis gespielt.

Deutschlandradio Kultur: Herr Bütikofer, wir danken für das Gespräch.