"Bühne frei für Mick Levcik!"

René Polleschs neuester Streich

Der Autor und Regisseur Rene Pollesch spricht am 5. Mai 2012 in Berlin zur Verleihung des Theaterpreises.
René Pollesch hat für sein Stück vermutlich den Decknamen gewählt, um Ärger mit den Brecht-Erben zu vermeiden. © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Von Elske Brault · 01.04.2016
Mit "Bühne frei für Mick Levcik!", inszeniert am Schauspielhaus Zürich, spürt Regie-Ikone René Pollesch der bleibenden Bedeutung Bert Brechts nach. Die Protagonisten kalauern sich durch die Theatertradition, der Chor trägt SS-Uniformen und der Hitlergruß ist Teil einer Saturday-Night-Disco-Nummer.
Ein Halbrund aus Bambusmatten, feuerrot, begrenzt nach hinten die Bühne. Bänke stehen davor, auf ihnen warten die Schauspieler. Denn "Auftritt" ist erst, wenn sie zwischen die vier hohen, von Pferdeschädeln bekrönten Holzpfähle treten. So inszenierte Bert Brecht mit seinem Bühnenbildner Caspar Neher 1948 die "Antigone" des Sophokles. Die Aufführung war ein Flop, ist jedoch in einem "Modellbuch" genau dokumentiert. Die nahezu leere Bühne, die im Hintergrund stets präsenten Schauspieler, die Kommentare, "Brückenverse" genannt, mit denen sie ihre Handlungen beschrieben, all das ist festgehalten und war 1948 revolutionär. Im Pollesch-Theater der Gegenwart ist es Standard. Bert Neumann hatte vor seinem Tod im vergangenen Jahr die Idee, das Bühnenbild von damals nachzubauen und es damit zum Ausgangspunkt einer theatralen Befragung zu machen: Was sagt uns Brechts episches Theater heute?

Angst vor den Brecht-Erben

"Bühne frei für Mick Levcik" am Schauspielhaus Zürich heißt im Grunde "Bühne frei für Bert Brecht", vermutlich hat René Pollesch den Decknamen gewählt, um Ärger mit den Brecht-Erben zu vermeiden, die unlängst das Verbot der Castorfschen "Baal"-Inszenierung erwirkt haben. So kann er seine vier Schauspieler und einen Herrenchor ungehemmt herumalbern lassen und immer wieder fragen: "Worum geht es in diesem Stück?"
Anfangs ist "dieses Stück" noch die Antigone, doch immer mehr bezieht sich die Frage auf das frische Werk von René Pollesch. Und damit auch auf die Probensituation, die er hier mehr denn je thematisiert und ausstellt. "Wir fallen erst übereinander her, wenn einer sagt, "Die Probe ist beendet", heißt es im Text. Und tatsächlich fällt der 11köpfige Herrenchor dann regelmäßig über Sophie Rois her, jagt sie hinter den Bastvorhang und von der anderen Seite wieder quer über die Bühne. Der Chor will keine alte Dame spielen, der Chor soll geschlagen werden oder hebt kollektiv die Hand, um gemeinsam eine Backpfeife auszuteilen. Das ist eine kleine kostenlose Ohrfeige für die Bürgerchöre von Volker Lösch und Polleschs Fußnote zum Versuch, viele mit einer Stimme sprechen zu lassen.
Wenn das Stück nicht recht vorankommt, sinkt auf Anweisung der Souffleuse eine weiße Wand mit Tür im Vordergrund herunter, Aufschrift "Berlin 1945". Da dürfen Sophie Rois und Marie Rosa Tietjen dann in dunklen Wollmänteln und mit Kopftüchern eine Brecht-Inszenierung am Berliner Ensemble nachstellen, mit Sätzen im Brecht-Stil:
"Schwester, was ist das für ein Sack im Eck? Ein Brotlaib, Schwester, und ein ganzer Speck! Wer war da hier? – Wie soll ich’s wissen, Schwester? Besser es ist etwas da, als etwas weg."
So kalauert sich der Abend über knapp anderthalb Stunden durch die Theatertradition, stets mit dem vertrauten doppelten Dialektik-Polleschberger: Er stellt sich in eine Linie mit dem großen Brecht und denunziert zugleich dessen Versuch, mit einer "Modellinszenierung" oder theoretischen Schriften zum Theater eine bleibende Gebrauchsanweisung für "richtiges" Inszenieren zu schaffen. Sophie Rois mit ihrer markant-brüchigen Reibeisenstimme ist so auffällig der Star dieser Premiere, dass allmählich Zweifel aufkommen, ob ihre Mitspieler des Zürcher Ensembles sich nicht bewusst oder gemäß Regieanweisung zurückhalten. Besonders, als Rois immer häufiger als Helene Weigel angesprochen wird und der Satz fällt: "Jetzt geh da raus und spiel die andern an die Wand." Womit Pollesch auch die Frage aufwirft, wie viel Starallüren das moderne Theater verträgt und wie viel Gleichheit zu Brechts Zeiten hinter den Kulissen geherrscht hat, während der große Meister auf der Bühne die Gleichheit aller Menschen propagierte.

Pollesch als Teil der Theatergeschichte

Mit dem Eintauchen in den Brecht-Kosmos verliert "Bühne frei für Mick Levcik!" allerdings auch mehr den Bezug zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit als vorige Pollesch-Orgien. Nur wenn der Chor in SS-Uniformjacken und eng anliegenden Gymnastikhosen mit bunten Glitzerstreifen eine Parodie auf militärisch-zackiges Auftreten tanzt und dabei den Hitlergruß zum Teil einer Saturday-Night-Disco-Nummer macht, zerstört der Pollesch-Humor eingefahrene Sichtweisen. Im Übrigen fühlt man sich hier die meiste Zeit wie in einem Seminar am Gießener Institut für angewandte Theaterwissenschaften, wo René Pollesch seine Karriere begann. Mittlerweile hat er wie Bert Brecht eine eigene Schule begründet, und alle hier munter angewandten Demontagetechniken, alle Beschwörungsformeln, nur der einzelne lebendige Theatermoment sei wertvoll, ändern nichts daran, dass René Pollesch mittlerweile in die Theatergeschichte eingegangen ist wie längst schon Bert Brecht.

Bühne frei für Mick Levčik!
Von René Pollesch
Regie: René Polles
Mit Nils Kahnwald, Sophie Rois, Marie Rosa Tietjen, Jirka Zett
Schauspielhaus Zürich

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