Buchmesse in Kiew

Ukrainer auf der Suche nach Antworten

Der ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowitsch
Auch auf der Kiewer Buchmesse zu finden: Das Buch "Euromaidan" des ukrainischen Schriftstellers Jurij Andruchowitsch. Hier in Wien im Jahr 2014. © imago stock&people
Von Florian Kellermann · 27.04.2015
Die ukrainischen Schriftsteller versuchen, die Ereignisse im letzten Jahr in Worte zu fassen. So waren die Hauptthemen auf der Kiewer Buchmesse der Krieg in der Ostukraine und die Maidan-Bewegung. Das Angebot schwankte zwischen Propaganda und Aufklärung.
Auf der Bühne tritt eine junge Folkloregruppe auf – in den traditionell bestickten Hemden der Ukraine. Kinder wurden großgeschrieben bei der Buchmesse in Kiew. Sie tollten über die eisernen Rampen des altehrwürdigen Arsenalgebäudes. Und die Verlage präsentierten viele Kinderbücher – fantastisch illustriert, aber mitunter mit seltsamem Inhalt. Eine Veröffentlichung erzählt das "Märchen vom Maidan" mit dem gierigen Präsidenten, der das Land bestiehlt – und getöteten Demonstranten, deren Seelen weiße Tauben in den Himmel tragen.
Aber auch die ernsthafte Literatur sei im Aktuellen gefangen, sagt Mark Belorusez, Übersetzer deutschsprachiger Autoren.
"Das sind die Hauptthemen der Literatur heute: der Krieg, der Krieg und die Situation auf dem Maidan noch einmal. Alles ist politisiert – leider oder nicht leider, das weiß ich nicht, aber das ist so."
Nur sehr langsam entwickeln die Schriftsteller eine Sprache für das, was sich in den vergangenen anderthalb Jahren in ihrem Land ereignete. Viele wagen sich dabei noch nicht an literarische Texte heran. Jurij Andruchowitsch etwa gab einen Band mit Essays aus den vergangenen Monaten und Jahren heraus. Es gebe aber auch andere Beispiele, sagt Mark Belorusez.
"Die Gedichte von Schadan, die in gleichem Maß politische Gedichte und auch lyrische Gedichte sind. Ein Gedicht beginnt mit den Worten ´Wir sind Flüchtlinge` bei Schadan. Ich bin kein Flüchtling, aber ich bin solidarisch mit den Flüchtlingen, das ist schon wichtig."
Treffen der Literaturszene in Kiew
Das ist wichtig, weil Schadan damit auch die ostukrainische Perspektive einnimmt – die Perspektive derjenigen, die den Krieg hautnah erleben. Der 40-jährige Schadan zählt zu den wichtigsten Gegenwartsschriftstellern in der Ukraine. Er stammt aus Charkiw, nur 170 Kilometer vom Frontverlauf entfernt. Und er reiste durch das umkämpfte Donezkbecken. Dominiert jedoch wird die literarische Szene von Schriftstellern aus Kiew und dem Westen – mit der entsprechenden Distanz zum Industriegebiet im Osten.
Zur 5. Kiewer Buchmesse kamen sie alle. Die Veranstaltung heißt Bucharsenal, weil sie in einer über 200 Jahre alten Befestigungsanlage untergebracht ist. Der prominenteste deutsche Gast in diesem Jahr, der Historiker Karl Schlögel:
"Diese Örtlichkeit des Arsenals ist überwältigend. Und hier gibt es diese Arsenalhallen, das ist einfach ein architektonisch großartiges Bauwerk, das geradezu geeignet ist, solche großen Veranstaltungen aufzunehmen."
So konnten mehrere Podiumsdiskussionen gleichzeitig stattfinden. Sie zeigten:
So unterschiedlich die Schriftsteller die Krise ihres Landes erleben, in der Bewertung sind sich die meisten einig. Fast alle unterstützten die Maidan-Bewegung und sehen im Konflikt in der Ostukraine eine russische Aggression.
Abgrenzung vom postsowjetischen Erbe
Damit entfernten sich die ukrainischen Autoren immer weiter vom gemeinsamen postsowjetischen Erbe, so die Dichterin Marianna Kyjanowska.
"Wenn wir die zeitgenössische russische Poesie nehmen, dann beschäftigen sich sehr viele Werke mit der sowjetischen Vergangenheit. Auch wenn sie zurückgewiesen und abgelehnt wird, taucht sie doch auf, zumindest in einem nostalgischen Kontext. In der ukrainischen Poesie spielt der sowjetische Diskurs keine Rolle mehr, überhaupt keine."
Die fortschreitende Entfremdung zwischen der Ukraine und Russland war zu spüren auf dieser Buchmesse. Russische Verlage waren kaum vertreten. Sie hatten wohl auch Angst vor Pöbeleien nationalistisch eingestellter Besucher, hieß es in Kiew. Zu Unrecht, meint Julia Koslewez, Eigentümerin der Buchhandlung "Tschulan", die als der wenigen Veröffentlichungen aus Russland präsentierte.
"Es kam vor, dass Besucher fragten, ob wir nur Bücher aus Russland verkaufen. Wenn ja, dann würden sie sich gar nicht weiter interessieren. Aber das waren Einzelfälle, den meisten hier ist wichtiger, was in den Büchern steht."
Die ukrainischen Literaten konnten sich also weitgehend mit sich beschäftigen, ein wichtiger Prozess. Denn in der Ukraine gebe es nur wenige kulturelle Institutionen, sagt Katharina Raabe, beim Suhrkamp-Verlag zuständig für ukrainische Literatur. Das öffentliche literarische und intellektuelle Leben sei viel weniger entwickelt als etwa in Deutschland, daher die Bedeutung des Bucharsenals.
"Ich erlebe diese kleine Gesellschaft in diesen Arsenalräumen als eine unglaublich gesprächige, neugierige, fragende und absolut ungesättigte Gesellschaft. Und das ist etwas, das mich bezaubert und fasziniert. Man hat das Gefühl, Schriftsteller, Künstler, auch Fotografen, Dokumentaristen sind Personen geworden, in denen das Publikum sich selber widerspiegeln kann, in denen das Publikum Antworten auf die eigenen Fragen findet."
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