Buchhandel im Web 2.0

Von Kolja Mensing · 09.10.2012
Die Frankfurter Buchmesse ist eröffnet. Besonders ein Sujet wird dieses Jahr auf Panels und am Rand von Vorträgen heiß diskutiert werden: Wie der Buchhandel im digitalen Zeitalter gegenüber Online-Riesen wie Amazon bestehen kann.
Alles ganz harmonisch im großen Saal "Harmonie" - im Congress Center der Frankfurter Messe. Beschwingte Musik aus fernen, alten Zeiten - und ein Bundesaußenminister, der nicht nur auf Englisch begrüßt, sondern auch auf Maori, der Sprache der Ureinwohner Neuseelands:

"Tena kutu, tena kutu, tena kutu, katua."

Applaus, natürlich. Neuseeland als Gastland der Buchmesse, da kann eigentlich gar nicht schiefgehen: Kein Streit über Menschenrechte und Zensur, wie damals, als China oder die Türkei nach Frankfurt eingeladen waren. Guido Westerstelle klingt direkt erleichtert, wenn er feststellt:

"Wenn man in Neuseeland ist, entdeckt man so viel Vertrautes. Im Stadtbild und auch bei den Begegnungen mit den Menschen. Der Eindruck großer Nähe zwischen uns, zwischen unseren Völkern, den Menschen unserer Länder, das ist keine Illusion. Denn echte Nähe entsteht durch gemeinsame Werte."

Aber Deutschland und Neuseeland teilen nicht nur Werte, sie haben auch ein ganz ähnlich gelagertes Problem, meint Westerwelle. Die Grundlage ihrer Existenz ist eine ganz spezielle und obendrein arg bedrohte Ressource:

"Wir haben keine großen Bodenschätze, keine großen Vorkommen zwischen unseren Füßen. Der Bodenschatz der Deutschen, und das verbindet uns mit Ihnen und mit anderen Ländern, unser Bodenschatz, unser eigentlicher Schatz, er ist nicht unter unseren Füßen, sondern er ist zwischen unseren Ohren."

"Der Bodenschatz zwischen unseren Ohren", das ist eine recht originelle, ja, man möchte meinen: fast poetische Metapher. Und vielleicht wäre Guido Westerwelle mit seiner Handvoll gut gemeinter Formeln zum "Schutz des geistigen Eigentums" in Frankfurt sogar durchgekommen - wenn dem deutschen Buchhandel das Wasser nicht längst bis Hals stehen würde. Ein kräftiges Minus beim Umsatz im stationären Handel, das ist die unangenehme Neuigkeit, die zum Auftakt der Buchmesse bekanntgegeben wurde. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels:

"Die stationären Buchhändler in Deutschland mussten 2011 ein Minus von drei Prozent hinnehmen. Auch 2012 setzte sich diese Entwicklung mit mehr als minus 5,2 Prozent fort."

Schuld an dieser Entwicklung sind laut Honnefelder Online-Riesen wie der Internetbuchhändler Amazon. Egal ob gedrucktes Buch oder E-Book, egal ob Holz oder Daten-File: Kein herkömmlicher Buchhändler kann der Marktmacht der globalen Konzerne etwas entgegenhalten. Was tun? Honnefelder ruft nach dem Staat - und erklärt Frankreich zum Vorbild für Deutschland:

"Dabei machen es uns die Franzosen vor. Nicht nur haben sie den Mehrwertsteuersatz für E-Books auf sieben Prozent reduziert, Kulturministerin Aurélie Filipetti kritisiert auch offen, dass ein global agierender Medien-Gigant wie Amazon durch den steuerbegünstigten Sitz in Luxemburg mit einem Mehrwertsteuersatz auf E-Books von drei Prozent klare Wettbewerbsvorteile gegenüber dem stationären Sortiment genießt. Solche klaren Worte wünschten wir uns in diesen Zeiten auch von den deutschen Politikern und Regierungsmitgliedern."

Das sind klare Forderungen: Runter mit der Mehrwertsteuer; die Macht der großen Konzerne eindämmen. Und natürlich - das ist das nächste Panikthema - soll die Politik sich darum kümmern, dass die Preisbindung mit aller Macht erhalten bleibt:

"Wer das Buch allein den Gesetzen des Marktes unterordnet, der liefert letztlich auch die Inhalte den Marktgesetzen aus."

So wird in Frankfurt mit strengem Seitenblick auf die Politik gemahnt und gewarnt und gefordert - aber ein bisschen hilflos wirkt das schon angesichts des rasanten Umbruchs in der Branche. Self-Publishing und soziale Netzwerke, Crossmedia-Strategien und digitale Inhalte, die durch alle nur denkbaren digitalen Verwertungskanäle geschleust werden: Das sind die Themen, die in den nächsten Tagen auf der Buchmesse auf Panels und am Rand von Vorträgen heiß diskutiert werden.

Um Guido Westerwelles schöne Metapher noch einmal aufzunehmen: Das Problem ist nicht, welche Schätze wir morgen noch zwischen den Ohren haben, sondern: dass eine Branche bereits heute nicht mehr weiß, wo ihr eigentlich der Kopf steht. Der technologische Fortschritt ist da, kein Politiker wird ihn aufhalten können. Selbst wenn man im Saal Harmonie im Congress Center der Frankfurter Messe kurz nach dem Einlass für einen kurzen Moment davon träumen konnte, wie es wäre, wenn man einfach mal auf Standby schalten dürfte:

"Sehr verehrte Damen und Herren. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein, schalten Sie ihre Mobiltelefone aus."

Ein schöne Vorstellung, aber in jeder Hinsicht nicht mehr zeitgemäß. Abschalten geht wirklich gar nicht mehr. Auch nicht auf Maori.


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