Buchbranche - von wegen weiblich

Die Top-Jobs kriegen die Männer

Eine Studentin mit einem Stapel Bücher.
Zwar sind 80 Prozent der Mitarbeiter im Verlagswesen weiblich. Die Top-Positionen besetzen aber nach wie vor Männer. © dpa / Lehtikuva / Marja Airio
Susanne Krones im Gespräch mit Joachim Scholl · 14.02.2017
Bücher und Literatur - das klingt irgendwie nach Frauensache. Schaut man sich die Buchbranche aber einmal genauer an, ergibt sich ein anderes Bild: Nur vier Prozent der Top-Positionen seien von Frauen besetzt, beklagt die Lektorin Susanne Krones.
So habe eine Studie im Auftrag des "Netzwerks Bücherfrauen" zwar ergeben, dass es im Verlagswesen 80 Prozent Mitarbeiterinnen gebe, sagte die Lektorin und Publizistin Susanne Krones im Deutschlandradio Kultur. Aber bereits im mittleren Management seien 80 Prozent der Entscheidungspositionen von Männern besetzt. In den Top-Positionen fänden sich sogar nur noch vier Prozent Frauen.
"Das sind schon noch mal wesentlich schärfere Zahlen als im Rest der Wirtschaft, was verblüffend ist in so einer Branche, die sich ja eigentlich ein bisschen als Avantgarde versteht und schon Zahlen, die auch wirklich erschrecken, finde ich."

Frauenberuf Lektorin?

Unter den Lektorinnen machen Frauen zwei Drittel aus. Allerdings sind nicht alle Lektorinnen festangestellt:
"Es gibt allerdings sehr viele Frauen, die auch eher an den Rändern dieser Branche arbeiten, die als Freiberuflerinnen arbeiten. Wo es einige sehr gut Eingeführte gibt, aber auch sehr viele, die mit ihren Aufträgen längst nicht Vollzeit bestreiten können und auch unter sehr niedrigen Honoraren und unter sehr viel Konkurrenz leiden." (uko)

Das Interview im Wortlaut:
Joachim Scholl: Und wir freuen uns jetzt hier in der "Lesart" im Deutschlandradio Kultur, dass in einem Studio in München Susanne Krones Platz genommen hat. Sie ist Lektorin, Publizistin, als Wissenschaftlerin hat sie sich auch mit Fragen von Geschlechtergerechtigkeit in der Buchbranche beschäftigt. Guten Morgen, Frau Krones!
Susanne Krones: Guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: Einer der renommiertesten Verlagsberufe ist der Lektor. Er bringt Bücher auf die Welt, betreut, berät, korrigiert die Arbeit der Autoren, ist ihr Partner. Inzwischen, so liest man, sind zwei Drittel aller Lektoratsstellen in deutschen Verlagen mit Frauen besetzt. Das ist doch klasse, möchte man da spontan sagen, Frau Krones! Nehmen Sie diesen Glückwunsch an?
Krones: Das ist es auf jeden Fall für jede Frau, die dort arbeiten kann und die diesen Beruf hat und davon erfüllt ist, wenn sie es denn ist und wenn sie denn auf so einer Stelle gelandet ist, wo sie auch erfüllt sein kann. Weil sie zum Beispiel fest angestellt ist bei einem großen Unternehmen, das auch ein angemessenes Gehalt bietet. Es gibt allerdings sehr viele Frauen, die auch eher an den Rändern dieser Branche arbeiten, die als Freiberuflerinnen arbeiten, wo es einige sehr, sehr gut eingeführte gibt, aber auch sehr viele, die mit ihren Aufträgen längst nicht Vollzeit bestreiten können und auch unter sehr niedrigen Honoraren und sehr viel Konkurrenz leiden. Also, ich denke, man muss bei diesem Thema in jede Richtung sehr differenzieren und es gibt da sehr viele verschiedene Ecken in dieser an sich sehr kleinen Branche.

Christian Morgenstern, der erste literarische Lektor

Scholl: Was hat sich denn in den Häusern, in den Verlagen verändert, dass es zu dieser Entwicklung gekommen ist? Nur wenige profitieren eigentlich noch von diesem alten Status?
Krones: Also, ich würde da generell – Sie hatten die Sendung ja auch genannt: "Lektorat – ein Frauenberuf?" – ein bisschen weiter ausholen, weil der Beruf des Lektors ja an sich noch relativ jung ist und man diese Entwicklung eigentlich so in einer Kurve sehen kann, den gibt es ja eigentlich erst ungefähr 115 Jahre. Damals hat zum ersten Mal ein Verleger, der Eugen Diederichs, um 1900 herum gemerkt: Ich kann als Verleger die inhaltliche Arbeit nicht alleine machen, ich brauche eigentlich eine neue Rolle in meinem Haus, die bestimmte Aufgaben übernimmt.
Und in diesen ersten Jahren bis in die 70er hinein, wenn Sie zurückdenken, sind überwiegend Männer-, eigentlich nur Männernamen, die man heute erinnert, sei es Heimann oder Loerke bei S. Fischer, Dieter Wellershoff 20 Jahre bei Kiepenheuer und Witsch, eigentlich so …
Scholl: Also berühmte Schriftsteller eben auch, die dann …
Krones: Zum Teil, genau.
Scholl: Also Lektoren, dieser Nimbus kommt ja auch teilweise daher.
Krones: So ist es, ja. Christian Morgenstern auch, der erste literarische Lektor eigentlich gewesen, Anfang des 20. Jahrhunderts. Und eigentlich geht man bis zu so einer Frau wie Elisabeth Borchers dann, die als Lyrikern ab den 60ern bei Luchterhand Lektorin war bis 71 und dann zu Suhrkamp gewechselt ist und den Verlag ja auch bis zum Ende ihres Berufslebens sehr geprägt hat. Aber das ist eigentlich die erste Frau, die man mit diesem Status so in Verbindung bringen kann. Und…

Die klassische Lektorin ist "hochqualifiziert"

Scholl: Wie sieht denn heute die klassische Lektorin aus?
Krones: Also, die klassische Lektorin ist, wenn sie – das betrifft eigentlich jede – sehr, sehr hoch qualifiziert, denn die Berufe im Verlagswesen sind eigentlich alle so eine Stufe höher entwickelt, als man formal dafür sich qualifizieren müsste. Es gibt ja Buchhändlerinnen, Verlagskauffrauen, wofür sich sehr oft eigentlich nur Abiturientinnen und Studienabsolventen oder -abbrecher in den großen Verlagen mehr Chancen ausrechnen können. Also, das ist kein klassischer Ausbildungsberuf mehr, längst nicht mehr. Und die Lektorinnen wiederum sind oft promoviert oder haben etwa zwei Studiengänge, ein Fachstudium ist eigentlich immer Voraussetzung, also von der Qualifikation her ein sehr ambitionierter Beruf.
Scholl: Jetzt haben Sie in einer Studie auch schon nachgewiesen, Frau Krones, dass also es in der Verlagsbranche eigentlich auch so ein bisschen aussieht wie in der normalen Wirtschaft. Also, es gibt wenige hoch qualifizierte Frauen, die auch die genau entsprechende Position haben, die Verlagsleiter werden meistens, sind meistens männlich dominiert, und erst so die mittlere Führungsebene, gerade die Lektorate, die sind dann von Frauen besetzt, auch die Pressestellen. Heißt das also, in der Verlagsbranche ist es genauso wie im Rest der Gesellschaft?
Krones: Also, die Studie, die Sie ansprechen, die Mehrwertstudie, die ich nur quasi benutzt und analysiert habe, die von einer Medienwissenschaftlerin stammt, Romy Fröhlich, und maßgeblich finanziert und initiiert vom Netzwerk Bücherfrauen, die belegt eben, es gibt im Verlagswesen 80 Prozent Mitarbeiterinnen und bei den Lektorinnen eben noch so zwei Drittel, aber wiederum 80 Prozent der Entscheidungspositionen im mittleren Management sind von Männern besetzt, und nur vier Prozent der wirklich Top-Verlagsleiterinnen oder auf Konzernebene gibt es Frauen, die den Weg schaffen. Und das sind schon noch mal wesentlich schärfere Zahlen als im Rest der Wirtschaft, was verblüffend ist in so einer Branche, die sich ja eigentlich ein bisschen als Avantgarde versteht, und schon Zahlen, die auch wirklich erschrecken, finde ich.

69 Prozent kinderlose Frauen in der Buchbranche

Scholl: Und ein Ergebnis auch dieser Studie war zum Beispiel, dass also auch die festangestellten Lektorinnen in den Verlagen meistens Frauen sind, die keine Kinder haben.
Krones: So ist es. Und auch das ist eine … Die Zahl muss man sich eigentlich auch im Vergleich anschauen, zur restlichen Zahl der Akademikerinnen, wo die Kinderlosigkeit bei 28 Prozent der Frauen ist, und in der Buchbranche bei 69. Und ich finde, diese Zahl zeigt zweierlei, nämlich dass in der Buchbranche dieses Argument für die gläserne Decke, ein Kind wäre das Ende der Karriere, nur vorgeschoben ist, weil es die kinderlosen Frauen ganz genauso betrifft, wahrscheinlich sogar noch mehr, wenn Sie sich anschauen, dass alle großen Verlegerinnen momentan Kinder haben. Wenn Sie an Frau von Lovenberg denken bei Piper, Tanja Graf lange bei Diogenes, jetzt im Literaturhaus, Claudia Reitter bei Random House früher …
Scholl: Ja, die haben aber vielleicht dann auch das Einkommen sozusagen, sich …
Krones: So ist es.
Scholl: … eine Kinderbetreuung zu leisten. Wenn wir jetzt mal …
Krones: So ist es.
Scholl: … auf eine freiberufliche Lektorin schauen, die vielleicht auch dankbar ist, dass sie diesen Job hat, aber gleichzeitig zu Hause mit ihren Kindern sein kann, dann könnte man ja sagen, also: Klassisch ausgesourcte Niedriglohngruppe, wo man praktisch dieses Bedürfnis, zu Hause zu sein, diese Notwendigkeit, zu Hause zu sein, ausnutzt?
Krones: Man kann das durchaus mit dem Blick auf die Branche so formulieren, finde ich. Also, es wird total als Privatsache gesehen, die Familie zu finanzieren, also auch Betreuung zu finanzieren. Und es gibt wenige Verlage, die wirklich das ganze breite Spektrum von Maßnahmen zur Unterstützung von Familien bieten.

Familienfreundlichkeit? "Es geht für große Unternehmen"

Scholl: Wie managen Sie das denn selbst, Frau Krones? Sie sind Publizistin, Sie sind Lektorin, Sie sind Wissenschaftsautorin.
Krones: Also, ich habe das Glück, fest angestellt zu sein bei Luchterhand, der zur Verlagsgruppe Random House gehört, also eine sehr große Gruppe. Und wir haben tatsächlich sehr, sehr viele, sehr lobenswerte Möglichkeiten. Es gibt für jeden Mitarbeiter das Recht auf Homeoffice, es gibt eine Gleitzeit, also keine starren Kernzeiten, es gibt betriebsinterne Kinderbetreuung und es gibt, was ich am allerwichtigsten finde, in den beiden Generationen, die älter sind als ich, sehr viele Role Models. Also, wir haben eine Cheflektorin, die drei Kinder hat, mir Regina Kammerer eine Verlagsleiterin, die mehrere Kinder hat. Also, da sieht man auch, was solche Maßnahmen und ein Bewusstsein dafür dann letztlich bewirken.
Scholl: Das heißt also, es geht doch, wenn man es will?
Krones: Es geht für große Unternehmen. Nun ist es natürlich so, dass Verlagswesen und Buchhandel auch von sehr vielen sehr guten, programmatisch wunderbaren Kleinverlagen durchsetzt sind, dass Buchhändler häufig Einzelkämpfer sind und dass durch den Strukturwandel mit dem Onlinebuchhandel die Buchhändler es ohnehin unendlich schwer haben. Und das sind natürlich alles Bereiche, die ihren Mitarbeitern solche Maßnahmen kaum oder schlechter bieten können.

Grundproblem: zu viele Personen auf dem Markt für Lektoren

Scholl: Sie haben das Netzwerk Bücherfrauen schon erwähnt, Frau Krones, Sie engagieren sich da auch. Wie solidarisch sind denn die Lektorinnen untereinander? Gibt es da gemeinsame Kommunikation, Verständigung, gemeinsame Initiativen auch?
Krones: Ja, absolut. Es ist aus dieser Studie von den Bücherfrauen, die ja schon etwas älter ist, 2010, und die 2018 zur Buchmesse neu aufgelegt werden wird von den Bücherfrauen und hoffentlich auch mit Unterstützung des Börsenvereins, sind schon etliche Initiativen hervorgegangen, zum Beispiel auch die Beteiligung am runden Tisch zu Frauen in Kultur und Medien vom Kulturstaatsministerium, wo wirklich über gesetzliche Maßnahmen nachgedacht wird, über branchenübergreifende. Man tauscht sich sehr genau aus zum Beispiel, das ist die andere Richtung, über die man auch reden muss, finde ich, über Sichtbarkeit von Autorinnen, die auch sehr viel seltener mit renommierten Preisen ausgezeichnet werden, weil auch die Jurys sehr, sehr selten paritätisch mit Frauen besetzt sind. Also, auch das ist ein wichtiges Thema, diese andere Richtung, nach außen. Und da gibt es ein sehr großes Bewusstsein, wobei man natürlich jetzt bei dieser Kernfrage – Wie werden Freie bezahlt? – sich auch in einem Markt bewegt und als festangestellte Lektorin merkt: Ich habe auf jeden Auftrag, den ich offen irgendwie rausschicke, zehn Kolleginnen, die sich quasi unterbieten und die wirklich Aufträge suchen. Und das ist einfach das Grunddilemma auch, dass es so ein Bewerbermarkt ist, dass viel zu viel Personal eigentlich in diesem Markt drin ist.
Scholl: Warum es immer mehr Lektorinnen gibt, das war unser Thema mit Susanne Krones, Lektorin, Publizistin und Wissenschaftlerin. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Frau Krones!
Krones: Vielen herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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