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Fachkräftemangel in Ungarn
Die Rentner müssen ran

Noch steht es gut um die ungarische Wirtschaft. Allerdings fehlen im Land Fachkräfte. Die Regierung will das ausgleichen, indem sie auf den Arbeitsmarkt Rentnerinnen und Rentner zurück lockt. Diese arbeiten meistens jedoch zum Mindestlohn.

Von Stephan Ozsváth | 17.09.2019
Der ungarische Rentner András Lázár ist 70 Jahre alt und hat entschieden, in seinen Beruf zurückzukehren - weil seine Rente zu niedrig ist.
Der ungarische Rentner András Lázár ist 70 Jahre alt und hat entschieden, in seinen Beruf zurückzukehren - weil seine Rente zu niedrig ist. (Deutschlandradio / Stephan Ozsváth)
Esztergom, an der slowakischen Grenze, 90 Kilometer von der Hauptstadt Budapest entfernt. András Lázár, Brille, grauer Bart, drahtig, steht in einer Werkshalle und beschleift ein Motorenteil, das aussieht wie eine Haiflosse.
"Das nennt man Hai. Das ist von einem Volvo-Motor, erklärt der 70-Jährige aus Esztergom."
Aus der Rente zurück in den Job
Über eine Rentnergenossenschaft ist Lázár an die Zweigstelle des deutschen Autozulieferers Weber Automotive vermittelt worden, erzählt er.
"Ich bin in Tatabánya gemeldet, und von dort haben sie mich hierhin vermittelt, erzählt der rüstige Ungar. Vorher war ich hier in Esztergom bei der Genossenschaft gemeldet. Bei einem Unternehmen habe er sehr kleine Teile zusammen setzen müssen, aber dafür seien seine Finger nicht mehr sensibel genug, sagt er, dann war er bei einem Verpackungsunternehmen. Letztlich seien er und ein weiterer Rentner gekündigt worden, als Personal abgebaut wurde."
Seit gut einem halben Jahr arbeitet er nun schon hier in der Werkshalle. Jeden Tag ein paar Stunden. Seine Rente sei schlicht zu niedrig. Und der Job gefalle ihm, sagt András Lázár.
"Eigentlich bin ich Schlosser. Dann war ich selbstständig, habe Lángos – Fettkringel - ausgebacken. Das hier gefällt mir, weil ich wenigstens in meinem Beruf arbeiten kann."
Senioren-Organisationen vermitteln Arbeit
Bis zu 900 Euro im Monat verdienen seine Angestellten, rechnet Werksleiter Gyula Szalay vor. Er ist heilfroh, dass er András und noch einen anderen Altersgenossen im Team hat. Denn der Arbeitsmarkt in Ungarn sei schlicht leer gefegt.
"Es ist sehr schwer, Fachkräfte zu finden. Aus verschiedenen Gründen. Die meisten sind schon längst in Deutschland oder einem anderen westeuropäischen Land. Natürlich wegen der Verdienstmöglichkeiten. Der deutsche Lohn ist dreimal so hoch wie in Ungarn."
Internet-Portale und Rentner-Genossenschaften bieten Jobs für die Generation Ü60 an. Auch der Verband der Senioren-Organisationen NYOSZ vermittelt motivierte Senioren in den Arbeitsmarkt. Werksleiter Gyula Szalay.
"Das ist ein sehr gut funktionierender Kanal. Es gibt eine Menge Rentner, die körperlich und geistig fit sind, die so ein fachliches Vorleben haben, das perfekt auf unsere Bedürfnisse passt. Noch dazu sind diese Leute unglaublich motiviert. Die melden sich beim Verband, weil sie arbeiten wollen."
Die meisten sind in ihrer Rente auf zusätzliche Einkünfte angewiesen
Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit, rechnet Györgyi Németh vor. Die meisten Ungarn der Generation Ü60 sind schlicht auf zusätzliche Einkünfte angewiesen, sagt die Vorsitzende des Seniorendachverbandes NYOSZ:
"Die durchschnittliche Rente liegt bei etwa 415 Euro. Zwei Drittel der etwa 2 Millionen Rentner in Ungarn müssen mit monatlich weniger als 300 Euro auskommen, rechnet sie vor."
Hinzu kommt: Die Landeswährung Forint ist immer weniger wert, und damit auch die Renten, die nur an die Inflation angepasst werden. Bis zu acht Prozent der etwa 2 Millionen ungarischen Rentner arbeiten deshalb hinzu, schätzt der Verband NYOSZ. Die Regierung Orbán fördert das, indem ihnen weniger Steuern abgezogen werden, mehr Netto im Portemonnaie bleibt. Aber eine Lücke von einer halben Million Fachkräften können sie nicht füllen, meint die Senioren-Lobbyistin:
"Wir beobachten, dass Rentner vor allem in Jobs beschäftigt werden, wo man keine Vorbildung braucht - als Parkwächter, Museumswärter, Parkraumüberwacher, Sandwich-Zubereiter oder in einer Restaurantkette beschäftigt werden."
Rentner Vidács ist zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen. Er ist ganz froh, wieder für Weber Automotive zu arbeiten, sagt er. Hier betreut er die Fräs-Maschinen.
"Wissen Sie, wenn man schon ein Jahr zu Hause hockt, wegen des Alters klappen da manche Dinge nicht mehr so gut, da ist die Arbeit schon besser…."