Brumlik hält Expertengremium für "unausgegoren"

Micha Brumlik im Gespräch mit Gabi Wuttke · 31.10.2008
Der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hat den Regierungskompromiss zur Einrichtung eines Expertengremiums für Antisemitismus kritisiert. Die wichtigsten Fragen rund um das Gremium seien bislang unbeantwortet, sagte Brumlik.
Gabi Wuttke: Es war ein Vorschlag des American Jewish Committee, in Deutschland einen Bundesbeauftragten zur Bekämpfung des Antisemitismus zu installieren. Von der SPD wurde der Vorschlag unterstützt, von der Union ist er abgelehnt worden. Stattdessen soll die Bundesregierung nun ein Expertengremium schaffen, das regelmäßig Berichte über den Antisemitismus in Deutschland verfassen soll, so der Beschluss der Koalitionsparteien. – Am Telefon ist jetzt Micha Brumlik, Professor in Frankfurt, wo er auch das Fritz-Bauer-Institut zur Geschichte und Wirkung des Holocaust leitete. Guten Morgen, Herr Brumlik.

Micha Brumlik: Guten Morgen!

Wuttke: Wie kommentieren Sie diesen politischen Kompromiss? Tat das alles überhaupt Not?

Brumlik: Ich finde das nicht nötig. Das ist ein löblicher Vorschlag. Aber wie schon bereits auch vom Zentralrat der Juden in Deutschland vermerkt wurde, wenn überhaupt, dann gibt es in Deutschland so etwas wie eine rassistische, eine extremistische, eine sexistische, ausländerfeindliche und damit natürlich auch antisemitische Stimmung. Es wäre sicher besser und sinnvoller gewesen, wenn man wenn überhaupt so etwas wie einen Bundesbeauftragten für Rassismus und Sexismus eingerichtet hätte. Nun, 70 Jahre nach der Reichspogromnacht einzig und alleine einen Antisemitismus-Beauftragten einzurichten, scheint mir angesichts sonstiger Probleme in diesem Bereich nicht sonderlich sinnvoll zu sein.

Wuttke: Eine Runde aus Experten ist ja eigentlich das untrügliche Zeichen, dass man mit einem Thema nicht mehr weiter weiß. Wissen wir in Deutschland nicht weiter, oder hat man sich nicht getraut, dem American Jewish Committee auch mal dankend abzusagen?

Brumlik: Ich fürchte, Letzteres ist der Fall. Es muss ja auffallen, dass eigentlich niemand von den bundesdeutschen Parteien von sich aus auf diese Idee gekommen ist, obschon doch die eine oder die andere sehr viel in diesem Bereich tut, obschon es im Rahmen des Deutschen Bundestages die OECD-Konferenzen gibt, die sich mit diesem Thema befassen, obwohl es in Landtagen und im Bundestag im Innenausschuss auch immer mal wieder dazu eine Anhörung gibt. Und die kritischen Fragen kommen natürlich noch: Was darf, was soll, was muss ein solches Expertengremium machen? Soll es regelmäßig wie etwa die Wirtschaftsweisen einen Bericht abliefern? Wer sind diese Experten? Sind das ausgewiesene Sozialwissenschaftler? Sind es Politiker? Das ganze kommt mir in der Tat ziemlich unausgegoren vor.

Wuttke: Und außerdem stellt sich ja die Frage, wenn so ein Expertengremium installiert wird, mit welcher Bedeutung für den Zentralrat der Juden?

Brumlik: Das ist eine weitere Frage. Bisher kann der Zentralrat der Juden ja mit einer gewissen Berechtigung aus der Betroffenen-Perspektive heraus sich dazu äußern. Es würde dann immer dazu kommen, dass man gewissermaßen das miteinander abgleicht. Wenn es dieses Expertengremium überhaupt geben sollte, dann könnten das nur ausgewiesene Sozialwissenschaftler sein, die in der Tat auf der Basis empirischer Untersuchungen jedes Jahr oder alle zwei Jahre Bericht erstatten.

Wuttke: Aber auch dann stünden doch eine wissenschaftliche und eine moralische Instanz gegeneinander?

Brumlik: Ob die gegeneinander stehen, ist etwas anderes. Ich meine, der Zentralrat wird zu recht jedes Mal protestieren, wenn Politiker oder Personen des öffentlichen Lebens sich in irgendeiner Weise antisemitisch äußern, oder wenn jüdische Friedhöfe geschändet werden. Der Bericht eines Expertengremiums müsste ganz anders aussehen. Der müsste so aussehen, dass man sagt, dass in den Jahren 2008/2009 so und so viele, was wir ohnehin aus der Kriminalstatistik wissen, einschlägige Delikte begangen worden sind, dass Meinungsumfragen in diesem Bereich (wobei man sich dann auch immer noch mal über die Instrumente im Klaren sein muss) ergeben haben, dass judenfeindliche, antisemitische, antiisraelische, antizionistische Stimmungen angestiegen sind. Dann müsste man genau erklären, in welchen Bereichen, unter welchen sozialen Schichten oder kulturellen Gruppierungen. Also das hätte, wenn überhaupt, nur Zweck als eine Art sozialwissenschaftliche Enquete.

Wuttke: Das ganze Thema, Herr Brumlik, steht ja im Zusammenhang mit der zu verfassenden Erklärung im Bundestag zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht. Sollte man ob des Gezänks, vor allem ja durch die Union kommend, jetzt lieber schweigen?

Brumlik: Nein, das finde ich nicht. In diesem Fall muss ich sagen, dass die Union sich wirklich blamiert hat, und ich fürchte, der Anlass und die Ursache all dessen sind Meinungsbildungsprozesse, wenn ich es recht sehe, vor allem in der sächsischen CDU, die jetzt unbedingt einen Kurs fahren will, wie es heißt einzelne ihrer Angehörigen, die NPD nicht zu verteufeln und Äquidistanz zu Linkspartei und NPD zu halten. Das wird aber weder der einen, noch der anderen Partei gerecht. Ohne große politische Sympathien für die Linkspartei zu äußern, will ich doch sagen, dass das, was man ihr von Seiten der Union vorhält, antisemitische Vorurteile zu verlängern durch mangelnde Distanzierung von der antizionistischen Haltung der ehemaligen DDR, schlicht und ergreifend so nicht mehr stimmt. Gregor Gysi hat sich vor einiger Zeit in einer Aufsehen erregenden Rede vom Antizionismus des klassischen Antiimperialismus distanziert und zu einem Umdenken aufgerufen und vor diesem Hintergrund blamiert sich die Union.

Wuttke: Herr Brumlik, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch. – Der ehemalige Leiter des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main. Einen schönen Tag.

Brumlik: Ich bedanke mich. Auf Wiederhören!

Das Gespräch mit Micha Brumlik können Sie bis zum 31. März 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio
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