Brüssel

"Neue EU-Außenbeaufragte muss Klippen umschiffen"

Flaggen der Europäischen Union vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel, Belgien (14.5.2012)
EU-Flaggen vor der Europäischen Kommission © picture alliance / dpa / CTK Photo / Vit Simanek
Moderation: Christopher Ricke  · 30.08.2014
Der Politikberater Jan Techau sieht die neue EU-Außenbeauftragte vor großen Herausforderungen. Es müsse eine neue Arbeitsteilung mit der Kommission geben und mehr Mut zum Konflikt mit den Mitgliedsstaaten.
Christopher Ricke: „Wen rufe ich denn an, wenn ich Europa anrufen will?" Dieses jahrzehntealte Zitat wird dem früheren US-Außenminister Henry Kissinger zugeschrieben, und die Frage bleibt bis heute unbeantwortet. War es in den letzten Jahren Catherine Ashton vielleicht, die Außenbeauftragte der EU, die außerhalb des politischen Betriebs nicht so sehr bekannt ist? Oder Herman van Rompuy, der Ratspräsident, für den Ähnliches gilt? In naher Zukunft gibt es auf jeden Fall neue Handy-Nummern auch für Washington, denn der EU-Gipfel wird nicht nur über Russland und die Ukraine sprechen, sondern vor allem auch über das neue Spitzenpersonal. Jan Techau ist Direktor beim Think Tank "Carnegie Europe". Seine Schwerpunkte sind unter anderem die EU-Integrations- und Außenpolitik. Guten Morgen, Herr Techau!
Jan Techau: Hallo, guten Morgen!
Ricke: Für eine Stellenanzeige ist es natürlich zu spät. Man weiß ja auch schon vermutlich, wer es wird. Aber trotzdem mal die Frage nach dem Anforderungsprofil. Was muss zum Beispiel eine neue Außenbeauftragte mitbringen?
Neue Arbeitsteilung nötig
Techau: Zunächst mal muss eine neue Außenbeauftragte ganz furchtbar schwierige Klippen umschiffen im inneren Verhältnis zu den anderen Kollegen in der EU. Das gilt vor allen Dingen für das Verhältnis zur Europäischen Kommission, denn dort war in den letzten Jahren unter Catherine Ashton und Herrn Barroso sozusagen so eine Art Kleinkrieg ausgebrochen. Die Kommission hat von vornherein verhindert auch, dass der europäische Auswärtige Dienst und die Hohe Beauftragte sich so richtig entfalten konnten. Da muss eine Arbeitsteilung her, und ein vernünftiges Verhältnis. Das sieht so aus, als könnte das mit Herrn Juncker gelingen, der außenpolitisch keine großen Ambitionen hat. Damit fängt es mal an. Und dann ist auch noch sehr wichtig, dass die neue Außenbeauftragte vielleicht auch gelegentlich den Konflikt mit den Mitgliedsstaaten ein bisschen mehr sucht. Das hat Frau Ashton sehr peinlich vermieden, vor allem mit den großen Mitgliedsstaaten. So kann aber sozusagen keine Führung in der Außenpolitik entstehen. Es muss der Action Service klare Perspektiven für gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aufzeigen, und da muss man sich eben auch manchmal anlegen, auch wenn es dann ein bisschen weh tut.
Ricke: Das klingt aber so, als ob man jemanden bräuchte, der da wirklich Erfahrung hat, aber so große Namen wie Guido Westerwelle oder Joschka Fischer oder Alain Juppé werden nicht genannt, sondern man schaut auf eine junge, möglicherweise nicht ganz so erfahrene italienische Politikerin. Ist das schlau?
Techau: Ja, das Problem ist, dass das, was wir gerade als Anforderungsprofil definiert haben, bei der Auswahl des Personals in Europa natürlich immer nur eine zweite Rolle vielleicht spielt. Denn das wichtigste Kriterium für die Auswahl des Personals – es geht ja nicht nur um diese eine Person, sondern um ein ganzes Paket – ist im Grunde, den politischen Frieden in Europa zu wahren, also dass alle beteiligten Gruppierungen, Parteienfamilien, regionalen Gruppen und so weiter, die es in Europa gibt, mit der Sache am Ende leben können, und dass da sich niemand ausgeschlossen fühlt. Dieser politische Frieden, diese Zufriedenstellung aller Beteiligten ist das oberste Ziel, und erst in zweiter Linie kommt das Anforderungsprofil ins Spiel. Und wenn dann in diesem Proporzspiel am Ende Frau Mogherini sozusagen die Oberhand hat, was auch noch parteipolitische Gründe hat und mit Herrn Renzi zu tun hat, und alle anderen damit im Wesentlichen leben können, dann ist das eben so gesetzt, dann ist das die beste Lösung. Und einen zweiten Grund kann man auch noch heranführen, warum es wahrscheinlich auf sie hinausläuft, und das liegt daran, dass den Mitgliedsstaaten ein schwacher Hoher Repräsentant oder Hohe Repräsentantin gar nicht so unrecht ist, denn die Mitgliedsstaaten sehen die Außenpolitik doch sehr stark als ihre eigene Domäne, wo sie sozusagen das Vorrecht haben. Da eine starke Figur in Brüssel zu haben, die in dem Spiel mitmengen will, das ist immer gar nicht so angenehm, also kann man mit jemand Schwachem doch ganz gut leben.
Die europäische Telefonnummer war in Berlin
Ricke: Dann gibt es aber nach wie vor keine Telefonnummer, mit der man Europa anrufen kann.
Techau: Die Telefonnummer für außenpolitische Fragen in Europa war in den letzten zwei Jahren ganz sicher Berlin. Deutschland hat sich sehr stark herauskristallisiert als die sozusagen wichtigste und gewichtigste Macht in Europa, wenn es um außenpolitische Fragen geht. Gerade in der Ukraine-Krise kann man sehr gut beobachten. Das liegt auch ein bisschen daran, dass Frankreich und Großbritannien aus unterschiedlichen Gründen in diesem Spiel geschwächt sind. Also ruft man dort an, wo sozusagen die Verantwortung und wo die Macht letztlich auch, das Gewicht sitzt. Das ist eben nicht in Brüssel, in außenpolitischen Fragen, sondern das ist derzeit in Berlin.
Ricke: Schauen wir auf eine weitere wichtige Personalie, das ist der Ratspräsident. Aber wenn ich schon diese Quotierung höre – Mann, Frau, Ost, West, links, rechts – und dann höre, dass, wenn man eine Frau aus dem Westen auf den einen Posten hebt, dann ein Mann aus dem Osten auf den anderen und dann bei Donald Tusk herauskommt, dann klingt das wirklich so wie "Wir brauchen um alles in der Welt einen kleinsten gemeinsamen Nenner". Jetzt kann ich natürlich optimistisch dann sagen, europäische Politiker sind so kompetent, da findet man auf jeden Fall einen, auf den alles passt. Teilen Sie diesen Optimismus?
Techau: Europäische Politiker sind nicht kompetenter als nationale Politiker. Da haben Sie ungefähr das gleiche Verhältnis zwischen stark und nicht so stark und gar nicht so richtig gut. Das ist normal. Aber das, was Sie gerade ansprechen, diese Proportionalität, diese Kriterien, nach denen da ausgewählt wird, dieser kleinste gemeinsame Nenner – das ist eben sozusagen dieses Spiel des Interessenausgleichs, was ja sozusagen Wesensgehalt, wenn man so will, des Integrationsprozesses ist. Hier geht es darum, dass die Mitgliedsstaaten unter einen Hut kommen und sich am Ende nicht sozusagen in die Wolle kriegen. Und das ist der kleinste gemeinsame Nenner, der dabei immer herauskommt. Es ist ja nicht ganz unähnlich, die es in den Nationalstaaten, also in den Mitgliedsstaaten gibt, wenn dort Koalitionen gebildet werden und Regierungen. Auch da ist das Bedenken aller verschiedener Beteiligter Untergruppen sozusagen das primäre Ziel. Und erst in zweiter Linie wird da auf die Kompetenz geachtet. Es ist also auf europäischer Ebene überhaupt nicht anders als zu Hause. Es wird immer gehofft, dass Europa sozusagen anders ist und irgendwie höhere Ideale hat. Aber das politische Spiel ist dem auf nationaler Ebene überhaupt nicht unähnlich.
Hinter verschlossenen Türen
Ricke: Jetzt erinnern wir uns ja an das Geprügel und Geraufe, als es um den Kommissionspräsidenten, also Jean-Claude Juncker ging. Macht man so was wieder öffentlich? Hat man daraus gelernt und hat alles schon geklärt?
Techau: Dieser Prozess ist ja sozusagen ein semi-öffentlicher. Es gibt eine starke öffentliche Komponente über die europäischen Wahlen. Und die Politisierung sozusagen dieser Personalien – bei Herrn Juncker ist das ganz offensichtlich gewesen –, aber es gibt immer einen Kern, einen Rest, der vertraulich, hinter verschlossenen Türen behandelt werden muss, weil hier politische Akteure natürlich sozusagen sich auch aus der Deckung wagen müssen. In der Hoffnung oder im Vertrauensschutz im Gespräch mit den anderen sich auch sozusagen entblößen müssen und sagen müssen, ja, ich bin bereit, hier ein Geschäft einzugehen mit euch. Solche Sachen können nicht öffentlich verhandelt werden, weil dann das Vertrauen nicht gewährleistet ist und so was auseinander fliegt. Auch in einer Demokratie, auch in demokratischen, transparenten Systemen ist ein Rest sozusagen von Geheimhaltung und Vertraulichkeit erforderlich. Und das ist auf europäischer Ebene genauso wie eben auch zu Hause, nicht anders.
Ricke: Jan Techau vom Think Tank "Carnegie Europe". Seine Schwerpunktthemen sind unter anderem die EU-Integrations- und Außenpolitik. Herzlichen Dank, Herr Techau, und einen guten Tag!
Techau: Ihnen auch, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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