Brüssel

Mit einem katholischen Pfarrer unterwegs in Molenbeek

Pfarrer Aurélian Saniko in Molenbeek, Brüssel.
Pfarrer Aurélian Saniko in Molenbeek, Brüssel © Deutschlandradio - Annette Riedel
Von Annette Riedel · 23.05.2016
Im Brüssler Stadtteil Molenbeek leben mehrheitlich muslimische Menschen. Seit 2013 leitet dort Pater Aurélians die katholische Gemeinde, der selbst aus Kamerun einst nach Belgien kam. Junge Muslime vor seiner Kirche nennt er auch schon mal "Bruder".
Schon die Kirche selbst ist ungewöhnlich. 1931 eingeweiht, im Art Déco-Stil gebaut. Innen wirkt sie, mit ihren Beton-Bögen, die sich über dem Kirchenschiff wölben, und den bunten Glasscheiben als einzigem Schmuck, für eine katholische Kirche fast karg. Noch ungewöhnlicher als seine Kirche ist in diesem Umfeld der Gemeinde-Pfarrer: Der dunkelhäutige Pater Aurélian Saniko aus Kamerun. Die katholische Kirche hat ihm 2013 diese christliche Gemeinde mitten im marokkanischen Viertel Molenbeeks anvertraut. Mindestens 70 Prozent der Menschen, die rund um Pater Aurélians Kirche leben, sind Muslime – hier im armen, oft rauen, von Kleinkriminalität geprägte Teil Molenbeeks. Nein, sagt Monsieur Le Curé, wie sie ihn hier nennen, es war keine Strafversetzung, die ihn hierher gebracht hat.
"Quand on m‘a nommée pour ici, mais chrétiens ont dit: Ah, c’est une punition… "
Keine Strafe, nein. Einfach ist es aber wahrhaftig auch nicht. Pater Aurélian hat eine Mission – eigentlich derer zwei: seine kleine christliche Gemeinde zu beleben, eine echte Gemeinschaft zu schaffen. Und sich für die Verständigung zwischen den Religionen zu engagieren.
"Chrétien, musulman, laïc, juif – nous sommes tous fils de dieux…"

Viele Gemeindemitglieder stammen aus Afrika

Alle, selbst nicht religiöse Menschen sind sie schließlich Gottes Kinder, predigt der "Herr Pfarrer" seiner Gemeinde. An diesem Sonntagmorgen sind vielleicht 110, 120 Gläubige da, nur eine Handvoll Weiße darunter. Die meisten sind aus afrikanischen Ländern nach Belgien gekommen oder seinerzeit ihre Eltern.
Der katholische Priester von Molenbeek aus Kamerun beschränkt sich nicht darauf, Verständigung zwischen den Menschen beim Gottesdienst zu besingen und zu predigen. Er pflegt die Verständigung konkret, gerade auch mit den Muslimen in seinem Viertel.
"Ich kümmere mich auch um junge Marokkaner; manche haben mit Drogen zu tun; manchmal beschädigt einer meine Kirche – so ist halt Molenbeek."
Gelegentlich spielt er mit Jugendlichen vor der Kirche Fußball, egal ob die christlich oder muslimisch sind, erzählt der "Herr Pfarrer" beim Gespräch in seinem Gemeinde-Büro. Ein bisschen von dem, was diesen Jungs im Viertel so oft vor allem fehlt, will er ihnen geben: Hoffnung und Anerkennung.
"Die jungen Leute haben keine Zukunft. Sie sagen sich: der belgische Staat tut nichts für uns. Und so sind sie leicht zu radikalisieren. Manche folgen dann Anderen nach, die vor Ihnen als Kämpfer für den Islamischen Staat nach Syrien gegangen sind."

Kontakt zu muslimischen "Kollegen"

Schon vor den Terror-Anschlägen in Brüssel vor zwei Monaten hat der katholische Priester den Kontakt auch zu seinen muslimischen "Kollegen" sozusagen gesucht. Trifft sich regelmäßig mit dem Imam der benachbarten Moschee. Veranstaltet mit ihm beispielsweise gemeinsam in der Vorweihnachtszeit ein Fest der Begegnung. Nach den Anschlägen ging man gemeinsam für Toleranz und friedliches Zusammenleben auf die Straße.
Wenn er in Molenbeek unterwegs ist, fühlt sich der katholische Pfarrer in einem mehrheitlich muslimischen Umfeld durchaus ernst genommen, akzeptiert. Mancher sucht den Kontakt zu ihm, den Dialog mit ihm. Und er sucht den Dialog auch.
"Bonjour, mon frère – c’est important qu’on s’appelle frère. Nous sommes tous d’Afrique…"

Man trifft sich auf dem marrokansichen Markt

"Bruder" nennt der katholische Gottesdiener die jungen Muslime, die er auf dem marokkanischen Markt unweit der Kirche am Sonntagmittag nach dem Gottesdienst trifft. Schließlich kämen sie doch alle aus Afrika. In seiner schwarzen Soutane schlendert er über den Markt. Wird angesprochen. Spricht an.
An einem Markstand kauft der Pfarrer bei einem verlegenen, vielleicht 19-jährigen Marokkaner eine Pampelmuse.
"Mon frère – c’est du pamplemousse? Ton nom? Tu ne parles pas français – tu parles quoi ? Anglaise? Non? Arabe?..."
Nein, er fühle sich, als einer der verschwindend wenigen Christen, nicht fremd hier in diesem Viertel in Molenbeek. Dass allein schon seine schwarze Hautfarbe auf die eigene Migrationsgeschichte hinweist, macht es ihm leicht, Brücken zu bauen.
"Wir teilen alle die Erfahrung, was es heißt, Migrant zu sein. Außerdem sind 90 Prozent der Menschen, die in Molenbeek leben, religiös. Einen Priester achtet jeder religiöse Menschen – auch wenn dieser Christ ist und er selbst Muslim."
Und das gilt für jene 99,99 Prozent aller Menschen, die auch hier in Molenbeek friedlich nebeneinander leben. Sagt Monsieur Le Curé und geht mit seiner Pampelmuse in der Hand zurück in Richtung Kirche.
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