Brückenbauer für Kulturen

Von Wolfram Nagel · 27.07.2012
"Die Brücken von Aschkenas" ist das Motto des Festivals "<papaya:link href="http://www.yiddishsummer.eu/" text="&quot;Yiddish Summer Weimar&quot;" title="&quot;Yiddish Summer Weimar&quot;" target="_blank" /> - mit Konzerten, Jam Sessions und Tanzabenden. Dabei sind auch Künstler, Wissenschaftler und Studenten aus über 20 Ländern.
Im großen Saal der Musikschule Ottmar Gerster sitzen die Teilnehmer des Liedworkshops im Kreis. Sie ahmen jiddische Wörter nach, die Dozent Jeff Warschauer aus New York vorspricht. Er hat ein altes Shabbes-Lied mitgebracht und erzählt davon auch in jiddischer Sprache.

Warschauer: "Dos ist von a Buch, das heißt Simchat ha Nefesh ... das ist von de 18. Johrhundert. Das ist an Forschung. Ich hab gemacht die Transskriptia von Jiddisch, von die alte Buchstaben. S ist a bissel schwer. Das ist erst mal, ha ma gedruckt Musik in a Jiddisch-Buch."

Der liberale Jude aus Brooklyn stammt aus einer osteuropäischen Einwandererfamilie. Er ist Lehrer an der Columbia-University und gehört zusammen mit seiner Partnerin Deborah Strauss zu den bekanntesten Musikern der amerikanischen Klezmerszene. So hat er auch den Weg nach Weimar gefunden.

Warschauer: "In Weimar ich bin a Lehrer, ober (b derechklal) ständig bin ich an Student."

Der, wie die anderen Kursteilnehmer, ständig an seinem Jiddisch feilt und vor allem auch immer neue Lieder vorstellt, wie "Den heiligen Shabbes wollen mir anfangen mit Freuden".

Ingrid Petit: "Jiddisch ist meine mameloschen, die Sprache meiner Mutter."

Kursteilnehmerin Ingrid Petit aus Holland ist Jüdin. Sie bedauert, dass diese Lieder heutzutage kaum mehr gesungen werden. Dabei gehörten jiddische Shabbeslieder früher zu jedem Kiddusch. Dem Segen über den Wein zu beginn des Schabbat. Sie sei nach Weimar gekommen, um gerade solche Lieder wieder zu lernen.

Ingrid Petit: "Ich hab immer gefühlt, das ist die Sprache meiner Seele. Hebräisch ist die Sprache der Tora, das ist sehr schön. Aber ich fühle, dass ich mit meiner Seele singen will."

Wie schon im vergangenen Jahr thematisiert der Yiddish Summer die Verbindungen zwischen der jüdisch-deutschen Kultur des Mittelalters, genannt auch Ashkenaz I, und der späteren Kultur der osteuropäischen Juden, Ashkenaz II. Verbindungen, die schon durch den Klang der Wörter deutlich werden.

Alan Bern: "Das sind zwei verschiedene kulturelle Formen mit vielen Verbindungen, die in beide Richtungen geflossen sind. Wir gucken uns einfach diese Verbindungen und Entwicklungen an in diesem Jahr.""

So der Klezzmer-Musiker Alan Bern über das Motto "Di briken fun ashkenas". Seit 1987 lebt der Amerikaner aus Blumington in Deutschland und leitet seit zwölf Jahren den Yiddisch Summer. Dabei ist ihm wichtig, das interkulturelle Anliegen der Workshops und Konzerte zu betonen.

Alan Bern: "Es gibt hier grundsätzlich keinen Religionsunterricht. Das ist nicht der Punkt. Sondern es gibt höchstens Unterricht aus der Perspektive der Religionswissenschaft. Das ist wichtig. Das heißt, die Religion wird als Teil der Kultur betrachtet, und das muss sein.

Aber es muss nicht sein und darf nicht sein, dass hier Religion eine Barriere ist für jemanden...oder überhaupt Religion haben muss, oder Gläubiger sein muss, um hier zu sein. Das ist eine kulturelle Veranstaltung, und keine religiöse Veranstaltung."

All die Jahre seit Gründung des Yiddish Summer hat sich Alen Bern auch dafür eingesetzt, das Festival, die jiddische Sprache und Musik, aus den Schatten der Shoa zu rücken. Und das gerade in einer Stadt wie Weimar mit ihrer zwiespältigen Geschichte. Jiddish sei eine lebendige Sprache, natürlich mit vielfältigen Beziehungen zu andren Kulturen.

Bern: "Dieser Zugang zur jüdischen Kultur ist nicht nur für jüdische Kultur da, gerade im letzten Jahr und in diesem Jahr arbeiten wir zum Beispiel viel mit deutschen Volksliedern, die zum Teil extrem von den Nazis besetzt worden sind ...weil, das ist alles total verinnerlicht, das darf man nicht, das geht nicht. Vor allem, wenn Juden dabei sind. Für mich ist sehr wichtig, die Geschichte zurück von dem Missbrauch zu holen. Unsere Beziehung zur Geschichte neu zu erfinden."

So finden sich beim Vergleich jiddischer und deutscher Volkslieder immer wieder inhaltliche und auch musikalische Parallelen, wie bei diesem Lied vom grausamen Bruder, der seine Schwester tötet, weil sie den falschen Mann liebt. Die tragische Geschichte eines Ehrenmordes.

Andreas Schmitges: "Der grausame Bruder, dieses Motiv, gibt’s , also sorbisch hab ich gesehen, deutsch, jiddisch, sicherlich aus russisch, auch ganz sicher englisch."

Sagt Andreas Schmitges, einer der Dozenten für das interkulturelle Volkslied beim Yiddish Summer.
Andreas Schmitges: "Das ist einfach ein paneuropäisches Motiv. Bei den jiddischen und deutschen Sachen ist es interessant, sie haben sich höchstwahrscheinlich entwickelt aus einem gemeinsamen Ursprung. Und das ist natürlich superspannend zu sehen, was dann jede Gruppe, in dem Fall die jüdische Bevölkerung Osteuropas und das, was heute Deutschland ist, was die daraus gemacht haben ... wo sind die Unterscheide, wo sind die Ähnlichkeiten."

Der reiche Fundus sei erst wenig erforscht. Inspiriert durch den Yiddish Summer hat der Kölner Musiker in Archiven nach vergleichbaren Beispielen gesucht und seine Entdeckungen den Kursteilnehmern zusammen mit der jüdischen Sängerin Svetlana Kundish präsentiert.

Schmitges: "Die jiddischen Aufnahmen kommen in großen Teilen aus einem Archiv, das die Volkssängerin und Forscherin Ruth Rubin hinterlassen hat, in New York ... und dann der deutsche Teil kommt in großen Teilen aus dem Volksliedarchiv in Freiburg. Und dann ist es eine sehr diffizile Aufgabe, die Parallelen wirklich zu finden, weil man viel Wissen aus beiden Repertoires haben muss, um zu wissen, was parallel ist. Das ist dann die Schwierigkeit, Spezialisten zu finden, die sich sowohl in den deutschen Volksliedern richtig gut auskennen, als auch in jiddischen Volksliedern."

Svetlana: "Ich bin in der Ukraine geboren, in Israel aufgewachsen, wohne im Moment in Wien und ziehe in zwei Monaten nach Berlin."

Die junge Musikerin Svetlana Kundish ist eine der herausragenden Stimmen des Yiddish Summer. Als 13-Jährige wanderte sie mit ihren Eltern nach Israel aus. Das war 1995. Schon früh mit der jiddische Sprache vertraut, gehört sie zu den authentischen Vermittlern dieser Tradition, zumal sie auch in der russischen, hebräischen und deutschen Sprache zu Hause ist.

Svetlana: "Jiddisch war eine Sprache, die in meiner Familie gesprochen wurde. Und als ich nach Israel kam, im Gymnasium ... hab’ ich Glück, das ist das einzige Gymnasium in ganz Israel, wo man jiddisch als zweite Fremdsprache studieren kann und habe auch Matura in jiddisch gemacht. Und alle Jahr nachher habe ich mich mit jiddischer Sprache, Tradition und natürlich Musik beschäftigt."

Die alten Briken fun ashkenas waren bei der jungen Musikerin also nie wirklich abgebrochen. Im kommenden Herbstsemester beginnt sie am Abraham Geiger Kolleg eine Ausbildung als Kantorin.