"British Pathé"-Archiv

Tod, Tragik und Youtube

Ein zeitgenössisches Fotos, auf dem ein Versuch des Flugpioniers Otto Lilienthal abgebildet ist.
Im Pathé-Archiv sind auch zeitgenössische Aufnahmen von frühen Flugversuchen zu sehen, hier Otto Lilienthal bei einem seiner Versuche. © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Von Patrick Wellinski · 07.03.2015
Vor etwa einem Jahr hat die Filmgesellschaft "British Pathé" ihr gesamtes Archiv online gestellt: 90.000 Videos mit 3.500 Stunden Gesamtlaufzeit. Wer sich durchklickt, stößt auf Tod, Tragik und die Vorläufer von Youtube-Schmink-Tutorials.
Es ist das erste Video, das mir bei Britsh Pathé auffällt, nicht nur, weil es mit "Death Jump" - also "Todessprung" - betitelt ist. Sondern weil diese am 4. Februar 1912 in Paris entstandene stumme Nachrichtenrolle Franz Reichelt zeigt, einen legendären österreichischen Schneider, der eben an jenem Tag mit seinem selbstdesignten Ganzkörper-Fallschirm vom Eiffelturm sprang und nach einem vier Sekunden langen senkrechten Sturz beim Aufprall starb.
Der Film dokumentiert das Ereignis anhand einer erstaunlich selbstbewussten Montage, die nie in die zum Voyeurismus neigt, sondern fast schon melancholisch wirkt. Es beginnt mit einer Text-Tafel:
"Als ob er das furchtbare Schicksal, das ihn erwartete, vorausgeahnt hätte, zögerte der zum Scheitern verurteilte Erfinder lange Zeit, bevor er sich in die Tiefe fallen ließ."
Sogar "Snuff Movies" sind im Archiv
Lange zeigt die Kamera Reichelt. Wie er sich auf den Sprung vorbereitet. Dann: Sprung und: Schnitt. Die Kamera ist weit hinter dem Eiffelturm und zeigt einen schwarzen Punkt, der zu Boden fällt. Dann Schnitt und die Kamera zeigt die Menschenmenge, die den toten Reichelt zum Krankenwagen trägt.
Im Kern ist "Death Jump" ein Snuff Movie. Also ein Film, der den realen Tod der dargestellten Personen zeigt, und steht damit durchaus in einer langen Reihe, die bis zu den heutigen Exekutionsvideos des IS reicht. Und vielleicht ist der verhängnisvolle Sturz von Reichelt jener Moment, an dem sich der Tod auf Ewig in die Filmbilder einschrieb, so dass wir bis heute an dieser problematischen Verbindung herumkauen... Aber: Was zeigen uns die Bilder, wenn die Menschen vor der Kamera schon längst gestorben sind? Was sehen wir? Was wurde eingefangen? Eine Illusion? Einen Lebensausschnitt? Die Seele?
Das sind so Fragen, die ich mir stelle, während ich mich weiter durch das Archiv klicke, das mittlerweile über 90.000 Filmaufnahmen umfasst: Eine Panorama der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, die großen Ereignisse aber auch die kleinen Nebenschauplätze. Da ist zum Beispiel Prinzessin Elizabeth – die heutige Queen - als Automechanikerin im Zweiten Weltkrieg.
Da ist Sir Winston Churchill 1955 im Urlaub auf Sizilien.
Und da ist auch Charles Laughton, der vielleicht größte Star des englischen Films in den 1930er Jahren. Er sitzt in seiner Garderobe und gibt - ja - Schminktipps. Es ist schon verblüffend, wie locker er sich die künstlichen Wimpern anklebt und alles süffisant kommentiert. Vielleicht eine Erklärung für die Flut an Schminktipps im heutigen Youtube. Sie wissen schon.
Doch dann, neben dem Laughton-Video, stoße ich auf einen anderen Clip. Material, das mich unvorbereitet in die düsteren Untiefen der Kinogeschichte zieht, das auch vergessene Kapitel aufschlägt:
Frank Vosper, ein Theater und Filmstar. Seinen größte Hit hatte er als Henry VII. in dem Drama „Rose without a thorn". In dem Video sieht man, wie der Darsteller sich in sein Kostüm begibt. Vier Jahre später verschwindet Vosper. Seine Leiche wird ans Ufer gespült. Bis heute sind die Umstände ungeklärt. Vermutlich ein Streit mit seinem Liebhaber, der nach einer Champagnerparty auf dem Dampfer SS Paris eskalierte. So jedenfalls die Theorie eines anderen Passagiers: Ernest Hemingway.
Gespensterbilder, von Trauer übermannt
Es ist interessant, wie die kurze Nachrichtenrolle das Verschwinden des Schauspielstars und sein Schicksal vorwegnimmt. Wie in zwei kurzen Blenden der Mensch Frank Vosper verschwindet und nur noch die Rolle bleibt.
Erst also die Einstellung von Vosper, wie er sich in stiller Leidenschaft die Augenkonturen schminkt, dann ein Schnitt auf das Bildnis von König Henry VII. , und dann wieder Schnitt auf den fertig kostümierten Vosper. Vier Jahre später dann: Dieselbe Bildfolge aber mit einem anderen, lakonischen Kommentar:
Als hätten es die Redakteure von damals geahnt, zeigen sie auch nur die Verwandlung von Vosper zum König. Zwei Blenden, drei Bildfelder: Von Schauspieler zur Bühnenfigur. Denn das ist das Einzige was von ihm bleiben wird. Gespensterbilder, von Trauer übermannt. Gefangene Worte und Körper, die sich ihrer Existenz vergewissern wollen und so ihre eigenen Legenden erzeugen.