Britischer Publizist fordert von Deutschland mehr Führung in Europa

11.06.2013
Eine politische Union in Europa kann auf Dauer nur ohne die südlichen Länder funktionieren, sagt der britische Banker und Publizist David Marsh. Politisch und wirtschaftlich müssten sich die beteiligten Staaten vor allem an Deutschland orientieren.
Nana Brink: Heute und morgen blickt nicht nur die Finanzwelt nach Karlsruhe. Dort, vor dem deutschen Verfassungsgericht, geht es ums Eingemachte, um die Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank. Diese hatte nämlich angekündigt, Staatsanleihen klammer Eurostaaten in unbegrenzter Höhe einzukaufen, und das höchste deutsche Gericht will nun prüfen, ob die Notenbank damit ihre Kompetenzen überschreitet. Für uns Anlass, wieder einmal auf die europäische Krisenpolitik zu blicken und ihre Erfolgsaussichten. Und das wollen wir tun, und zwar aus britischer Sicht – die Briten sind ja bekanntermaßen kein Mitglied der Eurozone und lassen in Gestalt ihres Premier David Cameron auch kein gutes Haar an der Krisenpolitik der Nachbarn auf dem Kontinent. Der britische Journalist und Banker David Marsh ist ein Kenner der europäischen Währungsunion und der EZB. Schönen guten Morgen, Herr Marsh!

David Marsh: Schönen guten Morgen!

Brink: Sieh haben mehrere Bücher zum Euro geschrieben, das neue gibt dem Euro keine Chance mehr. Haben Sie als Brite so viel Angst vor dem Euro, dass Sie sich so ausgiebig damit beschäftigen.

Marsh: Nein, das ist absolut nicht der Fall, dass ich dem Euro keine Chance mehr gebe. Ich gebe keine Chance, dass diese Krise irgendwie bewältigt wird, aber ich glaube, dass der Euro weiterhin bestehen wird, und in einigen Jahren kann es sogar sein, dass die Währung sogar stabiler sein wird als heute, vielleicht mit einem etwas kleineren Mitgliederkreis.

Brink: Sie haben nun gesagt, der Euro wird bestehen bleiben, aber Europa beziehungsweise diese Krise ist nicht lösbar. Das ist auch der Titel Ihres Buches, nämlich "Beim Geld hört die Freundschaft auf – warum die Eurokrise nicht mehr lösbar ist". Scheitert Europa wirklich an Geld?

Marsh: Europa scheitert ohnehin nicht, auch wenn der Euro scheitern würde. Europa ist ein großes Konstrukt, das in der Tat auf verschiedenen Ländern basiert, die mit dem Euro nichts zu tun haben. Deswegen, ich will in der Tat einen Unterschied machen, einen Keil will ich treiben zwischen diese ganz dummen Argumentationsweisen, dass Europa und Euro die gleichen Sachen sind.

Brink: Und warum ist dann diese Krise nicht lösbar Ihrer Meinung nach?

Marsh: Also vor allem ist Deutschland nicht in der Lage, da eine gewisse Führung hier zu übernehmen.

Brink: Ach, da haben wir aber den ganz anderen Eindruck, da werfen uns doch gerade die Briten immer vor, dass wir sozusagen die Leading Role haben, dass wir den anderen diktieren, wo es langgehen soll.

Marsh: Ich werfe den Deutschen nichts vor, ich kann hier nicht für Großbritannien plädieren. Ich und auch, ich glaube, andere Europäer, wir würden es sehr gerne sehen, wenn Deutschland in dieser Hinsicht eine Führungsrolle dann doch übernehmen würde. Ich meine auch intellektuell, politisch, wirtschaftlich hat Deutschland ohnehin eine Führungsrolle de facto übernommen. Man ist aus verschiedenen historischen Gründen aber nicht in der Lage, diese Rolle mit gewisser Bedeutung und mit Leben zu füllen. Ich werfe auch den Deutschen – wenn ich überhaupt den Deutschen etwas vorwerfen würde, dann würde ich sagen, mangelnde Fantasie.

Man hat da absolut gar keine Ahnung, was auf Deutschland zukommen würde, mit dieser Fatalität, verschiedener Länder in ganz unterschiedlichen Konjunkturen und strukturellen Zustand durch eine Währung zusammenzubinden. Die meisten Politiker, die den Maastrichter Vertrag unterzeichnet haben, hatten ohnehin keine Ahnung, was die da damit anstiften würden, und davon Herr Kohl, muss man auch leider sagen, hat das auch nicht verstanden. Er war aber klug genug zu wissen, dass eine Währungsunion wirklich nur von Bestand sein wird, wenn sie mit einer politischen Union auch irgendwie so eingebunden wird. Und das war in der Tat richtig, was Herr Kohl schon vor 20 Jahren gesagt hat, nämlich, dass eine Währungsunion ohne politische Union nur ein Luftschloss bleiben würde, das waren seine Worte. Leider sehen wir aber schon wieder, dass die Deutschen nicht imstande sind, auch diese politische Union nach vorne zu bringen. Die Franzosen wollen das nicht, viele andere Länder wollen das auch nicht.

Brink: Ja, gut, aber die Deutschen können es ja nicht alleine, Sie haben das Stichwort gesagt, Frankreich. In einem Ihrer anderen Bücher haben Sie gesagt, das ist eigentlich die Achse in Europa, die funktionieren muss, und die funktioniert ja nicht.

Der Publizist David Marsh (Bild: picture alliance)

Marsh: Dann hätten die Deutschen etwas mehr Überzeugungskunst in die Wege leiten sollen bezüglich Frankreich. Wenn ich sage, Führung wird hier benötigt, ich meine nicht, dass die Deutschen überall einmarschieren. Das ist nicht mein Punkt, sondern mein Punkt ist, dass die da etwas mehr Fantasie, etwas mehr Überredungskunst, etwas mehr intellektuelle Überzeugungsaktivität hier leisten sollten, auch in den anderen europäischen Hauptstädten. Die Briten stehen ihnen aber gar nicht im Wege, die Briten sagen absolut, dass eine politische Union notwendig ist, damit die Währungsunion richtig eingefädelt wird. Wir wollen aber nicht teilhaben, das ist ja klar, wir sind gute Europäer, …

Brink: Wieso ist das klar?

Marsh: … wir gehen davon aus, dass es viel besser ist, dass unser eigenes Parlament und unsere eigene Gesetzgebung, unsere eigene Regierung sich um solche Dinge kümmert. Aber das ist euer gutes Recht, eine politische Union, wenn ihr das wolltet, ihr solltet das doch in die Wege leiten lassen.

Brink: Also die Briten halten sich dann vornehm wieder mal zurück. Aber bleiben wir noch mal ein bisschen bei den Deutschen, und helfen Sie mir noch mal ein bisschen, wie können denn die Deutschen mehr Fantasie haben?

Marsh: Es ist jetzt zu spät. Es ist ja klar, dass Länder unter massiven Konkurrenzverlusten, Wettbewerbsfähigkeitsverlusten leiden. Und mein Fazit ist, dass die Deutschen relativ verwundbar sind, weil Deutschland letzten Endes auch für die Schulden vieler anderer Länder alles übernehmen müssen, sind viel höher, als viele denken.

Brink: Aber Sie als sich vornehm zurücknehmender Brite, wie kommen wir denn aus dem Schlamassel wieder raus?

Marsh: Ich sehe wirklich keine sehr brillanten Lösungsansätze. Ich nenne das in meinem Buch, man muss eine gewisse Deutschlandkompatibilität an den Tag legen, man sollte in der Tat ähnliche politische Strukturen und vor allem ähnliche Wirtschaftsstrukturen haben wie die Deutschen. Das schließt eine ganze Menge Länder aus meines Erachtens, die Südländer. Ich glaube nicht, dass das auf Dauer gut gehen kann. Deswegen, ich würde diese politische Union wahrscheinlich für einen Kreis von sechs, sieben, acht Ländern beschränken, die alle ein bisschen wie die Deutschen ticken. Es könnte sein, dass eines Tages auch die Schweiz dazugehört. Die Schweiz ist zurzeit kein Mitglied der europäischen Union, geschweige denn der Währungsunion. Deswegen, ich kann mir denken, dass dieser neue Kreis einen relativ intakten Kreis von sehr stabilen und sehr gut gehenden Ländern einschließen kann. Das kommt natürlich nicht von heute auf morgen, das ist ein Lösungsansatz meines Erachtens.

Brink: Aber ohne Großbritannien?

Marsh: Ohne Großbritannien, aber wir lassen Sie das doch machen. Also Großbritannien ist sehr europäisch, Großbritannien ist sehr auf Europa angewiesen. Großbritannien ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands, das wissen nur wenige. Wir betreiben Handel und Investition mit Euch Deutschen, trotzdem wir nicht Mitglied der Währungsunion sind. Und wir bleiben sehr aktiv auf dem Kontinent, auch als aktive Europäer, aber wir wollen nicht Mitglied der Währungsunion sein, wir wollen auch nicht Mitglied einer irgendwie gearteten politischen Union sein. Wir denken, es ist besser für die beiden Länder, sowohl für die Engländer als auch für die Deutschen, wenn wir draußen vor bleiben.

Brink: Der britische Journalist und Banker David Marsh – mit ihm sprachen wir, und sein Buch "Beim Geld hört der Spaß auf – warum die Eurokrise nicht mehr lösbar ist" ist in diesen Tagen erschienen, und zwar im Europa-Verlag.


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