Brexit-Debatte

Wie sich die britischen EU-Hasser kaltstellen lassen

Der britische Premier David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel stehen auf einem roten Teppich in Berlin.
Der britische Premier David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. © afp
Von Jochen Spengler · 29.05.2015
Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wäre ein Desaster und womöglich der Anfang vom Ende der Europäischen Union. Europa muss die Briten im Club halten - durch einen Kompromiss, der für beide Seiten akzeptabel ist. Ein Kommentar von Jochen Spengler.
Man kann trefflich darüber streiten, für wen es schlechter wäre, wenn Großbritannien die EU verließe: für Europa oder für die Briten selbst? Völlig unumstritten ist aber, dass es für beide Seiten einem Desaster gleichkäme.
Großbritannien verlöre seinen wichtigsten Absatzmarkt, das Finanzzentrum London würde schwer getroffen, etliche Unternehmen müssten nachdenken über eine Standortverlagerung von der Insel auf den Kontinent oder anderswo hin.
Deutschland müsste auskommen ohne den Mitstreiter für freie Märkte und demokratische Legitimität, gegen staatliche Bevormundung und Brüsseler Überregulierung – also auf ein hilfreiches Gegengewicht zu den südeuropäischen Freunden.
Es muss am Ende ein für beide Seiten akzeptabler Kompromiss gefunden werden
Und Europa ginge mit der zweitgrößten Volkswirtschaft nicht nur ein wirtschaftlich bedeutender Nettozahler verloren, sondern auch und vor allem ein politisch und militärisch nicht ersetzbarer Player, was den globalen Einfluss und die Ambitionen der EU gewaltig verringern würde.
Schließlich sollte man die innereuropäischen Folgen eines Brexit nicht unterschätzen: Er könnte eine Eigendynamik in Gang setzen, dem politischen Rechtspopulismus Auftrieb geben und den Anfang vom Ende der Europäischen Union einläuten.
Diese unerfreulichen Perspektiven geben die Marschroute vor für die kommenden Verhandlungen mit Großbritannien: Es muss am Ende ein für beide Seiten akzeptabler Kompromiss gefunden werden. Der ist durchaus möglich; man liegt keineswegs Lichtjahre entfernt und Premierminister David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben Recht: Wo ein Wille ist, da ist ein Weg. Vor allem, wenn man die kommenden Monate als Chance begreift: für das Vereinigte Königreich und für Europa.
Angela Merkel schließt Änderungen am EU-Vertrag nicht aus
Denn Camerons Wünsche werden von vielen EU-Bürgern geteilt: dass sich Brüssel künftig auf das konzentriert, was notwendig und den Staaten und Regionen alles überlässt, was möglich ist, dass sich die EU mehr um Arbeitsplätze und Wachstum kümmert und weniger um Klimbim wie Lärm- und Wattgrenzen für Staubsauger.
Auch sollte man endlich zur Kenntnis nehmen, dass die deutsche Vision einer immer engeren politischen Union, die sich um den Euro schart, längst nicht von allen EU-Staaten geteilt wird. Mehr Flexibilität tut Not, eine vertragliche Verankerung einer Union der verschiedenen Geschwindigkeiten. Dass die Bundeskanzlerin heute sogar eine Änderung des EU-Vertrags nicht ausgeschlossen hat, zeigt, dass sie zu großen Zugeständnissen bereit ist, um die Briten im Club zu halten.
Das alles wird natürlich nicht reichen, die notorischen EU-Hasser auf der Insel einlenken zu lassen. Aber es gibt Großbritannien die große Chance, sie kaltzustellen, das Verhältnis zur Europäischen Union zumindest für die kommenden Jahrzehnte zu klären und damit das ständige Gemurre und die latente Unsicherheit zu beenden.
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