Braunkohle in der Lausitz

Horno war nicht das letzte Dorf

In der Lausitz protestieren Bürger gegen den geplanten Kohleabbau in der Region
In der Lausitz protestieren Bürger gegen den geplanten Kohleabbau in der Region © Deutschlandradio
Von Manuel Waltz · 18.05.2015
Eigentlich sollte Horno das letzte Dorf sein, dass der Braunkohle weichen muss. Es sollte keine neuen Braunkohlekraftwerke geben - auch nicht in Brandenburg. So klar fasste 1991 Manfred Stolpe, Ministerpräsident von Brandenburg, die Zukunft der Lausitz zusammen. Nur: Es stimmte nicht.
Collage Politikerstimmen: "Strukturwandel braucht Zeit. Daraus ergibt sich übrigens die vierte Wahrheit, um die wir uns in der aktuellen Debatte völlig herumdrücken: Die eigentliche Herausforderung kommt nach 2020."
"Die Perspektive ist klar, wir haben in der Lausitz für die Verstromung noch Braunkohle für fast 200 Jahre."
"Ich begreife nicht, die sitzen in Horno wie auf einer Insel, wir wollen den Investoren die Chance geben, hier zu arbeiten."
"Wir werden die Energiewende nicht dadurch bewältigen indem wir die Summe der ökonomischen regionalen Interessen zur Energiewende erklären."
"Das ist auch klar für die Energieversorger. Daran werden wir auch dann nicht rütteln, wenn aus wirtschaftlichen Gründen möglicherweise einmal ein Kohlekraftwerk abgeschaltet werden muss. Das ist die klare Leitlinie unserer Politik."
Thomas Buckerts: "Da sehen wir dieses Tiefschnittgerät. Das ist ein GS 710, das heißt, das ist ein Eimerkettenbagger auf Raupen und schwenkbar. Und die 710, die Zahl bezieht sich auf den Eimerinhalt in Litern. So und der hat ja nun mehrere Eimer an seiner Kette dran und diese Geräte machen bei uns in der Grube nur Tiefschnitt."
Thomas Buckerts ist Ingenieur im Braunkohle-Tagebau Jänschwalde in der Lausitz, unweit von Cottbus. Irgendwo hier, wo die riesigen Bagger sich gerade durch den Boden fressen, stand einmal das sorbische Dorf Horno.
"Auch in dem Kohleflöz wo wir jetzt stehen und noch einen tiefer, ist nochmal eine Mittelschicht so wie jetzt hier. Und die muss auch ausgehalten werden. Also nimmt dann die Kohle runter, je nachdem wie stark das dann ist. Dann merkt er ja, sieht er ja, oh jetzt ist Kohle zu Ende, jetzt kommt Sand, dann schwenkt er wieder rüber und schmeißt das Mittel rüber und wenn er wieder Kohle hat, schwenkt er wieder über die Bandanlage und macht dann die Kohle weiter."
Der verschwundene Ort ist vor allem für die Braunkohlegegner fast ein Mythos. Horno steht für vieles im Zusammenhang mit der Braunkohle in der Lausitz. Noch zu DDR-Zeiten wurde beschlossen, das Dorf der Kohle zu opfern. Der Protest dagegen blieb erfolglos. Braunkohle war der mit Abstand wichtigste Energieträger, achtzig Prozent der Stromversorgung des Arbeiter- und Bauernstaates wurden dadurch abgedeckt. Zudem heizten nach wie vor unzählige Menschen ihre Wohnungen mit Briketts und Koks aus der Lausitz. Und das sollte so bleiben.
O-Ton DDR: "Wie aus den Volkswirtschaftsplänen ersichtlich fördern wir jährlich um die 260 Millionen Tonnen Kohle, bei dem erkundeten Bestand auf dem Gebiet der DDR würde der Vorrat bis weit über 2050 hinaus reichen."
Doch mit der Wende 1989 wurde schnell klar, dass es irgendwann einen Ausstieg geben musste. Zu schmutzig war dieser Energieträger, die Luft in den Großstädten wegen der vielen Braunkohleheizungen im Winter kaum mehr zu atmen, der Landschaftsverbrauch enorm, das Grundwasser wurde verseucht. Die Frage war nur: wann und wie? Die Hornoer schöpften Hoffnung. Was aber folgte war ein beispielloses Hin und Her und ein erbitterter Kampf der Hornoer um ihre Heimat. Politische Versprechen wurden gegeben und wieder gebrochen
Manfred Stolpe: "Ich bin der Meinung, dass für mich und meine persönliche Haltung ganz wichtig ist, wie die Hornoer in ihrer Mehrheit denken."
So der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe 1992. Das Problem war nur: Die übergroße Mehrheit der Hornoer wollte ihr Dorf nicht für den Tagebau aufgeben. Ein Fakt, den der damalige Umweltminister des Landes Matthias Platzeck, noch anerkannte.
Matthias Platzek: "Weil wir also die großen wichtigen Umsteuerungen nicht zu Wege bringen, fällen wir im Kleinen Entscheidungen, noch dazu gegen den erklärten Bürgerwillen, und aus diesen Gründen kann ich diese Entscheidungen nicht mit tragen."
Immer mehr Dörfer werden geopfert
Doch bald änderten die beiden führenden Köpfe der brandenburgischen Politik radikal ihre Meinung.
Platzek: "Um das Kraftwerk bis zum Ende der Betriebszeit zuverlässig mit preiswerter Braunkohle zu versorgen dafür ist die Förderung aus dem Tagebau Jänschwalde notwendig und dies erfordert die Inanspruchnahme des Gemeindegebietes von Horno."
Erklärte Matthias Platzek und auch Manfred Stolpe war nun der Meinung, dass die Hornoer doch gegen ihren Willen von ihren Höfen und aus ihrem Dorf entfernt werden sollten.
Stolpe: "Wer jetzt von der Wirtschaft her uns sagt und uns auch bewiesen hat: Wir brauchen, wir brauchen Horno, wir brauchen die Kohle, der geht persönlich mit in Pflicht. Und den werden wir auch nicht laufen lassen, persönlich mit in Pflicht, dass die Arbeitsplätze über die Jahre und Jahrzehnte gesichert bleibe."
Die Tagebaue in Lausitz fressen sich nun seit weit über einhundert Jahren durch die Landschaft. Immer neue Dörfer in Brandenburg und Sachsen werden geopfert, immer wieder alte Wälder gerodet, das Grundwasser abgesenkt und verseucht, all das um Energie zu gewinnen und Arbeitsplätze zu sichern, was auch Manfred Stolpe damals als Begründung für seinen Meinungswandel heranzieht. Doch der Arbeitsplatzabbau ist bereits in vollem Gange, immer weniger Menschen arbeiten in der Braunkohle. Thomas Burchardt ist Vertreter der Sorben in der Lausitz, für ihn sind zudem die verbliebenen Arbeitsplätze viel zu teuer erkauft.
Thomas Burchardt: "Bergbau basiert auf Ausbeutung, das Kreislaufdenken das die Erneuerbaren haben, das hat der Bergbau nicht. Bergbau kommt, beutet aus und geht. Und hinterlässt Kippen, braune Spree, abgerissene Dörfer, Löcher."
Doch anstatt eine klare Strategie zu erarbeiten, wie der Ausstieg aus der Braunkohle und der Strukturwandel in der Lausitz langfristig gestaltet werden könnten, verheddern sich Landes- wie Bundespolitiker seit Jahren in Widersprüche oder stehen auf der Bremse.
Angela Merkel: "Wir können es uns nicht leisten beim Klimaschutz von wissenschaftlichen gebotenen Zielen abzurücken."
Sigmar Gabriel: "Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Er ist nicht ohne einen Beitrag des Stromsektors, aus dem circa 40 Prozent der Emissionen in Deutschland stammen, zu erreichen."
Strom aus Braunkohle günstig wegen Subventionen
Dass Strom aus Braunkohle überhaupt so günstig hergestellt werden kann, das liegt an indirekten Subventionen, die die Politik festlegt: Beispiel Wasser. Für einen Tagebau wird jahrelang mit zig Pumpen das Grundwasser abgesenkt. Müsste der schwedische Energiekonzern Vattenfall in der Lausitz dafür wie jeder andere auch die normalen Gebühren zahlen, wäre die Braunkohle vielleicht gar nicht mehr wettbewerbsfähig.
Die Politiker in Sachsen und Brandenburg verhindern das seit Jahren. Doch auch der Bund tut das seine. Beispiel EEG-Umlage. Ein Tagebau hat einen enormen Stromverbrauch. Müsste der Betreiber dafür die EEG-Umlage wie jeder Bürger auch zahlen, wäre die Kohle deutlich teurer als heute. Doch sie sind von der Umlage befreit. Selbst, als diese Ausnahmen von der EEG-Umlage im vergangenen Jahr eingeschränkt wurden, haben Politiker dafür gesorgt, dass sie auch weiterhin davon befreit bleiben. Politiker, die sonst von Klimaschutz sprechen, allen voran Angela Merkel und Sigmar Gabriel.
Thomas Burchardt kann das nicht verstehen. Für ihn steht Horno und sein Schicksal exemplarisch für diese Widersprüche. Es sollte das letzte Dorf in der Lausitz sein, das wegen der Braunkohle abgebaggert werde, auch das versprach der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe den Bürgern.
"Seit 1994 ist klar: Wenn Horno das letzte Dorf gewesen sein sollte, dass wir hier einen Strukturwandel brauchen. Was macht das Land? Das Land macht eine Studie 2006: Wie kann die Lausitz die nächsten 50 Jahre 50 Millionen Tonnen Braunkohle fördern - die Clausthal Studie. Deswegen haben wir uns in der Klinger Runde gegründet. Wo ich sage: So ein Hirnriss konnte man sich nicht vorstellen. Das heißt, dass sie ihre eigenen Versprechen derart gegen die Wand fahren."
Protestschild: "Unsere Region ist durch einen Braunkohletagebau bedroht. Wir wehren uns!"
Protestschild: "Unsere Region ist durch einen Braunkohletagebau bedroht. Wir wehren uns!"© Deutschlandradio
Thomas Burchardt hat mit anderen die "Klinger Runde" gegründet, eine Bürgerinitiative, die sich gegen neue Tagebaue wehrt und für den Strukturwandel streitet. Im April waren sie dabei als zu einem Sonntagsspaziergang durch bedrohte Orte aufgerufen wurde. Auch in Neu-Horno, dem Umsiedelungsstandort am Stadtrand von Forst, so Burchardt, seien die ehemaligen Hornoer nicht vor den Baggern sicher.

"Teile von Forst, Forst Hauptfeld sind auch betroffen. Man hat sich mit dem Umsiedelungsstandort ein bisschen zwei Eier ins Nest gelegt, zum einen, dass dort, wenn das Braunkohlefeld Forst Hauptfeld kommt, Neuhorno zumindest teilweise abgebaggert werden könnte, aber auf jeden Fall randbetroffen ist. Und zum anderen, dass sich die Stadt Forst weigert, Forst als sorbisches Siedlungsgebiet anzuerkennen."
Auch Antje Kirchner aus Cottbus ist am Sonntag auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Sie ärgert sich über die Wankelmütigkeit in der Politik und dass trotz großer Versprechen am Ende fast immer den Interessen der Industrie nachgegeben wird. Denn dass irgendein Konzern-Manager in die Pflicht genommen werde, wie Manfred Stolpe es noch versprochen hatte, das sieht sie nicht. Vattenfall wird sich von seiner Lausitzer Braunkohlesparte trennen. So hat es der Eigner, die schwedische Regierung beschlossen.
"Aber wir wollen sie nicht gehen lassen für einen Appel und ein Ei. Weil die haben hier noch für Milliarden aufzuräumen. Die brüsten sich immer damit, dass die LMBV ja diese ganzen DDR-Tagebaue wegmachen müssen, dabei macht der aktive Tagebau genauso viele Schäden und wird genauso eine große Umweltbelastung bringen. Mit dem ganzen Know how, was sie jetzt schon haben könnten oder machen könnten."
Konfliktlinien haben sich verschoben
Die Konfliktlinien haben sich in den vergangenen fünfzehn Jahren verschoben. Roland Lehmann ist ebenfalls zu dem politischen Sonntagspaziergang gekommen. Zusammen mit ein paar hundert anderen läuft er vom Bahnhof in Schleife in den Ortsteil Mühlrose. Das ganze Gebiet, das auf der sächsischen Seite der Lausitz liegt, soll dem Tagebau Nochten II weichen.
"Es geht für uns sicherlich in erster Linie um den Erhalt unserer Dörfer. Aber jeder weiß heute, und das haben wir auch begriffen, dass man über seinen Tellerrand hinaus schauen sollte und muss. Und es geht eigentlich um viel, viel mehr. Und letztendlich werden wir alle betroffen sein. Nicht nur die, die jetze da irgendwie abgebaggert werden, die Zeche dessen was wir hier, die werden wir alle irgendwann bezahlen müssen. Wir vielleicht direkt nicht mehr aber unsere Kinder oder Kindeskinder und das kann nicht sein. Man muss endlich mal, man muss endlich mal hier einen anderen Weg einschlagen. Wir wissen alle, dass es Riesenprobleme gibt auf der Welt, was Klima betrifft und, und, und... Aber ich hoffe, dass Leute endlich begreifen und aufwachen."
Vor allem aus Klimaschutzgründen steht die Kohle mittlerweile massiv unter Druck. Kein anderer Energieträger verursacht mehr CO2 bei der Verstromung als die Braunkohle. So ist aus dem Widerstand gegen das Abbaggern der Dörfer in der Lausitz auch eine Bewegung für den Klimaschutz und für die Energiewende geworden. Denn gerade die Erneuerbaren Energien bieten eine Alternative zur Kohle. Zudem hat sich Deutschland in internationalen Verträgen verpflichtet, seinen CO2 Ausstoß massiv zu reduzieren. Bis 2050 soll der Ausstoß um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 zurückgehen. Ein ambitioniertes aber nicht unmögliches Ziel, so Erik Gawel, Professor für Infrastruktur und Ressourcenmanagement am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.
"Und das bedeutet faktisch, wann man das jetzt auf den Stromsektor runter rechnet. Also nicht alle Sektoren können so gut Treibhausgase wie der Stromsektor, dass für die Kohleverstromung bis 2050 keinerlei Platz ist."
Doch, so der Wissenschaftler, das ist noch nicht alles.
"Und selbst in der kürzeren Frist bis 2020 haben wir auch ein Klimaschutzziel nämlich minus 40 Prozent Treibhausgasreduzierung gegenüber 1990 und von diesem Ziel sind wir noch ein gutes Stück entfernt beziehungsweise es droht schon eine Zielverfehlung bis 2020. Wir stehen nämlich im Moment bei minus 27 und haben eine Phase hinter uns, in den letzten Jahren gab es im Wesentlichen eine Stagnation so dass man jetzt auf die letzten Jahre nochmal ordentlich Gas geben müsste."
Im Herbst wird in Paris eine UN-Konferenz zum Klimaschutz abgehalten. Spätestens dort muss Deutschland glaubhaft zeigen, wie es diese Ziele erreichen will. Nach wie vor gilt das Land der Energiewende international als Vorreiter, doch in Paris wird sich entscheiden, ob dies auch künftig der Fall sein wird. Die deutschen Vertreter, so Erik Gawel, werden dort erklären müssen....
"...wie hoch auch die die Verbindlichkeit ist, die wir diesen Klimaschutzzielen beimessen. Denn die Frage ist, wenn wir das jetzt nicht machen, wie sollen wir dann die Ziele bis 2020 und auf lange Frist bis 2050 eigentlich erreicht werden, wenn wir auf diesen naheliegenden, zwingenden, einfachen, wichtigen Beitrag nämlich durch eine Reduzierung der Kohleverstromung verzichten."
Rückbau der Atomkraftwerke ist teuer
Eine klare politische Linie in Sachen Energiewende ist derzeit kaum zu erkennen. Und das, obwohl alle im Bundestag vertretenen Parteien, alle Landesregierungen zu ihr stehen und sich zu ihrem Erfolg verpflichtet haben. Aber eine gemeinsame Strategie, wie sie zu diesem Erfolg geführt werden könnte, die gibt es nicht. Ralf Christoffers ist ehemaliger Wirtschaftsminister von Brandenburg. Als die Linke 2009 in die Landesregierung eintrat, war sie gegen die Braunkohle. Im Laufe der Regierungszeit aber, hat sie ihre Meinung über die Zukunft der Lauitzer Braunkohle geändert, gegen den Willen der Bundespartei. Dennoch moniert er...
"...dass es im Bereich der Energiepolitik gegenwärtig keine ordnungspolitische Sicherheit gibt, sowohl die Entwicklung der einzelnen Energieträger aber auch für die Strukturumbrüche in den Regionen, die die Energiewende gestalten."
Bräunlich-Rot ist das Wasser eines Bachs am 10.01.2013 am Naturspreewaldhafen in Ragow nahe Lübben (Brandenburg) gefärbt. Nach dem Ende vieler Lausitzer Braunkohletagebaue macht ansteigendes Grundwasser Mensch und Natur zu schaffen. So verfärbt sich das Wasser im Oberlauf der Spree bräunlich.
Bräunlich-Rot ist das Wasser eines Bachs am 10.01.2013 am Naturspreewaldhafen in Ragow nahe Lübben (Brandenburg) gefärbt. Nach dem Ende vieler Lausitzer Braunkohletagebaue macht ansteigendes Grundwasser Mensch und Natur zu schaffen. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Gerade aber an diesen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen hätte Ralf Christoffers arbeiten können, als er von 2009 bis 2014 Wirtschaftsminister des Landes Brandenburg war. Stattdessen hat er unter anderem eine Erweiterung des Tagebaus Welzow Süd II vorangetrieben. Kurz vor Ende seiner Amtszeit hat er schließlich noch das politische OK dafür erteilt, indem er wie alle anderen Regierungsmitglieder auch dem Braunkohleplan für das Gebiet zugestimmt hat. Wohl auch, um den Wert der Braunkohle-Sparte von Vattenfall hoch zu halten. Denn die Politik ist darauf angewiesen. Der Rückbau der deutschen Atomkraftwerke kostet Milliarden. Die Konzerne mussten Rücklagen bilden, um diesen Rückbau zu zahlen. Was sie mit diesem Geld machen, das blieb ihnen überlassen. Vattenfall investierte in seine Braunkohle-Sparte in der Lausitz. Erließe die Politik nun ein konkretes Ende der Braunkohleverstromung, müsste Vattenfall einen guten Teil davon abschreiben und das Geld würde für den Rückbau der Atomkraftwerke fehlen. Ein Teufelskreis, denn damit ist weiterhin unklar, wann genau das Ende der Braunkohle im brandenburgischen Teil der Lausitz kommen wird.
"Die Frage ist jetzt, in welchen Zeiträumen kann das denn auch tatsächlich passieren. Und ich bin kein großer Anhänger davon über Jahreszahlen, also dreißig oder vierzig zu reden. Weil man redet dann sehr schnell nur noch über Jahreszahlen und nicht über die politischen Entscheidungen und die industriepolitischen Vorgänge, die notwendig sind, um dahin zu kommen."
Diese politischen Entscheidungen scheuen sich die Politiker in der Lausitz zu fällen. Stattdessen setzen sie auf den Erhalt der Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie sowie auf die dadurch entstehende Wertschöpfung. Da die Lausitz besonders strukturschwach und durch Abwanderung geprägt ist, spielt das hier eine besondere Rolle. Professor Gawel aber fordert gerade deshalb ein klares Ausstiegsszenario, in dem Alternativen erarbeitet werden.
"Man hat bisher immer auf die kurze Perspektive gesetzt und die Problematik so etwas vor sich hergeschoben. Aber das rächt sich eben jetzt. Es gibt viele Probleme, die langfristige Perspektiven haben, aber es ist politisch immer einfacher zunächst mal an das Morgen zu denken als an das Übermorgen."
Weil es aber keinen Masterplan für den Ausstieg aus der Braunkohle gibt, herrscht mittlerweile wieder einmal Unsicherheit darüber, wie genau es weitergeht. Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat kürzlich einen Plan vorgelegt, der Strom aus Braunkohle verteuern würde. Damit wären vor allem ältere Kohlemeiler, darunter auch einige in der Lausitz, nicht mehr wettbewerbsfähig und würden vermutlich abgeschaltet. Das wiederum würde die Nachfrage nach Braunkohle senken und die beiden kürzlich genehmigten Pläne für Welzow Süd II und Nochten II würden vermutlich nicht mehr umgesetzt. Doch die beiden Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg kämpfen mit harten Bandagen gegen diese Pläne. Vor allem die Unsicherheit, die aus diesen widersprüchlichen Aussagen resultiert, so Professor Gawel, hat eine besonders schädliche Wirkung.
"Und wir tun uns natürlich keinen Gefallen, wenn die politischen Signale hier praktisch im Quartalsrhythmus wechseln. Das ist auch für die privaten Akteure, für den Markt sehr wichtig. Denn wenn hier verwirrende Signale gegeben werden, mal Ausstieg, mal Einstieg, ähnlich auch bei den Atomkraftwerken, mal Verlängerung, dann Ausstieg, dann können sich auch die Marktkräfte nur schwerlich einstellen, nach Alternativen suchen und dergleichen. Also es ist schon sehr wichtig hier einen verlässlichen Politikprozess zu organisieren, der eine Perspektive hat, der klare Ansagen hat und wo man auch den Eindruck hat, darauf kann man sich längerfristig verlassen."
Grundsätzlich hat Kaiser nichts gegen Braunkohle
Gerade das aber ist in der Lausitz nicht der Fall. Und darunter leiden besonders die davon betroffenen Menschen.
Am Stadtrand von Schleife, an einem kleinen Weg wohnt Hildegard Kaiser. Sie ist vor zehn Jahren in die Lausitz gezogen. Sie führt durch ihr Haus, durch den Flur, der mit Teppichen ausgelegt ist. Alles ist gepflegt, einiges müsste allerdings erneuert werden. Das Haus hat sie vor gut zehn Jahren zusammen mit ihrem Mann als Rohbau gekauft und es fertig gebaut, nachdem ihr altes Haus nahe Dresden beim Elbe-Hochwasser überflutet wurde. Sie ist mittlerweile in der Küche angekommen, setzt sich an den Tisch, vor ihre Kaffeetasse.
"Es ist eigentlich ganz kurios gelaufen. Wir sind im August hier rein, 2003, und als wir dann fertig waren, brauchten wir einen Elektriker, weil derjenige, der den Rohbau gebaut hat, vergessen hat eine Erde zu legen. Haben wir einen Elektriker angerufen, der hat hier draußen gebohrt und nach einer Weile meinte er bloß: Heizung bräuchten wir keine, Kohle wäre genug drunter unter dem Haus. Und der Elektriker ist unser heutiger Bürgermeister. So, und durch diese Aussage sind wir natürlich ins Gespräch gekommen und da hat er solche Andeutungen gemacht, dass ja der Tagebau bevorsteht. So und daraufhin bin ich auf die Gemeinde gefahren und habe den damaligen Bürgermeister gefragt, was da dran ist und der hat mir gesagt nichts. Weil damals hätte ich den Kauf noch rückgängig machen können, wenn der ehrlich gewesen wäre. So. Naja, gut, dann haben wir dann fertig gemacht, was soll´s. Und da fingen die schweren zehn Jahre dann an."
Grenzüberschreitend demonstrieren Menschen zwischen dem deutschen Kerkwitz und dem polnischen Grabice gegen Braunkohle.
Grenzüberschreitend demonstrieren Menschen zwischen dem deutschen Kerkwitz und dem polnischen Grabice gegen Braunkohle.© dpa / picture alliance / Andreas Franke
Hildegard Kaiser würde gerne vieles im Haus erneuern, neu tapezieren beispielsweise. Auch im Garten würde sie sich gerne betätigen, Sträucher oder einen Baum pflanzen. Doch nachdem klar war, dass das Haus dem Tagebau Nochten II zum Opfer fallen würde, stand für die Kaisers fest, dass sich so etwas nicht mehr lohnt, da ja irgendwann alles abgebaggert wird. Deshalb haben sie versucht, das Haus zu einem möglichst hohen Preis an Vattenfall zu verkaufen. Grundsätzlich haben sie nichts gegen die Braunkohle.
"Und was bringt es, wenn ich mich gedanklich quer stelle. Ich kann es ja eh nicht ändern. So und dann lieber aber gleich. Und vor allem, was ich mir wünsche, dass ich mit entscheiden darf, dass ich nicht fremdgesteuert leben muss. Das ist das, was mich am meisten ärgert. ich selbst bin bei der Sache niemand. Ich bin abhängig von Vattenfall, von der Gemeinde."
Vattenfall verhandelte mit der Gemeinde über die Konditionen, zu denen die Bewohner ihre Häuser und Grundstücke verkaufen können. Doch die Verhandlungen zogen sich hin. Und mittlerweile ist wieder offen, ob die Erweiterungen wirklich kommen. Zudem will sich Vattenfall ja von der Braunkohlesparte trennen. Das Unternehmen hat nun alle Verkaufsverhandlungen für Grundstücke auf den Gebieten der zwei neuen Tagebaue Welzow Süd II und Nochten II gestoppt. Diese sollen erst mit dem neuen Eigentümer wieder aufgenommen werden. Wann der Verkauf über die Bühne geht ist fraglich, in diesem Jahr vermutlich nicht mehr.
"Und dann haben sie endlich diesen Strohhalm, oder wir sagen es mal ganz vornehm. Das Licht da hinten ist wieder angegangen und dann kommt einer und schmeißt wieder einen Lappen über die Birne. Und das Licht geht aus oder es flackert. Und das ist eigentlich jetzt der negativste Punkt im Moment."
Lausitzer verlieren den Glauben
Etwas mehr Klarheit darüber, wie die es mit der Braunkohle weiter geht, das könnte das Eckpunktepapier des Bundeswirtschaftsministeriums von Sigmar Gabriel bringen. Denn es würde einen Rahmen schaffen, mit dem die Unternehmen der Braunkohle kalkulieren können, welche Kraftwerke sich noch rechnen und wie viel sie in etwa noch verbrennen werden. Damit wäre auch klarer, welche bestehenden oder genehmigten Gruben noch wie viel Kohle liefern und welche Flächen damit noch abgebaggert werden müssen. Doch schon steht das Papier massiv unter Beschuss.
Die Industriegewerkschaft Bergbau/Chemie/Energie und Verdi laufen dagegen Sturm. Sie malen die horrende Zahl von bis zu 100.000 gefährdeten Arbeitsplätzen an die Wand. Wie sie darauf kommen, verraten sie nicht. Das Umweltbundesamt geht in einer transparenten Berechnung von maximal 4700 aus, verteilt auf alle deutschen Braunkohlereviere. Gabriel steht mit seinem Plan unter erheblichem Druck. Erik Gawel hofft, dass der Minister seinen Plan trotz der Horrorprognosen über den Verlust von Arbeitsplätzen durchhält.
"Und das wird natürlich in der politischen Auseinandersetzung überpointiert. Da wird keiner mit ausgewogenen Dingen an den Markt treten, sondern mit pointierten Positionen und da vertreten natürlich die Länder Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und auch Nordrhein-Westfalen traditionell kohlefreundliche Positionen."
Auf den gelben Ortsschildern stehen die Ortsnamen und darunter die Anzahl der Arbeitsplätze, die durch den Kohleabbau entstehen würden
Auf den gelben Ortsschildern stehen die Ortsnamen und darunter die Anzahl der Arbeitsplätze © Deutschlandradio
Im Moment kämpfen alle, die in irgendeiner Form von der Energiewende betroffen sind, um ihre Pfründe. Aber nicht nur die Politiker der Braunkohleländer verheddern sich dabei in Widersprüche, andere stehen ihnen da in nichts nach. Horst Seehofer beispielsweise. Zuerst unterstützt er Stromleitungen, die Windenergie aus dem Norden Deutschlands nach Bayern transportieren, dann will er plötzlich doch lieber eigene Gaskraftwerke, die Arbeitsplätze und Steuereinnahmen für sein eigenes Bundesland bringen. Auch das Fracking ist hierfür ein Beispiel, bei dem mit viel Energie und giftigen Chemikalien Gas aus Schiefergesteinsschichten tief in der Erde herausgepresst wird.
Zuerst waren CDU und SPD strikt dagegen, es irgendwie zu erlauben, doch der erste Gesetzentwurf zu dem Thema, der kürzlich vorgelegt wurde, hält nun doch viele Hintertüren offen. Die politischen Entscheidungsträger, also die Landesregierungen aber auch die Bundesregierung, müssten endlich die Energiewende und den Ausstieg aus der Braunkohle gestalten und mit eindeutigen politischen Vorgaben für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen.
"Das ist sicherlich der Schlüssel, über ein jahrzehntelang klar fokussierten und mit Entsprechenden Zielmarken versehenen Strukturwandel zu betreiben, der die Kosten für die Region in überschaubaren Grenzen hält. Also keine Schocktherapie sondern eine Transformationstherapie mit Perspektive."
In der Lausitz haben viele Menschen den Glauben daran verloren. Sie haben zu oft die Erfahrung gemacht, dass Politiker heute dies sagen und morgen etwas anders entscheiden, dass sie konzeptlos handeln und Überzeugungen kurzfristigen Interessen und kurzfristigen Vorteilen opfern.
Schusters Glück ist Kaisers Pech
Ingo Schuster ist auch bei dem Protestmarsch in Schleife mitgelaufen. Die Menschen sind mittlerweile vor einem Vereinsheim angekommen, Reden werden gehalten, es gibt Kaffee und Kuchen, man tauscht sich aus. Ingo Schuster ist Sorbe, seine Familie lebt seit vielen Generationen hier. Er hat einen alten Klinkerhof ganz in der Nähe, der auf dem Gebiet des geplanten Tagebaus Nochten II steht. Er hat gegen den Braunkohleplan, der die Abbaggerung seines Hofes vorsieht, vor dem Oberverwaltungsgericht in Bautzen geklagt.
"Über die Politik denke ich, und das die ganze Zeit, deshalb bin ich ja auch in den Klageweg rein gegangen, dass die Voraussetzungen für dieses Energiekonzept, letztendlich, die Vorgaben, die sie sich dort, sage ich mal, gestellt haben, um dieses Energiekonzept zu machen, hier mit der Braunkohle als Brückentechnologie, absolut fern der Realität ist, absolut auch nicht kompatibel ist mit dem, was die Bundesrepublik will, ne. Und das musste irgendwann mal zusammenbrechen, das Konstrukt."
Das Gericht in Bautzen hat die Klage von Ingo Schuster gegen den Braunkohleplan abgelehnt. Er sei nicht klageberechtigt, so die Begründung des sächsischen Gerichts. Ingo Schusters größte Sorge war, dass einige ihre Höfe nun aufgeben, das Geld von Vattenfall nehmen und sich anderswo niederlassen, meist auf dem geplanten Umsiedelungsstandort. Er glaubt nicht daran, dass die neuen Gruben kommen, zu widersprüchlich sind die Energiekonzepte seiner Meinung nach. Aber das Dorf Rohne, in dem er lebt und das heute von liebevoll restaurierten alten Klinkerhöfen geprägt ist, wäre dann nicht mehr dasselbe gewesen.
"Ich muss es mal so sagen, dass entweder war es Zufall, aufgrund des Verkaufs oder man ja hier doch ein bisschen über den Horizont gedacht und hat die Umsiedelungsverträge nicht unterzeichnet erst mal zurückgestellt, weil sich die Rahmenbedingungen verändert haben. Gott sei Dank, dass es so ist."
Was Ingo Schusters Glück ist, das ist Hildegard Kaisers Pech. Sie kann ihr Haus noch nicht verkaufen und muss abwarten, wie es weitergeht. Ähnlich verhält es sich insgesamt bei der Energiewende, es gibt Gewinner und es gibt Verlierer. Die Politik muss ausgleichen und den Rahmen schaffen, dass dieses riesige Projekt gelingt. Verlässlichkeit könnte dabei nicht schaden.
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