Brandenburg

Wie die Braunkohle die Lausitz verändert

Ein Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde, Brandenburg (Foto von 2014)
Dampfende Landschaften: das Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde. © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Vanja Budde · 10.03.2015
Schon 130 Dörfer wurden in der brandenburgischen Lausitz dem Erboden gleichgemacht, um Braunkohle zu fördern. Ein Besuch vor Ort zeigt, wie die Kohlebagger die Landschaft verändern und was eine Umsiedlung für die Menschen bedeutet.
Rund 130 Dörfer sind seitdem dem Schwarzen Gold geopfert worden, etwa 30.000 Menschen wurden umgesiedelt. Und obwohl noch viele Millionen Tonnen in den aktiven Tagebauen lagern und der schwedische Konzern Vattenfall seinen Rückzug aus der Kohle angekündigt hat: An den Plänen für neue Tagebaue wird fest gehalten. Wie die Kohlebagger die Landschaft verändern und was Umsiedlung für die Menschen bedeutet, das hat unsere Landeskorrespondentin Vanja Budde in der Lausitz erforscht.
Wie ein gigantisches Raumschiff kauert die größte bewegliche Maschine der Welt am Grund der Grube: 650 Meter lang ist die Förderbrücke F60 und 30 Meter hoch: Der "liegende Eifelturm", ein Meisterwerk der DDR-Ingenieurskunst aus grauem Stahl. Die Kohlebagger im Tagebau Jänschwalde bei Cottbus wirken winzig neben dem mächtigen Mutterschiff. Die F60 kriecht auf Schienen langsam durch den Tagebau und befördert mit mächtigen Schaufeln den Abraum aus der Tiefe über 15 Förderbänder hinauf an den Rand der Grube.
Hoch oben auf der Steuerkanzel des Stahl-Kolosses hat eine kleine Frau mit Filzpuschen an den Füßen das Kommando: Maschinistin Sabine Fassmann, seit 40 Jahren in der Braunkohle tätig.
Auf acht Monitoren überwacht Sabine Fassmann die 15 Förderbänder. Auf den Bildschirmen rieselt der Abraum: Im Tagebau bleibt kein Korn märkischer Sandboden auf dem anderen.
"Wir legen die Kohle frei, dass die Grubenbagger dann die Kohle unten auf die Bandanlage werfen."
Kohle für das Kraftwerk Jänschwalde, mit 22 Terrawattstunden produziert es Strom für sechs Millionen Haushalte oder entsprechend viele Industrieanlagen. Es ist das drittgrößte Kraftwerk der Bundesrepublik.
"Das ist schon ein großes Gefühl, als der große Motor hier für alle da zu sein und alles zu steuern. Denn wenn hier oben nichts läuft, dann läuft das andere auch nicht."
Wo einst Horno stand, herrscht jetzt das Elend
Sabine Fassmann blickt aus den Fenstern ihres Leitstandes wie ein Kapitän auf hoher See. Ihre Aussicht: Die mehrere Kilometer lange und bis zu 90 Meter tiefe Grube des Tagebaus. Von Horno ist nichts mehr zu sehen. Das Dorf musste vor zehn Jahren nach zähem Widerstand dem Tagebau Jänschwalde weichen. Bernd Siegert war damals Bürgermeister. Er ist mit dem Großteil der Bevölkerung ins zehn Kilometer entfernte Neu-Horno am Stadtrand von Forst gezogen. Bernd Siegert hat es abgelehnt, sich an der Aussichtsplattform am Rand des Tagebaues zu treffen.
"Ich glaube, das kann man irgendwo nachvollziehen, also wenn Sie sich das Elend dort ansehen, jetzt wo Horno mal war. Das ist 30 Meter tiefer, als der alte Ort mal stand, also im Prinzip guckt man ins Loch rein und das wird auch so bleiben. Der Ort stand auf einer Endmoräne, sodass wir eigentlich rundrum in die Täler gucken konnten und jetzt ist der Berg weg."
Der aufgerissene und ausgetrocknete Boden eines abgelassenen Fischteiches in Jänschwalde (Brandenburg).
Der aufgerissene und ausgetrocknete Boden eines abgelassenen Fischteiches in der Lausitz nahe dem Kohleabbaugebiet in Jänschwalde.© picture alliance / ZB / Patrick Pleul
Bernd Siegert hat nach der verlorenen Schlacht die Entschädigung genommen und sich am Rand des neuen Horno ein neues Haus gebaut. Eine seltsam saubere Reißbrett-Siedlung ist das geworden: Moderne Häuser mit Solarzellen auf den Dächern stehen ordentlich in Reih und Glied.
"Wir haben eigentlich die Dorfaue so gestaltet, wie sie in Horno war. Wir haben genau die gleiche Anzahl von Bäumen gepflanzt, die Arten der Bäume wieder die gleichen genommen, die Kirche mitten ins Dorf gemacht – aber man kann aus einem neuen Haus kein altes machen, das geht einfach nicht. Und deswegen wirkt alles steril."
Die 500 Jahre alte Feldsteinkirche von Horno hat Vattenfall gesprengt, den Friedhof umgebettet. Die Die meisten Hornoer sind zusammen umgezogen, ihre Dorfgemeinschaft sei einigermaßen intakt geblieben, sagt Siegert. Doch die Heimat sei verloren und kein Geld der Welt könne sie ersetzen. Denn was macht Heimat aus? Orte voller Erinnerungen, ein bestimmtes Licht, Gerüche, eine innere Landschaft, die nicht rekultiviert werden kann?
"Vor allen Dingen sind wir geschichtslos geworden. Die ganze Geschichte ist ja weg. Das, was Generationen über Jahrzehnte, Jahrhunderte aufgebaut haben, ist alles verschwunden."
Die Bewohner von Dörfern wie Horno müssen dieses Opfer bringen, zum Wohle der Allgemeinheit. Davon ist Thoralf Schirmer überzeugt, der Sprecher von Vattenfall in der Lausitz.
"Einfach deswegen, weil wir über die nächsten Jahrzehnte mit großer Sicherheit noch die Kohle brauchen werden, um die Kraftwerke in der Lausitz bedarfsgerecht zu versorgen. Denn Sie brauchen, wenn Sie einen großen Anteil an Erneuerbaren ins Netz bekommen wollen, auch einen konventionellen Partner, der stark an der Seite steht und der flexibel agieren kann, wenn Wind und Sonne eben nicht da sind. Und man sollte, nachdem man sich von der Kernkraft nun verabschieden möchte, nicht gleichzeitig auch noch auf die Braunkohle verzichten wollen. Das halte ich für eine grob fahrlässige Idee."
Und der Klimawandel? Der seit 1981 betriebene Meiler Jänschwalde stößt jedes Jahr 24 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus: rund fünf Prozent aller Kraftwerksemissionen in Deutschland. Ja, aber im globalen Maßstab seien die nach der Wende modernisierten Braunkohle-Kraftwerke der Lausitz mit die saubersten, argumentiert Schirmer, der CO2-Ausstoß sei bereits um 25 Prozent gesenkt. Und gegen die so genannte Verockerung der Spree und anderer Gewässer mit Eisenhydroxid durch den steigenden Grundwasserspiegel in den alten, still gelegten DDR-Tagebauen, gebe es einen ganzen Maßnahmenkatalog.
"Wir können Flussläufe anlegen, so, dass sie mäandern und das Eisenocker sich dort dann absetzen kann oder sich auch absetzen wird. Und am Ende kann man sehr gut sicher stellen, dass dieses Problem Eisenocker aus den heutigen Tagebauen nicht in der Spree landen wird, so wie das im Augenblick der Fall ist."
In ihrer Bergbaufolgelandschaft wird es keine mit Sulfat belastete rot-braune Brühe geben, davon ist auch Birgit Schroeckh überzeugt. Die Bergbau-Ingenieurin und Planungschefin ist bei Vattenfall für die Rekultivierung zuständig, zu der Schwedens Staatskonzern sich verpflichtet hat. Auch ein neuer Betreiber werde sich an Pläne und Gesetze halten müssen, versichert Schroeckh. Vom massiven Eingriff in die Landschaft werde später einmal nichts mehr zu sehen sein, meint die Ingenieurin aus Leidenschaft.
"100-prozentig würde ich davon ausgehen. Das ist meine vollständige Überzeugung, dass wir der Natur auch diese Möglichkeit geben, ihren Selbstheilungsprozess dann wieder durchzuführen und alle die Dinge, die wir hier tun, tun wir mit sehr viel Sachverstand und mit sehr viel Engagement und Kenntnissen, um dann auch den Auftrag, den wir mit unserer Betriebserlaubnis bekommen haben, zu erfüllen und auch die Landschaft kurz nach der Kohlegewinnung auch wieder der Natur zurückzugeben."
"Das ist altes Kulturgut"
Nur wenige Kilometer vom aktiven Tagebau entfernt, herrscht in einer Schonung friedliche Stille. Von der F60 in ihrer Grube ist nichts mehr zu hören. Hasen schlagen hier ihre Haken, Greifvögel lauern auf den dünnen Ästen junger Bäume auf Beute und der Wolf geht auf die Pirsch. Am Horizont dampft das Kraftwerk Jänschwalde.
"Wir sind jetzt hier in dem Bereich, wo die Kohle schon gewonnen wurde. Wir sind hier mitten in einem frischen, jungen Wald, den unser Förster als einen wirklich Brandenburg-typischen Mischwald hergestellt hat. Er hat sich vorher die Bodensubstrate, die hier geschüttet wurden aus dem Lausitzer Sand, genau angesehen und weiß ganz genau, welche Pflanzen und welche Baumarten er hier etablieren kann."
Ein Eimerkettenbagger fördert Braunkohle am 15.01.2014 im Tagebau der Vattenfall AG in Jänschwalde (Brandenburg).
Der Braunkohleabbau in der Lausitz durch Vattenfall ist nicht nur in Brandenburg ein Thema, auch die schwedische Regierung ist damit befasst, da das Unternehmen seinen Sitz in Schweden hat.© dpa / picture-alliance / Patrick Pleul
Der Bergbau werde eine Landschaft hinterlassen, die sich „an den Zustand vor der Industrialisierung anlehnt" heißt es in einer Vattenfall-Broschüre. Birgit Schroeckh plant mit Begeisterung den Cottbusser Ostsee, der in Folge des Tagebaues Cottbus Nord entstehen soll. Ab 2018 soll geflutet werden und fertig vollgelaufen wäre er mit knapp 2000 Hektar Fläche der größte einer ganzen Reihe von neuen Kunstseen im Revier.
Die meisten der insgesamt 900 Einwohner von Grabko, Atternwasch und Kerkwitz wollen aber keine neue Landschaft in der Zukunft, sondern ihre vertraute Dörfer behalten. Beim alljährlichen Sternmarsch protestieren sie neben aus Guben und Cottbus angereisten Umweltschützern. Sie wehren sich dagegen, dass sie als nächstes umgesiedelt werden, wenn nach Vattenfall ein neuer Betreiber alten DDR-Plänen folgend den Tagebau Jänschwalde Nord wie geplant in ein paar Jahren erweitert. Die CDU-Politikerin Monika Schulz-Höpfner ist eine der prominenten Kohlegegnerinnen in Brandenburg. Sie kommt aus Atterwasch, das laut Planung im Jahr 2025 verschwinden soll.
"Atterwasch ist ein ganz altes Bauerndorf, Ersterwähnung 1294. Das heißt also nicht nur, dass man da so ein kleines Dörflein wegbaggert, sondern das ist altes Kulturgut. Die Menschen, die da wohnen, die wohnen seit Generationen da. Die bearbeiten seit Generationen die Äcker, die Wälder. Diese Menschen entwurzelt man einfach. Das tut richtig weh."
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