Brandenburg: "Dorf macht Oper"

Orpheus im Schweinestall

"Dorf macht Oper" am 21.06.2008 in Klein Leppin in der Prignitz.
In Klein Leppin in der Prignitz wurde der Schweinestall zum Festspielhaus umgewidmet. © picture alliance / dpa / Jürgen Strauß
Von Vanja Budde · 26.06.2015
Hochkultur in der Provinz: Seit zehn Jahren inszenieren die Dorfbewohner von Klein Leppin in der Prignitz im Sommer eine Oper. Nach "King Arthur" und dem "Wildschütz" steht nun "Orpheus in der Unterwelt" auf dem Programm.
In der sonntäglichen Stille schallt das Einsingen weit über die Felder und Wälder rund um das abgelegene Klein Leppin mit seinen 60 Einwohnern. Eine Sängerin wandert auf der sonst menschenleeren Dorfstraße auf und ab, während ihr Kollege sich in den zum Festspielhaus umgebauten Schweinestall der ehemaligen LPG zurückgezogen hat.
Wenige Tage vor der Aufführung herrscht fieberhafte Aufregung: Der Höhepunkt des Sommers naht, 800 Besucher werden erwartet, aus ganz Brandenburg werden sie herbeiströmen, aus Berlin und Hamburg. Dabei sind nur die Solisten und die Regisseurin Profis, alles andere machen die Prignitzer selbst: Kostüme nähen, Kulissen bauen, Kuchen backen, Suppen kochen und ein halbes Jahr vorher anfangen mit üben, üben, üben.
Tast: "'Dorf macht Oper' ist natürlich auch ein Synonym dafür, dass eigentlich die Leute aus der ganzen Region hierherkommen, manche, die auch in dem Chor singen, fahren zu jeder Probe 60, 70 Kilometer, also das ist richtig weit."
Steffen Tast schleppt ein Klavier mit auf die aus Paletten gezimmerte Bühne unter freiem Himmel hinter dem Schweinestall. Er spielt im Rundfunk-Sinfonieorchester im fernen Berlin Geige, und als der Musiker 1994 mit seiner Frau Christina nach Klein Leppin zog, fing alles an: Freundschaften entwickelten sich, Hofkonzerte folgten, ein Schulprojekt und 2005 dann die erste Oper. Das Projekt zieht immer weitere Kreise: Aus der Kleinstadt Glöwen machen viele mit, Carola Leisner aus Schönhagen singt im Chor.
"Das ist die schönste Sache der Welt"
Leisner: "Und ich bin total glücklich, froh, es macht mir Spaß. Jedes Mal wieder neu am Überlegen, wenn irgendeine Szene dargestellt wird: Oh Gott, hast du auch nichts vergessen? Das ist einfach toll. Jeder, der hier kommt, kommt gerne her und hat ein Strahlen in den Augen, das ist einfach schön. Man muss mit Leuten, so wir hier, etwas zusammen machen. Das ist die schönste Sache der Welt."
Während das Ensemble probt, grasen auf der Wiese nebenan die Schafe. Die Operette "Orpheus in der Unterwelt" von Jacques Offenbach persifliert die griechische Sage von Orpheus und Eurydike. Der Chor trägt neuzeitliche Businesskostüme und Anzüge, die Götter des Olymp, die sich im Hades amüsieren, hantieren mit Smartphones.
Die Sänger kommen meist von der Universität der Künste in Berlin: Jung, experimentierfreudig und mit einer bescheidenen Gage zufrieden.
Wie Johanna Knauth in der Rolle der Diana und Roland Schneider, der den Merkur gibt.
Knauth: "Der Chor ist genial. Die sind so gut drauf, die haben eine unfassbare Energie und denken total viel mit. Also es ist wirklich super."
Schneider: "Ich bin tatsächlich schon zum fünften Mal dabei und es ist immer wieder unglaublich charmant. Es hat Niveau, aber auch dieser Ort in diesem umgebauten Stall - es ist so eine familiäre Atmosphäre, auch die Arbeit mit den Kindern und allen, die einbezogen werden, das macht einfach unglaublich viel Spaß."
Die Probe läuft gut, auch der Umzug mitsamt Publikum in die "Unterwelt" auf einer benachbarten abgemähten Wiese. Regisseurin Mira Ebert ist zufrieden. Nur an der Choreografie des abschließenden Cancan-Tanzes muss noch ein bisschen gefeilt werden.
Kunst trifft auf Wirklichkeit
Ebert: "Wenn Kunst auf Wirklichkeit trifft, das ist schon toll. Also wenn wir am Theater arbeiten - unsere Arbeit ist dann doch immer gefiltert. Und hier gibt es diese Filter alle nicht, und man kommt mit dem Leben in unmittelbaren Kontakt, jede Minute, mit jedem Einzelnen, der hier mitmacht, ob er an der Würstchenbude steht oder ob er sich dann entschließt, sich hier als Darsteller einmal zu versuchen."
Versuchen ist gut: Das Publikum ist längst auf der Heimreise, die Abendsonne wirft lange Schatten über die Wiesen und Felder, da geben die Dörfler immer noch alles beim Cancan, schmeißen die Beine, wedeln mit Pompons, dass die Perücken nur so fliegen. Ein Hobby ist das nicht mehr, sondern echte Leidenschaft, freut sich Innenarchitektin Christina Tast, die damals mit ihrem Mann und der kleinen Tochter Nele aus Berlin hierher kam und in Klein Leppin auch künstlerisch ein Zuhause gefunden hat.
Tast: "Was ich wichtig finde, dass es eben kein Adaptieren von Stadtkultur ist, sondern dass gemeinsam eine neue Sache entsteht, und das ist eben einfach befruchten mit genau dem, was hier die Prignitzer mitbringen. Genau diese Art von Kultur zu erleben, die sie selber gestalten. Und wenn es heißt 'Dorf macht Oper', dann machen sie das einfach auch selber."
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