Boykott wider den olympischen Geist

Von Hartmut Goege · 17.07.2006
Bei den Olympischen Spielen 1964, ´68 und ´72 setzten afrikanische Staaten noch erfolgreich die Boykottwaffe als Drohung ein, um die Apartheidstaaten Südafrika und Rhodesien zu isolieren. Dies misslang allerdings 1976: Ihr Boykott in Montreal wegen der Olympiateilnahme Neuseelands fand weltweit wenig Sympathien, zumal auch der Ostblock - anders als früher - jede Unterstützung verweigerte.
Als Queen Elizabeth II. am 17. Juli 1976 im Olympiastadion von Montreal die Spiele eröffnete, fehlten beim Einmarsch der Nationen von den 112 angemeldeten Mannschaften 16 afrikanische. Nur zwei Tage zuvor hatten mehrere Nationale Olympische Komitees des schwarzen Kontinents in einem Schreiben an das IOC, das Internationale Olympische Komitee, gegen die Teilnahme Neuseelands protestiert, weil deren Rugbymannschaft noch kurz vor der Olympiade im Apartheidstaat Südafrika ein Spiel absolviert hatte:

"Wir haben kein anderes friedliches Mittel gegen die schamlose Unterstützung der unmenschlichen Akte gegen Afrikaner in Südafrika durch Neuseeland, als die Forderung an das IOC, Neuseeland von der Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 1976 in Montreal auszuschließen. Sollte das IOC diesem Ruf nach Menschlichkeit nicht folgen, behalten sich die betroffenen NOKs Afrikas das Recht vor, ihre Teilnahme zu überdenken."

Mit dieser sportpolitischen Machtdemonstration hofften die Afrikaner, wie schon bei früheren Olympiaden - 1964 in Tokio, 68 in Mexiko und 72 in München - abermals genügend Druck auf das IOC ausüben zu können. Damals waren die Apartheidregime Rhodesien und Südafrika erfolgreich von einer Teilnahme ausgeschlossen worden.

In diesen Fällen hatte das IOC allerdings noch ein Zeichen gegen Rassendiskriminierung setzen wollen. Den Fall Neuseelands aber sah das Komitee pragmatischer - uUnter anderem, weil man keinen Einfluss auf den Sportverkehr in einer nichtolympischen Sportart nehmen könne, wie der Vizepräsident des IOC Willi Daume damals nach einer nur 20-minütigen Entscheidungssitzung hervorhob:

"Das IOC hat einen einstimmigen Beschluss gefasst, dass Neuseeland nicht gegen die olympischen Regeln verstoßen hat, dass also keinerlei Möglichkeit besteht, gegen Neuseeland Sanktionen zu haben. Es liegt nun bei den Afrikanern: Das Recht hat jeder, zu entscheiden, ob sie teilnehmen wollen oder nicht. Ich bin sicher, es werden alle teilnehmen. Ich sehe keine Gefahr mehr in dem afrikanischen Problem."

Eine Fehleinschätzung, wie sich herausstellen sollte. Innerhalb der ersten olympischen Woche reisten insgesamt 24 afrikanische Mannschaften wieder ab. Am schnellsten hatten sich die Militärregime Nigerias, Ghanas und Äthiopiens verständigt, und ihren schon angereisten Athleten den Verzicht befohlen. Algerien, Marokko und andere folgten, auch auf Druck des SCSA, des Obersten Afrikanischen Sportrats. Der hatte gehofft, mit dem Boykott international Prestige- und Sympathiepunkte zu sammeln.

Doch lediglich das südamerikanische Guayana solidarisierte sich schließlich mit den afrikanischen Staaten. Ansonsten gab es nur wenig Verständnis. So warnte etwa das IOC-Mitglied Ahmeed Touny aus Ägypten:

"Wenn wir alle ausschließen, die mit Südafrikanern Sport treiben, schaden wir uns auch wirtschaftlich und kulturell."

Ein eindeutiger Hinweis auf die finanzielle Abhängigkeit vieler afrikanischer Länder von westlichen Industriestaaten, und die Tatsache, dass sich seit den letzten Monaten bis zum Beginn der Spiele Sportler aus 26 Nationen weltweit in Wettkämpfen mit Südafrikanern getroffen hatten. Internationale Presse-Kommentare waren sich deshalb einig:

"Neuseelands schlimmstes Verbrechen ist es, ein kleines Land zu sein."

Golfer aus Kanada etwa kämpften in Kapstadt um die Commonwealth-Trophäe, in Wimbledon spielten Südafrikaner Tennis, und sogar Sowjets sprangen mit ihnen bei den Trampolin-Weltmeisterschaften um die Wette.

Bisher waren Boykottdrohungen der Afrikaner noch vom kommunistischen Osten unterstützt worden. Doch nun hatten sowjetische Sportpolitiker hinter den Kulissen die Afrikaner vergeblich von ihren Drohungen abzubringen versucht. Dazu schrieb "Der Spiegel" am 26. Juli 1976:

"Moskau ist an einer Teilung des Weltsports nicht interessiert. Für Siege gegen Malawi und Somalia lohnen sich keine Millionen-Zuwendungen an den Leistungssport. Die Russen wollen auch künftig lieber Siege über Amerikaner, als über Afrikaner."

Darüber hinaus hätte eine eindeutige politische Unterstützung durch die UdSSR unter Umständen die eigene Olympiade 1980 in Moskau gefährdet. Die aber steht bekanntermaßen für den größten Boykott in der Geschichte der Olympischen Spiele. Blieben 1976 in Montreal am Ende 29 Länder den Wettkämpfen fern oder reisten vorzeitig ab, waren es in Moskau vier Jahre später wegen der sowjetischen Invasion in Afghanistan 65 westliche Staaten.