Bosnien und Herzegowina

Von Zerstörungen und Wiederaufbau

Eine Frau blickt am 17. November 1995 auf die Skyline von Sarajevo.
Wo sich Moderne und Vergangenheit treffen: Sarajevo © AFP / Odd Andersen
Von Michael Herde · 16.08.2014
Der Historiker Holm Sundhaussen hat ein sachliches Buch geschrieben, in dem er die Geschichte Sarajevos von seiner Gründung an nacherzählt. Er zeigt: Immer wieder wiederholte sich die Geschichte der Stadt.
Dem Vorwurf, bei der Beschreibung Sarajevos und seiner Geschichte ins Schwärmen geraten zu sein, wollte sich Holm Sundhaussen wohl nicht aussetzen. Sein Buch ist von Sachlichkeit geprägt, emotionale Beimischungen findet man, wenn überhaupt, zwischen den Zeilen. Oder in Äußerungen der osmanischen wie österreich-ungarischen Militärführer und Verwaltungsbeamten, einheimischer Schriftsteller wie Ivo Andric oder auswärtiger Reiseschriftsteller, die Sarajevo schon wegen seiner reizvollen Lage für etwas Besonderes hielten. Der Reisende Heinrich Renner 1895:
"Anmuthiges Sarajevo! Wie ein Diamant aus der Umfassung von Smaragden hebst du dich aus dem Grün der Ebene zu dem deiner Berge empor!"
Sarajevo wurde 1462 im Zuge der osmanischen Eroberung Bosniens durch eine Stiftungsurkunde gegründet. Siedlungen und Burgen der vorosmanischen Zeit liegen im Unklaren. Die dort lebenden Franziskaner erhalten einen Schutzbrief, die Muslime Steuerprivilegien. 1530 erste Moschee, 1581 erste Synagoge. 1592 erstes Kaffeehaus. 1872 orthodoxe Metropolitankirche. 1889 römisch-katholische Kathedrale.
Einfallstor nach Mitteleuropa
"Die Geschichte Sarajevos ist einerseits Verflechtungsgeschichte, eingebettet in wechselnde Kontexte, mit unterschiedlichen Perspektiven und Deutungen. Andererseits beruht das Leben in der Stadt bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein vor allem auf Segregation, gesellschaftlicher Trennung, die auch in der Gestaltung des städtischen Raums ihren Niederschlag fand. Die Geschichte Sarajevos stellt sich also als ein Wechselspiel von Segregation und Interaktion dar."
Cover "Sarajevo" von Holm Sundhaussen
Cover "Sarajevo" von Holm Sundhaussen© Böhlau Verlag
Mehr als fünf Jahrhunderte lebt Bosnien unter der Herrschaft des Osmanischen Reichs. Seine strategische Lage als mehrmals genutztes Einfallstor nach Mitteleuropa ist offenkundig. Die Geschichte der Stadt, so der Berliner Historiker, ist eine Geschichte von Zerstörungen und Wiederaufbau.
Auch nach dem Berliner Kongress, der 1878 Bosnien und Herzegowina unter österreich-ungarische Verwaltung stellt, unter Aufrechterhaltung der osmanischen Oberhoheit. Die Annexion erfolgt 30 Jahre später, 1914 die Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajevo, der Weltkrieg bis 1918, aus dem schließlich das "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen" hervorgeht, das erste Jugoslawien.
Viel mehr als eine Stadtgeschichte
1941 Sturz der jugoslawischen Regierung, Hitlers Balkanfeldzug, Bombardierung Sarajevos durch die deutsche Luftwaffe. Bosnien-Herzegowina wird Teil des mit Hitler verbündeten faschistischen Kroatien. 1945 Befreiung Sarajevos durch die Streitkräfte Titos.
Das sozialistische Jugoslawien zerfällt Anfang der 90er Jahre, Bosnien-Herzegowina erklärt seine Unabhängigkeit, Sarajevo wird jahrelang von der jugoslawisch-serbischen Armee beschossen und belagert, bis zum Friedensabkommen von Dayton. Zerstörung und Wiederaufbau.
Soll man glauben, dass in der Darstellung von Holm Sundhaussen, die viel mehr ist als eine Stadtgeschichte, hin und wieder das Wörtchen "ich" vorkommt?
"Während der Niederschrift des vorliegenden Buches gab es immer wieder Augenblicke, in denen ich das Projekt am liebsten aufgegeben hätte: zu viele offene Fragen, zu viele Widersprüche, zu viele unbewiesene Behauptungen, zu viele Gerüchte."

Holm Sundhaussen: Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt
Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar, Februar 2014
409 Seiten, 34,90 Euro

Zum Nachhören: Gespräch mit Holm Sundhaussen in der Sendung "Lesart" über sein Sarajevo-Buch

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