Boris Pasternak

Der Kreml, die CIA und der Kampf um "Dr. Schiwago"

Der russische Schriftsteller Boris Pasternak in einer undatierten Aufnahme
Der russische Schriftsteller Boris Pasternak in einer undatierten Aufnahme © picture-alliance / dpa- Tass
Von Sabine Adler · 12.08.2016
Boris Pasternaks Roman über den Arzt und Dichter Schiwago schildert eine Zeit, die geprägt war von der Brutalität der Revolutionäre. Nun erzählt ein Buch über die Angst der Revolutionäre vor "Dr. Schiwago". Es zeige, wie Pasternak zum Spielball der Supermächte wurde, meint Sabine Adler.
Kann ein Buch zu einem Buch, das Millionen Mal verkauft wurde, und dessen Geschichte dann als Film ein noch viel größeres Ppublikum hatte, etwas enthüllen, was noch nicht bekannt und heute von Bedeutung ist?
Es kann. Und zwar schaffen das die Autoren Peter Fynn und Petra Couvée mit ihrem Werk "Die Affäre Schiwago". Dabei fächern sie zunächst den historischen Hintergrund auf und schildern den Wettlauf, wer das 433-Seiten-Manuskript als erster drucken durfte. Das ist allerdings mehr oder weniger bekannt.
Doch wenn, wie im Untertitel angekündigt, ab dem achten Kapitel endlich die Sprache auf die Central Intelligence Agency kommt, die CIA, wird das Buch nicht nur spannend, sondern unerwartet aktuell.

Erdacht in den USA, in Holland gedruckt, in der SU verteilt

Denn der amerikanische Geheimdienst, genauer dessen Abteilung "Soviet Russia Division", hatte sich vorgenommen, "Doktor Schiwago", der in der Sowjetunion nicht erscheinen durfte, auf Russisch herausbringen und in seine Heimat zurück zu schmuggeln. Damit mitten im Kalten Krieg der Verdacht nicht sofort auf die USA fiel, sollte das Buch in Europa gedruckt werden, weshalb die CIA Kontakt mit dem niederländischen Geheimdienst aufnahm.
Buchcover "Die Affäre Schiwago"
Buchcover "Die Affäre Schiwago"© Theiss Verlag
"Dieses Buch hat großen Propaganda-Wert. (…) Wir haben die Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass sowjetische Bürger sich zu fragen beginnen, was an ihrer Regierung falsch ist, wenn das literarische Glanzstück jenes Mannes, der als größter lebender russischer Schriftsteller gilt, nicht einmal für sein eigenes Volk in seinem eigenen Land in seiner Muttersprache erhältlich ist."
Der Roman über den Arzt und Dichter Juri Schiwago, seine Liebesbeziehungen vor bis nach der Oktoberrevolution, zeichnet eine Zeit nach, die geprägt war von der Brutalität der Revolutionäre, die Tod, Gewalt und Hunger verbreitet und die Kunst ausgelöscht hatten. Mit seiner neuen Liebe Lara flieht Schiwago vor den Rotarmisten und dem Krieg, doch die Zweisamkeit währt nur kurz.

Religion und Kritik - zwei Gegner der Revolution

Die Kritik an der Oktoberrevolution, der sowjetische Schriftsteller ausnahmslos zu huldigen hatten, und Pasternaks Religiosität galten als Ketzerei im sozialistischen Realismus. Der Staatsverlag Goslitisdat hatte das Manuskript in der Schublade verschwinden lassen.
Der CIA ging es nicht nur um "Doktor Schiwago", der Geheimdienst wollte viele wichtige Werke westlicher Literatur in das Sowjetreich bringen. Zehn Millionen Bücher kamen bis zum Zerfall der UdSSR ins Land. Fast alle im Gepäck westlicher und russischer Reisender. 1000 Titel lies die CIA auf Russisch drucken, darunter George Orwells "Farm der Tiere", Wladimir Nabokows "Pnin" oder James Joyce "Porträt des Künstlers als junger Mann". Werke, die keinen Totalangriff auf den Kommunismus starten, sondern die Überlegenheit des Westens demonstrieren sollten.
Dieser subversive Akt mit Hilfe der Literatur war eine Antwort auf die ideologische Kriegsführung des Kremls, die das US-Außenministerium 1948 als die raffinierteste und effektivste der Geschichte ansah. Der sowjetischen Propaganda wollten die Vereinigten Staaten ihre Werte entgegensetzen, erarbeitet wurden Empfehlungen zur Unterstützung und Förderung des Widerstands im Ostblock.

Epoche des Kalten Krieges nachgezeichnet

Der ehemalige Moskau-Korrespondenten Peter Finn von der "Washington Post" und die Dozentin an der Sankt Petersburger Universität Petra Couvée zeichnen die Hochzeit des Kalten Krieges nach, in die die für Pasternak wichtigsten Schaffensjahre fallen.
Beeindruckend wird geschildert, wie unbeirrt und beharrlich der in der Sowjetunion berühmte Übersetzer von Shakespeare und Goethe an seinem Epos schrieb. Trotz der tiefen Gewissheit, dass die Leser zu Hause dieses Werk auf absehbare Zeit nicht in die Hände bekommen würden.

"In der Sowjetunion wird der Roman nicht erscheinen. Er geht nicht mit den offiziellen Kulturrichtlinien konform."

Zehn Jahre arbeitete er an "Doktor Schiwago". Zuletzt in der Tauwetter-Periode nach dem Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin, die für alle, auch für die mit vielen Privilegien verhätschelten sowjetischen Schriftsteller, immer noch lebensgefährlich war und in der Pasternak schließlich zu Grunde ging, verraten von den Kollegen, gehetzt und herabgewürdigt von den Funktionären und den ihnen hörigen Parteijournalisten, beschimpft von Lesern, die das Buch nicht kannten, da es erst zu Gorbatschows Glasnost-Zeit für jedermann zugänglich war.

Der Kreis der Glücklichen, denen ein Exemplar der CIA-Schiwago-Ausgabe in die Hände gefallen war, blieb überschaubar.

Widerstand im Kreml gegen die Verbreitung von "Dr. Schiwago"

Der Kreml versuchte, die Veröffentlichung im Westen mit aller Kraft zu torpedieren, sobald er Wind davon bekommen hatte, dass der Mailänder Verleger Feltrinelli die Erstveröffentlichung auf Italienisch vorbereitete. Im Namen Pasternaks wurden Briefe verfasst, die dieser nie gesehen hat, oder die er unter massivem Druck scheiben musste, um die Verschiebung des Drucks zu bewirken.
Der Westen reagierte größtenteils euphorisch auf das Epos, die Parteisoldaten dagegen ballten die Fäuste in der Tasche. Als die Schwedische Akademie Boris Pasternak 1958 zum Literaturnobelpreisträger auserkor, brach ein neue Sturm los.
Pasternak sollte die Ehrung ausschlagen, was er nicht tat. Prompt wurde er vom Schriftstellerverband ausgeschlossen. Der Verfasser des Textes der sowjetischen Nationalhymne, Sergej Michailkow, schlug seine Ausweisung vor. Die Presse diffamierte den Literaturnobelpreisträger als Schwein, Unkraut und Judas, der die Kugel verdiene, dessen Schicksal es sei, vom Volk verachtet zu werden. Pasternak antwortete:

"Sie werden die Zeit erleben, in der man die jetzigen Vorgänge anders betrachtet."

Pasternak erwog den Suizid mit seiner Geliebten Olga Iwinskaja und lehnte den Preis schließlich ab.
Anderthalb Jahre später starb der Autor in der Künstlerkolonie Peredelkino bei Moskau, seine Ehefrau starb wenige Jahre später völlig verarmt 1966, die Geliebte und deren Tochter Irina kamen in den Gulag.
Weder der Kreml noch die CIA hatten sich mit Ruhm bekleckert, als sie Boris Pasternak und sein Alter Ego "Doktor Schiwago" zum Spielball der Supermächte machten. "Die Affäre Schiwago" zeigt eindrücklich, wie bitter der Auserwählte zahlen musste.

Peter Fynn und Petra Couvée "Die Affäre Schiwago"
Theiss-Verlag, 384 Seiten, 29,95 Euro

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