"Borgen" an der Berliner Schaubühne

Serienhit als Theaterparodie

Aufführung von "Borgen" an der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin: Sebastian Rudolph; Stephanie Eidt; Regine Zimmermann; Tilman Strauß (v.l.n.r.).
Aufführung von "Borgen" an der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin © picture alliance / dpa / Claudia Esch-Kenkel
Von Tobi Müller · 14.02.2016
Die dänische TV-Serie "Borgen", die sich um eine Politikerin und die Intrigen der Regierung dreht, läuft in mehr als 70 Ländern. Die an der Berliner Schaubühne gezeigte Theaterinszenierung von Nicolas Stemann ist allerdings eher Parodie als Porträt.
Das Theater kennt das Prinzip der Serie schon lange. Shakespeares Königsdramen zum Beispiel, die Rosenkriege. Rund 400 Jahre später erfand René Pollesch "Heidi Hoh" im Luzerner Theater und produzierte sie in Serie. Andreas Beck, der neue Basler Intendant, ließ im Schauspielhaus Wien jedes Jahr einen Stoff am Laufmeter produzieren, zum Beispiel Heimito Doderers "Strudlhofstiege". Und in ostdeutschen Theatern spielt man gerne die Filme der "Olsenbande" nach, weil diese dänischen Krimikomödien in der DDR abräumten. "Borgen" kommt auch aus Dänemark, porträtiert die Politik aus der Sicht einer Premierministerin, der Medien und der Politikerin als Privatperson. Und "Borgen" ist ebenso ein Abräumer: In 70 Ländern liefen die 30 zwischen 2010 und 2013 gedrehten Folgen.
An diese neuen Fernsehserien, die seit rund zehn Jahren auch TV-Kostverächter auf den Geschmack bringen, hat sich bislang noch kein Theater gewagt. Und nach fast vier Stunden in der Berliner Schaubühne weiß man auch, warum das so ist.
Wie immer bei Stemann sieht zuerst alles nach lockerer Probenatmosphäre aus. Vier Schauspieler – Stephanie Eidt, Sebastian Rudolph, Regine Zimmermann, Tilman Strauß – sitzen am Lesetisch, zwei Techniker mit Handkameras sind dabei, zwei Musiker an Laptop und Klavier. Ja, also sie spielt Birgitte Nyborg, die Premierministerin, wir sehen sie dort im Bild, nein dort. Ss gibt mehrerere Bildschirme auf der Bühne, die auch zu Telepromptern werden, wie bei Politikern.
Und: "Hallo, ich bin Kasper Juul, der Spin Doctor (der die Wahrheit zurechtbiegt, wie es immer wieder sinngemäß und sehr kritisch heißt an diesem Abend, als würde sich nicht die halbe Serie schon selbst darum drehen)."
In den ersten 90 Minuten werden gerade mal drei Folgen vertheatert, ironisiert, ein bisschen Synchronstimmen imitiert und viel Handlung erzählt. Nah am Original. Die erste ideologiekritische Schutzdichtung erscheint in einem später oft wiederholten Zitat des "Borgen"-Erfinders Adam Price: Ihm sei es darum gegangen, die Politik nicht nur zynisch zu porträtieren, sondern die Premiereministerin mit einem "Kern Idealismus" zu zeigen. Das ist der Hebel des ganzen vierstündigen Aufwands: "Borgen", Ihr dummen TV-Zuschauer, ist nämlich ein Märchen, Politik funktioniert in Wahrheit gar nicht so. Bäh.

Eigentlich interessiert das Stück gar nicht für die Ebenen der Politik

Schade nur, dass sich der Abend gar nicht für die Ebenen der Politik interessiert, die im Original im Zentrum stehen. Fast immer, wenn es um konkrete politische Vorgänge mit all ihren Kompromissen, Aushandlungen, Deals oder auch Intrigen geht, erzählt man in der Schaubühne nicht mehr, montiert höchstens hektisch oder blendet gleich aus. Demokratie als ein unablässiger Prozess, als ein Werden, langweilt die Macher. Ihnen geht es um die Wahrheit, um den Klassenstandpunkt, um das Versagen des Westens in den Kriegen der Zeit. Damit meinen sie aber nicht etwa die Untätigkeit im Syrienkonflikt, sondern die Verstrickung der kapitalistischen Welt in die Massenmigration. Die Kinder der Premierministerin sind in der Schaubühne sehr belesen und halten das ihrer Mutter vor. Das ist ganz lustig. Doch wenn diese Besserwisserei von zwei Vorpubertierenden mal nur nicht die Wahrheit dieser Inszenierung darstellen würde...
"Borgen", das Original, ist eine Serie, welche die unglamourösen, gespaltenen, ja unerlösten Seiten der Macht auch genauso zeigt. Das muss man nicht erst aufdecken oder als geheimer Kern der Serie freilegen, das tut das Fernsehen schon selbst, und zwar ziemlich schlau. Dass der Fernsehrealismus auch die Sehnsucht des Publikums nach einer starken Hand der Politik bedient, nach "Sie werden am Ende schon wissen, was sie tun" und nach einem guten Ende, ist bestimmt ein richtiger Gedanke. Als mündiger Zuschauer kommt man da sogar selbst drauf, vor der blöden Glotze. Im klugen Theater aber, zumal eines Nicolas Stemann, der sonst so virtuos die dialektischen Fallstricke von den eigenen liberalen bis linksradikalen Vorstellungen knüpfen und ins Licht rücken kann, in der Schaubühne erhebt sich die Erzählung mit den erkenntnistheoretischen Mitteln des späten 19. Jahrhunderts über eine aktuelle Serie und sagt in etwa: Sorry, Opium fürs Volk, Leute.

Ideologisches Unbehagen und ein ästhetischer Grund

Der Abend kann dieses alte Mantra nur durchziehen, wenn er sich auf die globalen Konflikte konzentriert, die in einigen wenigen Folgen eine Rolle spielen. Die Rolle der Politik darin verwechselt der Theaterabend dann mit der Botschaft der Serie. Wir sehen die Statisterie als Guantanamo-Flüchtlinge auf Grönland, eine Freiheitsstatue, Schrifttafeln wie bei Brecht und einige hübsche Songs, als hätte Kurt Weill den Rap erfunden, die Musiker vertreten den Klassenstandpunkt und die Wahrheit. Am Ende – als Live-Reporter musste ich die überlange Vorstellung rund 10 Minuten früher verlassen, ich baue hier auf einen Zeugenbericht und einen Audiomitschnitt – , fährt noch einmal die Theaterpranke nieder, als sei es eine Inszenierung von Volker Lösch, wenn das erzürnte Volk die Politiker verprügelt. Populistischer Aufstand als Folge einer reinen Interessepolitik, in der Schaubühne siegt die böse Revolution, weil die Politik verschiedene Wahrheiten zuließ. Man nennt es Demokratie. Wie sähe wohl eine Politik aus, welche nur die eine Wahrheit zuließe? Zum Beispiel jene dieser Kunst?
Das ideologische Unbehagen hat auch einen ästhetischen Grund. Gutes Fernsehen oder Kino arbeiten immer mit beidem, mit den schönen Körpern, mit der Illusion des Funktionierens, mit dem Funkeln der Macht (oft stehen Macchiavelli-Zitate am Beginn der Folgen), sowie mit der Problematisierung von alledem. Um zu dekonstruieren, müsste man allerdings erstmal die Konstruktion plausibel machen. Letzteres interessiert leider niemanden. Hätte man einen Theaterwunsch frei: Thomas Ostermeier, der Meister des perversen Glamours, baut erstmal den Realismus auf, und Stemann durchlöchert diesen nach der Pause lässig, ätzend und verspielt. Aber man ist ja leider kein Frosch.
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