Bolkestein gegen einheitlichen EU-Steuersatz

18.01.2008
Der ehemalige EU-Kommissar für Binnenmarkt, Steuern und Zollunion, Frits Bolkestein, hat sich gegen die Vereinheitlichung des Steuertarifs innerhalb der Europäischen Union ausgesprochen. Für Unternehmen sei bei Standortentscheidungen der Steuersatz nicht ausschlaggebend, sagte Bolkestein im Hinblick auf die geplante Verlagerung der Nokia-Produktion von Bochum nach Rumänien.
Birgit Kolkmann: Die großen Hersteller zieht es dahin, wo es für Industrieansiedlungen ordentliche Subventionen gibt. Staatsknete heißt das im linken Jargon. Wird die nicht mehr überwiesen, zieht die Karawane weiter ins nächste Land. Hauptsache es gibt neue Finanzspritzen, egal was man produziert, ob T-Shirts oder Handys. Das Subventionsunwesen in der Europäischen Union wird seit der Ankündigung von Nokia, 1700 Arbeitsplätze von Bochum nach Rumänien zu verlagern, wieder intensiv diskutiert, aber auch ob unterschiedliche Steuersätze einen ähnlichen Effekt haben. Brauchen wir da einen Mindeststeuersatz in Europa? Der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, sagte dazu gestern im Deutschlandradio Kultur:

"Wenn wir in Europa die Möglichkeit bekämen, ein einheitliches Steuerrecht zu entwickeln, in dem dann einzelne Staaten nicht in der Lage sind, niedrige Steuern durchzusetzen, indem sie zum Beispiel Steuergeschenke an Unternehmen machen, dann können sie einen Staat gegen den anderen ausspielen. Wenn in Deutschland die Regierung sagt, wir senken die Steuern auf 25 Prozent, und in einem anderen Land senkt die Regierung die Steuern auf 15 Prozent, dann sagt das Unternehmen, wir gehen dahin, wo wir weniger Steuern zahlen. Wenn wir Mindeststeuersätze in Europa durchsetzen könnten, hätten wir diesen Vorgang schon mal gestoppt."

Können ein Mindeststeuersatz und ein einheitliches Steuersystem in Europa Betriebsverlagerungen wie bei Nokia wirklich verhindern? Meine Kollegin Annette Riedel sprach gestern mit dem niederländischen Liberalen und ehemaligen EU-Kommissar für Binnenmarkt, Steuern und Zollunion, Frits Bolkestein. Er meint:

Frits Bolkestein Ich glaube, was Herr Schulz will, wird niemals stattfinden. Einfach, weil die unterschiedlichen Steuertarife dermaßen die innerste Politik eines Landes betreffen, dass kein nationaler Politiker einen Steuertarif ändern wollen würde, nur weil jemand anderes das möchte.

Annette Riedel: An eine Europäische Union hat auch lange niemand geglaubt. Wenn also Steuerharmonisierung ein wichtiges Ziel wäre, könnten wir doch trotzdem darauf hinarbeiten.

Bolkenstein: Nun gut, das stimmt vielleicht. Das ist, was ich selbst bei der Steuerbemessungsgrundlage verändern wollte. Das war schon schwierig genug. Länder wie Großbritannien und Irland wollen noch nicht einmal die Steuermessungsgrundlage ändern, geschweige denn den Steuertarif. Herr Schulz will da etwas gänzlich Unmögliches. Es ist einfach nicht möglich, den Steuertarif in ganz Europa zu vereinheitlichen.

Riedel: Wie ist es mit Mindeststeuern?

Bolkenstein: Das ist das gleiche. Da würden die gleichen Einwände gelten. Die zweite Bemerkung, die ich noch machen wollte, ist diese: Ich glaube, Herr Schulz legt zu viel Bedeutung auf die Besteuerung. Natürlich ist eine Besteuerung wichtig und notwendig, weil sie zum Beispiel den Wohlfahrtsstaat finanziert. Aber sie ist nicht der Hauptgrund, warum Unternehmen in einem bestimmten Land investieren und in einem anderen nicht.

Riedel: Lassen Sie uns einen Moment bei den Unternehmenssteuern bleiben. Einige Staaten können doch nur deswegen auf Steuereinnahmen verzichten, weil sie Geld für die Infrastruktur von Brüssel bekommen.

Bolkenstein: Das Geld, das diese Länder aus Brüssel bekommen, ist wichtig. Aber das ist nicht der Hauptgrund, warum Unternehmen in einem bestimmten Land investieren. Ja, der Steuertarif ist wichtig, aber er entscheidet nicht alles. Beispielsweise ist das Lohnniveau sehr wichtig, und auch die Flexibilität des Arbeitsmarktes.

Riedel: Sind Sie für Mindestlöhne?

Bolkenstein: Nein, das würde Herr Schulz tun, denn die gleiche Logik, die ihn sagen lässt, dass es in Europa eine einheitliche Besteuerung geben sollte, die gleiche Logik würde dann auch auf den Mindestlohn oder Löhne im allgemeinen und die Flexibilität des Arbeitsmarktes zutreffen.

Riedel: Geht es nicht jeden anständigen Europäer an, wenn ein Unternehmen wie Nokia jetzt nach Rumänien geht und der Belegschaft dort wohl zwischen 170 und 238 Euro Lohn zahlt. Das ist doch wirklich Lohndumping.

Bolkenstein: Nein, das ist Rumäniens Versuch, sich zu entwickeln. Wenn Sie auf hohe Steuertarife für Rumänien bestehen und Einwände gegen das niedrige Lohnniveau dort haben, und wenn Sie glauben, der Arbeitsmarkt sollte nicht flexibler gemacht werden, dann beschneiden Sie genau genommen nicht nur die Entwicklungschancen von Rumänien, sondern auch der anderen Osteuropäischen Länder, wie zum Beispiel der Slowakei.

Riedel: Also ist es sogar wünschenswert, was jetzt passiert, und wir werden damit klarkommen müssen, solange wir diese Ungleichheiten beim Lebensstandart in Europa haben?

Bolkenstein: Wenn Sie ein Freund der osteuropäischen Länder sind, dann sollten Sie nicht sagen, dass die Steuertarife vereinheitlicht werden sollten. Nehmen wir mal an, dass der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz in Europa bei 25 Prozent liegt. Ich bin mir sicher, dass Herr Schulz nicht wollen würde, dass der deutsche Unternehmenssteuersatz auf 25 Prozent sinkt. Ich bin sicher, dass er möchte, dass der Unternehmenssteuersatz auf die Höhe des deutschen Steuertarifes steigt. Wenn Sie also darauf bestehen wollen, wäre das der Todesstoss für die rumänischen Entwicklungschancen. Und deshalb meine ich, um meine Bemerkungen zu Herrn Schulz zu beschließen, dass er sich als schlechter Freund Rumäniens präsentiert.
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