Bodo Ramelow will mit Roland Koch Opel kaufen

Bodo Ramelow im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler · 21.02.2009
Der Spitzenkandidat der thüringischen Linkspartei, Bodo Ramelow, würde als Landeschef gemeinsam mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch von der CDU und Amtskollegen aus anderen Bundesländern die deutschen Opel-Werke von General Motors kaufen. Er sei allerdings nicht für die Gründung eines "Volkseigenen Betriebes", da das schon in der DDR nicht funktioniert habe, sagte Ramelow.
Deutschlandradio Kultur: Der deutsche Autobauer Opel droht in einem Konkurs der amerikanischen Mutter GM unterzugehen. Wenn Sie Ministerpräsident von Thüringen wären, würden Sie das Opelwerk in Eisenach kaufen?

Bodo Ramelow: Ja, selbstverständlich. Ich würde es kaufen gemeinsam mit den Kollegen von Hessen, von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Ich hätte mich also längst in mein Auto gesetzt oder in den Zug begeben und wäre nach Hessen gefahren und hätte mit Roland Koch einen Plan ausgehandelt, wie wir GM gegenüber gemeinsam auftreten. Weil es eine Lösung für die vier Standorte in Deutschland unter Einschluss von Antwerpen und Saragossa nur gibt, wenn wir gemeinsam handeln und aus der Marke Opel eine Firma Opel machen, und zwar eine Firma, die dann eigentumsrechtlich auch in die Lage versetzt wird, die Werke zu übernehmen und auch die fertigen neuen Fahrzeuge, die ja alle im Moment noch in den Rechten bei GM liegen. Die müssen abgekauft werden. Allerdings muss man dann auch GM sagen: Alle Bürgschaften und alles Cash-Management, das im November letzten Jahres abgezogen worden ist, muss dagegen verrechnet werden.

Deutschlandradio Kultur: Es wäre doch wirklich was Neues: Rüttgers, Koch, Beck und Ramelow ziehen dann künftig gemeinsam an einem Strang. Das ist machbar?

Bodo Ramelow: Es würde mich sehr freuen. Es wäre eigentlich die Wunschvorstellung, die ich habe, weil es hier nicht um Parteipolitik geht, sondern um den wichtigsten Industriepartner und den Industriestandort, den wir in Thüringen haben. Aus der Sicht Detroits ist Eisenach ein kleines Atom. Aber aus Sicht Erfurts ist Eisenach das größte Werk. Und an den 1.800 Arbeitsplätzen bei Opel sind 1.800 Familien beteiligt, aber auch noch mal 5, mal 7 die Zulieferer. Das heißt, für uns wäre es eine Katastrophe, wenn jetzt Opel Eisenach Krachen gehen würde.

Deutschlandradio Kultur: Aber mal im Ernst: Was wollen Sie mit einem volkseigenen Betrieb Adam Opel AG?

Bodo Ramelow: Es geht nicht darum, volkseigene Betriebe einzuführen, weil das hat schon in der DDR nicht funktioniert, sondern es geht um den firmenrechtlichen Mantel. Man braucht eine Aktiengesellschaft oder eine GmbH. Im Moment reden alle von Opel und würden gerne Staatsbürgschaften geben, aber es gibt keine Firma Opel. Es gibt eine Marke Opel. Man muss erst die Firma gründen.

Und dann muss man es machen, wie es bei VW praktiziert wird mit dem VW-Gesetz. Sie haben eine erfolgreiche Aktiengesellschaft, an der die vier Bundesländer eigentumsrechtlich beteiligt sind. Und meine Wunschvorstellung wäre dann, mit den Mitarbeitern gemeinsam eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft bis höchstens 49 % aufzubauen und einen weiteren strategischen Partner ins Boot zu holen. Entweder könnte das GM selber sein. Oder es könnte auch ein anderer Automobilbauer sein. Daimler wäre ein idealer Partner, der gemeinsam mit Opel dieser neuen Firma Opel dann zusammen Automobilbau, Forschung und Ähnliches macht. Weil wir müssen auch in die Zukunft gehen. Und die Frage der neuen E-Antriebe, also Elektroantriebe, dort ist die Musik, die die Zukunft bestimmt.

Wenn man also den Fahrzeugbau des 21. Jahrhunderts will, brauchen wir einen Umstieg aus diesem virtuellen Gesamtkonzern GM, der uns einfach nur in den Abgrund reißt.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie hätten gern beides, die Mitarbeiterbeteiligung und einen Investor? Und Sie glauben, Sie finden einen Investor, der dann bereit ist, sich auch mit starker Mitarbeiterbeteiligung zu engagieren?

Bodo Ramelow: Ich sehe da keinen Widerspruch, weil das Problem ist, dass diese Fremdsteuerung durch diese Kapitalmärkte sich ja jetzt als der größte Flop des Jahrtausends herausstellte. Jetzt brauchen wir eine Rückkehr zu klassischen Strukturen, bei denen diejenigen, die tatsächlich tagtäglich für den Erfolg des Unternehmens einstehen, auch eingebunden sind und damit auch in die Entscheidungsrahmen mit hineinkommen.

Schauen Sie, 1,2 Milliarden Euro sollen auf dem Rücken der Mitarbeiter jetzt eingespart werden. Das halte ich für keinen akzeptablen Weg, wenn hinterher die Löhne abgesenkt werden und die Menschen trotzdem arbeitslos werden. Also muss man überlegen, ob Gelder, die nicht in Lohn umgewandelt werden, sondern in Beteiligung umgewandelt werden, dann auch in der Firma als Beteiligungskapital geführt werden.

Aber noch mal: Es geht um eine Mitarbeiterbeteiligung bis höchstens 49 %. Und es geht um einen industriellen Partner, den wir brauchen. Opel alleine in der jetzigen Struktur wäre auch wiederum zu klein im internationalen Fahrzeugbau. Wir brauchen einen weltweiten Absatz, aber wir brauchen auch weltweite Forschung.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist das Ganze nicht eine Illusion? Denn Sie wollen sich da in einer Branche engagieren, die an Überkapazitäten leidet.

Bodo Ramelow: Was möchten Sie denn den Menschen in Eisenach und in Thüringen sagen, dass Sie alle Illusionen anhängen? Sie arbeiten in dem modernsten Werk der Welt. Sie arbeiten in dem Werk, in dem der Corsa zu Preisbedingungen und Konditionen gebaut wird, an denen selbst Koreaner gemessen werden. Das so genannte Benchmarking findet über Opel Eisenach statt. Also, Eisenach kennt im GM-Konzern jeder Beschäftigte, jeder Arbeitnehmervertreter, weil die effizientesten Fahrzeugbauvarianten dort stattfinden. Und diese Menschen kriegen jetzt gesagt, ihr hängt einer Illusion nach? Deswegen sage ich, ich würde gerne wieder zur Realwirtschaft zurückkehren. Und diesen Traum möchte ich verwirklicht sehen, dass man Staatsgelder nicht nimmt, um sie immer weiter Finanzhaien in den Rachen zu werfen.

Also, Hypo Real Estate ist doch mittlerweile kein Fass ohne Boden, sondern nur noch ein schwarzes Loch. Und bei Opel ist es so, dass dort Realwirtschaft stattfindet, Produktion stattfindet. Die Auftragsbücher sind voll und mit der Abwrackprämie müssen jetzt Sonderschichten in Eisenach gefahren werden. Trotzdem gibt’s das Signal, wenn Chapter 11, also das amerikanische Insolvenzrecht, zuschlägt, steht das gesamte Werk zum Verkauf. Das wäre eine Katastrophe für Thüringen. Deswegen unser Plädoyer, und zwar ein sehr überzeugtes Plädoyer: Alle vier Standorte müssen zusammen in eine Firma eingebracht werden. Staatsgelder darf es nur geben, wenn dafür Gegenwert gegeben wird. GM kriegt das Geld nicht über den Teich hinterher geschmissen, sondern nur, wenn sie gleichzeitig die Firma Opel bilden lassen und die Marke Opel zur Firma werden lassen.

Deutschlandradio Kultur: Aber was wollen Sie den Autobauern an anderen Standorten von anderen Firmen sagen, die ebenfalls unter der Krise leiden, wenn Sie hier in Deutschland die Marke Opel als Staat kaufen?

Bodo Ramelow: Was macht denn Amerika? Amerika sagt: Wir stellen in den Vordergrund "kauf amerikanisch!". Alle Hilfen in Amerika sollen gekoppelt werden an die Auflage, amerikanisch zu kaufen. Und wenn in dieser Situation GM Chapter 11 anwendet, das amerikanische Insolvenzrecht, sind alle europäischen Produktionsstandorte des GM-Konzerns megamausetot. Deswegen muss man diesen Schritt jetzt tun, indem man in Amerika auftritt und sagt: Gebt diese europäischen Werke frei.

Jetzt komme ich zum Beispiel Saab. Saab hat man gerade in Insolvenz gegeben, weil es niemand haben will. Und weil Sie das Beispiel VW sagen, darf ich drauf hinweisen, dass VW deswegen so gut da steht, weil es eine niedersächsische Beteiligung seit Jahrzehnten gibt. Diese niedersächsische Beteiligung hat dazu geführt, dass alle anderen Autobauer in Europa geklagt haben, Prozesse angestrengt haben, damit diese niedersächsische Beteiligung unterbunden wird. Und heute erweist sich diese niedersächsische Beteiligung als ein Überlebensanker für die Region in Niedersachsen. Nicht mehr fordere ich für Opel auch.

Deutschlandradio Kultur: Und wenn die Schweden jetzt sagen, wir wollen uns nicht beteiligen, wir wollen kein Geld in Saab rein investieren, dann machen die einen Riesenfehler?

Bodo Ramelow: Ich kann den Zustand von Saab derzeit gar nicht einschätzen, weil ich den Eindruck habe, dass es bei Saab derzeit keine neuen Modelle gibt. Wir reden aber bei Opel Eisenach über das modernste Kleinwagenmodell, das es im Moment am Markt gibt, und das erfolgreichste Kleinwagenmodell. Dass man dann so eine Produktion krachen lässt, würde ich für einen Fehler halten. Denn es geht nicht um Protektionismus für eine einzelne Marke oder eine einzelne Region. Wir reden von dem modernsten Werk der Welt. Und dieses darf man nicht durch eine Insolvenz ruinieren lassen, nur weil amerikanische Finanzzocker die ganzen Werke hoch belastet haben.

Und die Überkapazität gilt für den Automobilbau insgesamt. Dort werden wir Maßnahmen ergreifen müssen, wie sie bei der Stahlüberkapazität angewendet wurden. Das wäre allerdings kein Problem, weil Sie dann Kurzarbeit, Umschulung, Fort- und Weiterbildung bis hin zur Viertagewoche Anpassungsmaßnahmen ergreifen könnten. Gleichzeitig müssen Sie aber neue Produkte in den Markt bringen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Eisenach so modern ist, warum stehen dann nicht die Investoren Schlange?

Bodo Ramelow: Weil sich Automobilbau in den letzten 20 Jahren systemisch umgestellt hat. Es gibt nicht mehr den Fahrzeugbau durch einen Automobilkonzern. Es gibt den produktionslosen Fahrzeugbau. Das war die neue Illusion, die man aufgebaut hat. Das gesamte Risiko ist an die Zulieferer, an die Bauteilgruppenlieferanten übertragen worden. Die krachen alle gerade mit weg. Und das Werk Eisenach ist im Prinzip nur der finale Zusammenschraubort. Und da müssen Sie sehen, Opel Eisenach funktioniert mit Pressteilen, die in Ganzgüterzügen aus Saragossa kommen. Das heißt, die Zulieferketten sind in diesem ganzen europäischen Netzwerk der Opel-Standorte vertaktet. Deswegen muss man auch ein europäisches Opel-Werk und eine europäische Opel-Firma aufbauen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt also, in Zeiten, wie diesen, muss es der Staat richten, wenn wir bei der Automobilindustrie bleiben in Deutschland. Keine andere Alternative?

Bodo Ramelow: Mein Credo lautet: Wir müssen zurückkehren in die regionale Realwirtschaft, dort, wo sich tatsächlich Produzenten treffen. Und die soziale Marktwirtschaft ist nicht vom Weltkommunismus bedroht, sondern von einem außer Rand und Band geratenen Finanzkapitalismus, der endlich in Ketten gelegt werden muss. Wir brauchen wieder Spielregeln, die für alle verlässlich sind. Im Moment erleben wir, dass Automobilzulieferer auf die Watchlist international gesetzt wurden und keine Kredite mehr kriegen. Wir erleben im Moment, dass tatsächlich ein Unternehmen wie die Hypo Real Estate wie ein Staubsauger Milliarden von Steuergeldern absaugt, ohne dass wir ein Ende dieser Situation einschätzen können. Deswegen müssen wir auch darüber reden, dass wir Schlussfolgerungen ziehen und Maßnahmen ergreifen.

Deutschlandradio Kultur: Was heißt das im Konkreten? Verstaatlichen?

Bodo Ramelow: Nee, Hedgefonds die Zulassung entziehen, Leerverkäufe an den Börsen verbieten, endlich das Recht der Zweckgesellschaften auflösen, Verbriefungen von Fremdkrediten beenden, international vagabundierende Finanzmassen durch die Tobin-Tax, einer Besteuerung von Finanztransaktionen, eingrenzen und Finanz-Offshoreplätze international trockenlegen. Das sind die Maßnahmen, von denen ein Teil in Deutschland gemacht werden kann, ein Teil europaweit gemacht werden kann. Aber wir müssen endlich anfangen.

Die Zweckgesellschaften können in Deutschland beendet werden. Die Zulassung der Hedgefonds kann in Deutschland beendet werden. Es geht gar nicht um die volkseigenen Betriebe. Den volkseigenen Finanzbetrieb gründen gerade Frau Merkel und die Große Koalition. Das war nie mein Traum, dass aus Deutscher Bank, Dresdner Bank, Commerzbank mit der Hypobank zusammen ein volkseigener Geldmarkt-VEB entsteht. Das halte ich für einen schwierigen Weg.

Aber es folgt einer Logik, in der man jahrelang dem Thema Gier das Wort geredet hat, ohne einzugreifen. Und als Oskar Lafontaine Finanzminister war, hat er darauf immer hingewiesen. Und die englischen Boulevardzeitungen haben ihn damals mit Hitlerbärtchen als den gefährlichsten Mann Deutschlands und Europas gezeigt. Heute wissen wir, Oskar Lafontaine hatte recht und wir müssen die Hausaufgaben endlich machen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wie sollen wir das verstehen? Oskar Lafontaine sagte ja gerade, dass die Verstaatlichung von Großbanken der billigste und der wirksamste Weg sei, um den Geldfluss unter Banken in Gang zu bringen. Sollen wir sie doch verstaatlichen - die Commerzbank und die Deutsche Bank?

Bodo Ramelow: Entschuldigung, das ist doch nicht eine Frage an mich. Das tut doch gerade die Bundesregierung, nur sie tut es zögerlich und wirft immer mehr Staatsgeld hinterher. Ich will Ihnen das Beispiel noch mal von der Dresdner und Commerzbank sagen:

An dem Tag, an dem die Bundesrepublik mit 25 % dort eingestiegen ist, hatten die Dresdner und die Commerzbank zusammen ein Bilanzvermögen von 4 Milliarden Euro. 16 Milliarden Steuergeld wurde aber in beide Banken hinein gegeben. Dafür hätten wir die ganze Bank kaufen können und 12 Milliarden frisches Geld in die Bank geben können, um ihren Kreditaufgaben endlich nachzukommen.

Also, wenn wir sagen, der Weg der Verstaatlichung ist ein Weg, der jetzt konsequent gegangen werden muss, dann heißt, dass damit gleichzeitig der Casinokapitalismus beendet werden muss. Wir müssen das Casino schließen, statt ständig mit Minderheitsbeteiligung dafür zu sorgen, dass immer weiteres Geld in diese Finanzmarkt-Bubbleblase hinein gegeben wird.

Deutschlandradio Kultur: Da muss ich noch mal nachfragen. Sie würden es nicht machen wie die Bundesregierung? Sie würden gleich verstaatlichen?

Bodo Ramelow: Ja, konsequent verstaatlichen, die Finanzblase damit unterbinden, ein stückweit die Risiken abbauen und dann diese Finanzinstitute als das, was sie sind, nämlich Finanzinstitute, wieder in den Markt hineingeben. Das heißt, staatliches Geld nur reingeben, wenn es dann, wenn es Gewinne bringt, wieder veräußert werden kann, so dass die Bürger ihr Geld wieder bekommen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt aber auch, Sie sagen, wir wollen Banken verstaatlichen, damit wir den Kapitalismus langfristig retten?

Bodo Ramelow: Ach, nehmen Sie es so, wie Sie wollen. Die Bedrohung kommt eben nicht von den Sozialisten und Kommunisten dieser Welt. Die Bedrohung kommt von den gierigen Bankmanagern, die dabei sind, wirklich auch die kleine und mittelständische Wirtschaft in Deutschland zu ruinieren. Schauen Sie, die Realwirtschaft ist bedroht. Unser gesellschaftliches System ist bedroht. Deswegen sage ich: Verstaatlichung als ein Mittel, um wieder die Marktwirtschaft sozialer zu gestalten und dann das Soziale wieder in den Vordergrund zu stellen. Das bedeutet aber, gesetzlichen Mindestlohn, von dem Menschen sich ernähren können, eben auch einzuführen. Also, nicht nur den Banken Geld geben und Casinokapitalismus ein bisschen neues frisches Geld geben, sondern den Bürgern Geld in die Hand geben, so dass auch Konsumklima stattfindet.

Deutschlandradio Kultur: Aber für die Linke schlagen Sie da doch auch neue ordnungspolitische Töne an. Denn wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie auch wieder aussteigen. Sie wollen aussteigen aus einem Engagement bei Opel. Sie würden auch wieder aussteigen wollen aus einem Engagement bei den Banken, wenn sich denn die Lage gebessert hat?

Bodo Ramelow: Ja, selbstverständlich.

Deutschlandradio Kultur: Das ist neu für die Linken.

Bodo Ramelow: Nee, gar nicht. Also, die Frage ist: Wenn man verstaatlicht, muss es einen Sinn und einen Zweck haben. Es geht nicht darum, die Bäckerei zu verstaatlichen, die Eisdiele zu verstaatlichen, sondern zentrale Institutionen der Marktwirtschaft so zu ordnen, dass sie wieder ihrer Ordnungskraft nachkommen. Die Banken sind dazu da, Kredite auszugeben. Die klein- und mittelständischen Betriebe bekommen gerade keine. Außer den Sparkassen, die ordentlich im Markt agieren, ist es bei den deutschen Privatbanken zur Zeit so, dass die sehr zugeknöpft sind, weil sie ihre Eigenkapitalquote hochschieben wollen. Deswegen stehe ich dazu. Dieser Teil der Verstaatlichung ist dazu da, um den Markt wieder zu ordnen.

Es gibt einen anderen Teil. Den würden wir gerne dauerhaft verstaatlichen. Das ist Daseinsvorsorge und Daseinsfürsorge. Krankenhäuser und Gesundheitswesen hat nichts an der Börse zu suchen. Stromnetze haben nichts an der Börse zu suchen. Die Deutsche Bahn hat nichts an der Börse zu suchen. Das, was der Gesellschaft in Gänze nutzt und frommt, das brauchen wir für alle Menschen und nicht an der Börse, um Eigenkapitalrenditen von 25 % zu generieren.

Deutschlandradio Kultur: Bodo Ramelow spricht Tacheles mit uns. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken und Spitzenkandidat seiner Partei in Thüringen.

Herr Ramelow, wir verstehen, Opposition ist Mist, Sie wollen politische Verantwortung übernehmen, das möglicherweise auch in Thüringen. Jetzt wurde gestern das zweite Konjunkturpaket verabschiedet. 90 Milliarden will die Bundesregierung insgesamt auch zur Rettung von Arbeitsplätzen einsetzen. Hätten Sie denn das ganz anders gemacht, wenn Sie mit in der politischen Verantwortung gewesen wären?

Bodo Ramelow: Wir haben es aus zwei Seiten betrachtet. Wir haben aus der Bundestagsfraktionsseite gesagt: Es ist zu wenig und zu zögerlich, weil es - gemessen am Bruttoinlandsprodukt - einfach viel zu knapp bemessen ist. Wir wären also viel deutlicher in Infrastrukturmaßnahmen eingestiegen. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen:

Schienenverkehr in Deutschland müsste dringend saniert und auf Vordermann gebracht wären. Während alle über Herrn Mehdorn und seine Spitzelaffären reden, rede ich mal über die Mitte-Deutschland-Bahn, die dringend elektrifiziert werden müsste. Dieses Geld gehört in die Hand genommen, um es sofort in Arbeit, in Produktion umzusetzen.

Dasselbe gilt eben im Bereich Bildung. In den Bereich Bildung gehört ein Vielfaches an Geld. Da reicht mir die Sanierung der Heizungsanlage einfach nicht aus. Ich will, dass auch in Westdeutschland der Schulhort und ein Schulessen an der Schule ganz normal ist. Und ich möchte, dass das Thema Bildung als unser Zukunftsthema endlich begriffen wird. Das kostet Geld. Das muss der Bund in die Hand nehmen. Das ist aber immer von der CDU ideologisch bekämpft worden. Und die Privatisierung von Bildung halte ich für eine katastrophale Fehlentwicklung.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie wirklich mehr Geld für die Konjunktur fordern, dann sage ich einfach mal: Sie hätten gar keins mehr gehabt, denn Sie haben schon in den Jahren zuvor ja mehr Geld für Konjunkturprogramme gefordert. Das Geld wäre ja ausgegeben. In der Krise hat man dann keins mehr.

Bodo Ramelow: Ach, wissen Sie, wenn das ganze Geld, das alle einmal gefordert haben - und nicht nur wir -, ausgegeben worden wäre, wäre es trotzdem nur ein Bruchteil dessen, was uns Hypo Real Estate langsam kostet. Also, hätten wir das Geld mal real umgesetzt in Bildung, was die HRE gerade frisst, dann würden wir anders dastehen.

Bleiben wir dabei: Wir würden gleichzeitig den gesetzlichen Mindestlohn, 8,44 Euro, als Regeluntergrenze einführen, damit es keine Löhne mehr gibt mit 4,80 Euro. Das mag man in Westdeutschland ja gar nicht glauben, aber 3,20 bis 4,80 Euro sind tarifliche Stundenlöhne hier in den neuen Bundesländern. Für solche Gelder kann man seine Familie nicht ernähren. Also müssten wir ein einheitliches gesetzliches Mindestlohnsystem haben. Frankreich hat 8,71 Euro als gesetzlichen Mindestlohn. Der Kapitalismus in Frankreich ist nicht zusammengebrochen, aber der breiten Masse der Arbeitnehmerschaft geht es eben finanziell und wirtschaftlich einfach besser in Frankreich.

Deutschlandradio Kultur: Auch der Mindestlohn muss irgendwie erwirtschaftet werden. Wenn Sie sagen, Sie wollen staatliche Programme haben und das deutlich erhöhen, besteht doch irgendwann die Gefahr, dass die Landesregierungen - und Sie wollen Ministerpräsident werden - irgendwann handlungsunfähig sind, weil sie nur noch damit beschäftigt sind, Schulden zu tilgen. Die Gefahr sehen Sie nicht?

Bodo Ramelow: Ich komme noch mal auf das Thema gesetzlicher Mindestlohn zurück und weise darauf hin, dass derzeit die 3,80-Euro-Arbeitnehmer Aufstocker sind. Das heißt, die müssen dann zum Staat gehen und müssen unter entwürdigenden Umständen beim Staat um Hilfe anklopfen. Das halte ich für entwürdigend. So darf man mit Menschen nicht umgehen und so darf man auch mit dem Staat nicht umgehen. Er darf nicht zum Reparaturbetrieb für nicht zu akzeptierende Stundenlöhne werden.

Also, wenn wir darüber reden, dann sage ich: Ich finde es empörend, dass es Firmen gibt, die Arbeitnehmerüberlassung betreiben, und Firmenchefs und Personalchefs, die gleichzeitig die Hartz-IV-Anträge ausgeben und sagen, wir helfen Ihnen in der Personalabteilung, weil wir mehr Lohn nicht zahlen wollen, beim Ausfüllen der Hartz-IV-Anträge.

Deutschlandradio Kultur: Da haben Sie ja recht, aber das war doch eigentlich anders gemeint. Gemeint war doch: Statt dass einer arbeitslos ist, soll er lieber mit Hilfe auch einer Förderung - sei es aus der Sozialhilfe raus oder vom Arbeitsamt - einen Job annehmen und gut hinzuverdienen können.

Bodo Ramelow: Ich möchte nicht, dass er hinzuverdient. Ich möchte, dass er durch seiner Hände Arbeit leben kann. Es geht nicht um Hinzuverdienst. Das ist ja das Herabwürdigende. Ich weiß gar nicht, ob Journalisten sich vorstellen können, was das heißt, den ganzen Tag im Funkhaus zu sitzen und dann anschließend noch zur staatlichen Stelle zu gehen und dann zu sagen, ich brauche noch. Aber dem Wachmann am Thüringer Landtag mutet man den Weg zu, obwohl der vor dem Hort der Demokratie steht.

Deutschlandradio Kultur: Warum zahlt denn der Thüringer Landtag keine anderen Preise, so dass der Wachmann mehr Geld bekommt.

Bodo Ramelow: Weil der gesetzliche Mindestlohn aus ideologischen Gründen bis heute nicht eingeführt ist und weil die CDU bis heute das aus ideologischen Gründen bekämpft.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, der Staat sagt den Unternehmen, wie viel er an Mindestlohn zu bezahlen hat, unabhängig davon, …

Bodo Ramelow: Entschuldigung. Wie in der Hälfte aller europäischen Staaten, die in dem gleichen Wettbewerb stehen, wie wir. 16 europäische Staaten kennen das Instrument des gesetzlichen Mindestlohns und es funktioniert überall da. Weil umgekehrt sagt der Unternehmer nämlich, du Staat, zahl du mal den Rest für mich. Also, ich meine: Wer zahlt dann für wen?

Und wenn für alle die gleiche Bedingung gilt, gilt auch die gleiche Kalkulation. Was nicht mehr akzeptiert werden kann, ist eine Schweineunterbietung - und ich benutze dieses Wort bewusst -, bei der man immer weiter die Lohnschraube nach unten drückt. Im Putzgewerbe ist das so gewesen. Man hat die Türen geöffnet, dass sogar in der Bundesagentur für Arbeit ein Generalauftragnehmer die Aufträge zum Putzen aller Arbeitsämter gekriegt hat, der sämtliche Marktgrenzen nach unten durchbrochen hat. Und hinterher mussten dann die staatlichen Stellen das wieder auffinanzieren, was die Menschen dort zu wenig verdient haben.

Das ist eine Ungerechtigkeit, die man mit berücksichtigen muss, wenn wir über Konjunkturpakete reden. Es ist nicht nur die investive Seite, sondern es muss auch die Konjunktur-Seite da sein. Wenn man also in Konsum investieren will, dann muss man den Konsum so anlegen, dass der Verbraucher ihn auslöst und nicht der Staat künstlich Konsum und Nachfrage organisiert.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir noch mal auf die Mindestlöhne zurückkommen, war es nicht so, dass der Bundesarbeitsminister gemeinsam mit der CDU in den letzten Wochen und Monaten für mehrere Branchen dieses eingeführt hat, dass sie weitergekommen sind in dieser Richtung, so wie Sie es haben wollen?

Bodo Ramelow: Nee, leider nicht. Es hört sich schön an. Ehrlich gesagt, ist das, was jetzt eingeführt worden ist, so weit entfernt von dem gesetzlichen einheitlichen Mindestlohn, wie sich das Verhältnis zwischen Edelstahl und Diebstahl verhält. Wer bei der Post einen Mindestlohn einführt, der dann bei allen Gerichten als nicht akzeptabel qualifiziert wird, weil er ordnungspolitisch falsch angesetzt worden ist, wer bei den kirchlichen Trägern jetzt im Pflegebereich wahrscheinlich sagt, dass eine Million Arbeitnehmer, die bei kirchlichen Trägern in der Pflege tätig sind, aus dem gesetzlichen Mindestlohnsystem eines einheitlichen flächendeckenden Tarifvertrags ausgebootet werden sollen, der geht einfach in eine falsche Richtung. Er gaukelt den Menschen vor, es gäbe Mindestlohn, wie beim Thema Zeitarbeit. Da ist es vorgegaukelt worden und anschließend eine Woche später ist es aus dem Paket wieder rausgenommen worden. Dann bleiben drei oder vier kleinere Branchen übrig, die überschaubare Mitarbeiterzahlen haben. Das hat aber mit dem flächendeckenden einheitlichen Mindestlohn überhaupt nichts zu tun.

Deutschlandradio Kultur: Vor der Bundestagswahl werden Sie ja in der Landtagswahl in Thüringen als Ministerpräsidentenkandidat der Linken antreten. Eine rot-rote Mehrheit wäre möglich, aber die SPD hat gesagt, nicht mit uns, wenn wir Juniorpartner der Linken sein sollen. Ist also der Traum vom Amt des Ministerpräsidenten schon ausgeträumt?

Bodo Ramelow: Ich träume von einem Politikwechsel in Deutschland und einem Politikwechsel in Thüringen. Das heißt, ich arbeite dafür, dass es tatsächlich einen Politikwechsel gibt. Ich bleibe noch mal beim Thema gesetzlicher Mindestlohn: Christoph Matschie, der Spitzenkandidat der SPD in Thüringen sagt schon seit Jahren, er steht für einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Wenn wir eine Landesregierung bilden würden, die gegenüber der CDU deutlich macht, das Konzept des Niedriglohns in Thüringen muss politisch beendet werden - die CDU hat immer gesagt, Niedriglohn ist ein Standortvorteil -, wenn man also einen flächendeckenden Mindestlohn will, wie es auch Christoph Matschie sagt, brauchen wir eine Landesregierung, die einen solchen Antrag im Bundesrat stellt.

Schon jetzt könnte in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg und in Sachsen-Anhalt eine rot-rote Regierung gebildet werden, die dann auch flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einfordert. Und wenn wir dann im Saarland und in Thüringen eine entsprechende Landesregierung hätten, wären die 29 Stimmen im Bundesrat von Schwarz-Gelb neutralisiert durch 29 entsprechende Stimmen von Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün oder Rot-Grün in Bremen. Damit könnte man wieder eine Achsverschiebung der Mehrheitsverhältnisse zugunsten des Sozialen in Deutschland organisieren.

Dafür kämpfe ich. Deswegen ist mein Hauptanliegen nicht unbedingt, in der Staatskanzlei einen Schreibtischstuhl zu haben, sondern einen Politikwechsel für Thüringen. Dazu muss sich die SPD dann verhalten.

Deutschlandradio Kultur: Würden Sie einen Schritt zurücktreten, um dieses Ziel zu erreichen?

Bodo Ramelow: Ich würde jeden Schritt zurücktreten, wenn damit mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland ermöglicht würde. Wenn es also an mir liegen würde, mehr soziale Gerechtigkeit, gesetzlichen Mindestlohn, moderne Bürgerversicherung, längeres gemeinsames Lernen, mehr direkte Demokratie, wenn es an mir persönlich und an meinem eigenen Verhalten liegen würde, dass ich das alles durchsetzen kann, bin ich dazu bereit. Ich weiß bei der Thüringer SPD nicht, wohin sie eigentlich will. Sie hat nur einen einzigen politischen Beschluss gefasst. Der heißt, meine Person nicht zum Ministerpräsident zu wählen. Das ist für mich ein wenig zu wenig.

Deutschlandradio Kultur: Das sagt der Wahlkämpfer Bodo Ramelow und wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch!

Bodo Ramelow: Bitteschön!