Bodenatlas

Dem angeblichen Landraub auf der Spur

Nomaden in der Mongolei, 2003
Die Mongolei lebt hauptsächlich von der Viehzucht in den weiten Steppen. © picture-alliance / dpa/dpaweb / epa Michael Reynolds
Von Udo Pollmer · 17.02.2015
Im "Bodenatlas" prangern einige Umwelt- und Entwicklungsorganisationen den so genannten virtuellen Landraub der Deutschen an. Udo Pollmer hat die Argumente überprüft - und kommt zu ganz anderen Ergebnissen.
"Kein anderer Kontinent ist für seinen Konsum stärker auf fremdes Land angewiesen als Europa", vermeldet der "Spiegel" und beruft sich auf den Bodenatlas, den ein Konsortium von Umweltorganisationen vorgelegt hat. "Jeder EU-Bürger", heißt es weiter, "darunter ganz vorn die Deutschen", verbrauche pro Jahr 1,3 Hektar Land, sechsmal so viel wie ein Einwohner aus Bangladesh. Das meiste davon ginge nach den Worten der Herausgeber auf das Konto der intensiven Fleischproduktion, für die wir gigantische Mengen Futtermittel importieren. Angesichts solcher Zahlen sei ein Veggie-Tag pro Woche geradezu naiv.
Das prüfen wir lieber nach. Deutschland ernährt sich mit seinen knapp 17 Millionen Hektar Agrarland zu etwa 80 Prozent selbst. Wir könnten uns rein rechnerisch komplett selbst versorgen – denn 20 Prozent unserer Äcker werden für Energiepflanzen missbraucht. Umgerechnet auf die 80 Millionen Bürger, benötigt also jeder von uns nur 0,2 Hektar.
Die Diskrepanz zwischen den ermittelten 1,3 Hektar und den realen 0,2 Hektar ist erheblich. Wo also steckt das restliche verbrauchte Land? Medien wie der Spiegel erklären es ihren Leser so: Das verbrauchte Land läge vielfach in Staaten wie der Mongolei, in denen nicht einmal die Bevölkerung ausreichend mit Grundnahrungsmitteln versorgt ist. Seither geistert der Landraub bei den Mongolen als Zeichen des deutschen Neokolonialismus durch die Gazetten.
Hammelbeine werden zu Propagandakeule umfunktioniert
Fleisch ist tatsächlich das wichtigste Importprodukt aus der Mongolei. 2012 wurden von dort knapp 120 Tonnen importiert. Also drei Lkw voll. Wie kann aus lächerlichen 120 Tonnen ein kolonialistischer Landraub konstruiert werden? Ganz einfach: Da in der Mongolei kaum etwas wächst, müssen die Tiere eine riesige Weidefläche abgrasen. So lassen sich ein paar Hammelbeine schnell in eine Propagandakeule umfunktionieren.
Darf man überhaupt aus einem bettelarmen Land Fleisch importieren? In der Kaltsteppe gibt's nichts als karge Weiden. Das reicht, um alle Mongolen satt mit Fleisch und Milch zu versorgen. Sie würden auch gern mal etwas Konfitüre oder ein paar Gummibärchen naschen. Die beziehen sie aus Deutschland. Importiert werden aus Deutschland Süßwaren, Wein und Bier. Denn in der Mongolei gedeihen keine Zuckerrüben, keine Trauben und keine Braugerste. Wir exportieren also – um die Sprache des Bodenatlanten zu benutzen – jede Menge fruchtbares Land in die arme, aber fleischreiche Mongolei.
Nur ein Hundertstel dessen, was der Bodenatlas uns weismachen will
Nun sollen neben den 120 Tonnen Fleisch aus der Mongolei noch "gigantische" Futtermittelimporte den enormen Landverbrauch verursachen. Deutschland führt knapp fünf Millionen Tonnen Soja aus Südamerika ein. Für den Anbau braucht man etwa zwei Millionen Hektar Land. Da dort aber pro Jahr zwei Ernten gedeihen, ist es nur noch eine Million. Damit "verbraucht" jeder Deutsche etwas über 0,01 Hektar. Da hiervon noch der Anteil für das Sojaöl abgezogen werden muss – die Tiere bekommen ja nur den Rückstand zu fressen – liegt der reale "Verbrauch" unter 0,01 Hektar – also nur ein Hundertstel dessen, was uns der Bodenatlas weismachen will.
Bedeutsamer als Fleisch sind da schon Obst und Gemüse. Um unseren ungehemmten Hunger nach frischen Früchten zu stillen, importieren wir 80 Prozent. Obst und Gemüse sind nährstoffarm und ihr Anbau erfordert deshalb viel Fläche. insofern könnten die südlichen Länder Klage über die neokolonialistische Ausbeutung durch die 5-am-Tag-Kampagne führen, ganz zu schweigen vom deutschen Landraub durch den Genuss von italienischem Wein, spanischem Olivenöl oder griechischem Schafskäse. Aber so naiv ist nicht mal der armseligste Schafhirt.
Literatur
Heinrich-Böll-Stiftung, Institute for Advanced Sustainability Studies, Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, Le Monde diplomatique (Hrsg): Bodenatlas, ohne Ort 2015
Anon: Fremdes Land. Der Spiegel 2015; H.2: S.57
IAAS Potsdam: "Flächenverbrauch weltweit begrenzen!" Der Bodenatlas 2015 ist da. Meldung vom 8. Jan. 2015
Klawitter N: Neuer "Bodenatlas": Landnahme mit katastrophalen Folgen. SPON 8. Jan 2015
DeStatis: Statistisches Bundesamt: Außenhandelsstatistik, Genesis-online: Tabelle 51000-0007
Keckl G: Anti – Bodenatlas. Hannover 2015
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