Bob Dylan als Puzzle

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 27.02.2008
Sechs Schauspieler verkörpern in "I'm Not There" die verschiedenen Facetten des Rockmusikers. Eine besonders hinreißende "Bob Dylan" spielt dabei Cate Blanchett. In "Michael Clayton" ist George Clooney in einer renommierten Anwaltskanzlei als der Mann fürs Grobe zu sehen. Der Thriller bietet hochkarätige Unterhaltung mit "Heuschrecken"-Moral-Geschmack.
"I'm Not There"
USA 2007, Regie: Todd Haynes, Hauptdarsteller: Christian Bale, Cate Blanchett, Richard Gere, Heath Ledger, ab zwölf Jahren

Der in L.A. geborene, heute 37-jährige Todd Haynes ist Schauspieler, Regisseur, Drehbuch-Autor und Produzent. Er studierte Kunst und ging nach seinem Abschluss nach New York. Dort drehte er 1987 den kontrovers aufgenommenen Kurzfilm "Superstar: The Karen Carpenter Story". Sein erster eigener Regie-Spielfilm war 1991 "Poison" und erhielt beim "Sundance Film Festival" den "Großen Preis der Jury". Danach entstanden die Spielfilme "Safe" (1995), "Velvet Goldmine" (1998) und "Dem Himmel so fern" (2002, Darstellerpreis für Julianne Moore beim Venedig-Festival).

Sein neues Projekt ist die Bob-Dylan-Annäherung "I`m Not There". Der Film war im offiziellen Wettbewerb der 64. Filmfestspiele von Venedig im letzten September, bekam den "Großen Preis der Jury" zugesprochen, während Cate Blanchett mit dem Darstellerpreis "Coppa Volpi" geehrt wurde.

Zunächst einmal Bob Dylan in Kurzform: Geboren als Robert Allen Zimmerman am 24. Mai 1941 in Duluth, Minnesota; Folk- und Rock-Musiker, spielt Gitarre, Mundharmonika und Klavier; gilt als einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. Nahezu 60 Alben hat die musikalisch vor allem von Woody Guthrie geprägte und in seinen Texten von Arthur Rimbaud, Charles Baudelaire und Dylan Thomas beeinflusste Pop-Ikone bislang veröffentlicht.

Todd Haynes nähert sich dem "rätselhaften Menschen" Dylan über gleich sechs verschiedene Figuren und Charaktere innerhalb seines Werdeganges. Der Film besitzt also keine "Handlung" im herkömmlichen, klassischen Sinne, sondern deutet auf sechs ganz unterschiedliche Phasen, "Bewegungen" im Leben dieses Ausnahme-Künstlers.

Deshalb wird "Bob Dylan" auch von sechs verschiedenen Darstellern verkörpert: Es beginnt mit dem 11-jährigen farbigen Woody Guthrie (Marcus Carl Franklin), der mit seiner Gitarre durchs Land zieht und ziemlich altklug über seine musikalischen Visionen schwadroniert. Wir begegnen dem Poeten Arthur (Ben Wishaw) auf der Suche nach seiner literarischen Identität sowie dem Erfolgssänger Jack Rollins (Christian Bale), der sich plötzlich zum Prediger, "Pastor John", berufen fühlt. Der Schauspieler Robbie dagegen (der kürzlich verstorbene Heath Ledger in seiner vorletzten Leinwandrolle) lässt unvermindert Ehefrau (Charlotte Gainsbourg) und Kinder im Stich, während wir auf den androgynen wie exzentrischen Rock-Star Jude Quinn (Cate Blanchett) stoßen und schließlich noch mit dem gealterten Outlaw Billy the Kid (Richard Gere) zu tun bekommen, der sich in sein Ich zurückgezogen hat.

Sie alle sind Facetten von Bob Dylan, sind Teile eines Puzzles einer vielschichtigen Persönlichkeit, die in kein "Schema-F" zu pressen ist. Zugleich werden die Spiel-Elemente des Kinos bemüht: Von Dokumentaraufnahmen über Standfotos, Interviews, Traumsequenzen, Spielszenen bis hin zu Kino-Zitaten. Dabei ist man zuweilen ebenso ratlos wie staunend-beeindruckt. DIESER Boby Dylan lässt sich "nicht fangen", nicht sezieren, bleibt eine faszinierend-spannende Unbekannte in diesem Mysteryspiel seines Lebens, in dem die beschwingt-unbeschwerten 60er Jahre-Beatles-Komödien eines Richard Lester genauso rhythmisch mitschwingen wie die reizvoll-skurrilen Verweise auf die Existenzialismus-Dramen der "Nouvelle Vague" à la Godard oder Truffaut.

Und wenn man Haynes Lieblingsschauspielerin Julianne Moore nicht (er-)kennen würde, könnte man tatsächlich annehmen, echte Interviewszenen eines Fans zu erleben. Aber das alles setzt natürlich den unterschiedlichen Darstellern die Krone auf. Und hier triumphiert eindeutig die australische Schauspielerin Cate Blanchett, die einmal mehr begeisternd unterstreicht, dass sie zu den derzeit führenden Charakter-Darstellerinnen des internationalen Kinos zählt.

Die "Oscar"-Preisträgerin ("Beste Nebendarstellerin" als Ava Gardner in Scorseses "Aviator"; in diesem Jahr gleich 2 Mal nominiert als "Beste Hauptdarstellerin" in "Elizabeth - Das goldene Königreich" und eben hier als "Beste Nebendarstellerin" und demnächst spielt sie auch noch im neuen, im 4. Indiana-Jones-Film mit) setzt mit ihrer "provokanten" Dylan-Interpretation hier allen und allem das schauspielerische Sahnehäubchen auf. Sie wirkt zäh, gebrochen, durchtrieben, extravagant, exzentrisch, melancholisch: Eine hin- wie mitreißende "Bob Dylan".

Fazit: Kino als ungewöhnliche Rätsel-Show, in der "der Meister" persönlich nicht in Erscheinung tritt, während seine Musik den Weg weist zu einem charismatischen, widerspenstigen, nie ganz zu verstehenden wirklichen Superstar. Eine absolut außergewöhnliche Biografie-Suche, -Bestimmung; eine Klasse Zeit- , Seelen- und Musik-Reise.

<im_43053>"Michael Clayton" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_43053>"Michael Clayton"
USA 2007, Regie: Tony Gilroy, Hauptdarsteller: George Clooney, Tom Wilkinson, Tilda Swinton, ab zwölf Jahren

Der Sohn des Schriftstellers und Pulitzer-Preisträgers Frank D. Gilroy, Tony Gilro, begann Anfang der 90er Jahre Filmdrehbücher zu verfassen. Zu seinen ersten großen Erfolgen gehörten die Drehbücher zum Satansthriller "Im Auftrag des Teufels" (1997, mit Al Pacino) und zu dem Katastrophenfilm "Armageddon" (1998, mit Bruce Willis). 2001 begann Gilroy, Robert Ludlums erfolgreiche Bestsellertrilogie um den CIA-Killer Jason Bourne zu Drehbüchern umzuschreiben: Sowohl "Die Bourne Identität" wie dann auch "Die Bourne Verschwörung" (2004) und zuletzt "Das Bourne Ultimatum" (2007, gerade 3 technische "Oscars") fanden weltweit großen Zuspruch.

Mit dem Film "Michael Clayton", der seine Uraufführung im Wettbewerb bei den letztjährigen Filmfestspielen von Venedig hatte, gibt Tony Gilroy sein Debüt als Drehbuch-Autor und Regisseur. Zu den Produzenten zählen u.a. Sydney Pollack, Steven Soderbergh und Anthony Minghella (Regisseur von "Der englische Patient").

Der Titelheld, der ehemalige brillante Staatsanwalt Michael Clayton, arbeitet als Spezialist, als Ausputzer, in einer der renommiertesten Anwaltskanzleien von New York. Das heißt: Wenn irgendwann irgendwo etwas "schief läuft" mit Kollegen oder bei Kunden, wird er gerufen und muss das geradebiegen. Unterkühlt, effektiv und kurz klar angebunden wie strukturiert, erfolgreich. Schließlich: RECHT-haben und RECHT-bekommen ist bekanntlich nicht unbedingt dasselbe.

Zwar tummelt sich Michael inmitten der Chefetage dieses namhaften wie (für die Kunden sehr) teuren Unternehmens, doch ist er dort so richtig nie angekommen. Das liegt zweifellos an seiner "undurchsichtigen" Stellung, er ist personell-"amtlich" sozusagen "weder Fisch noch Fleisch", sondern irgendwas "dazwischen", ist für den Kollegenkreis nicht recht zu fassen und wird demzufolge eher vorsichtig-misstrauisch beäugt. Und auch sein Boss, Marty Bach (Sydney Pollack) betrachtet ihn eher als "Mann fürs Grobe" als einen "angesehenen gleichrangigen Kollegen". Deshalb ist er auch nach 17-jähriger Zugehörigkeit hier immer noch nicht zum Teilhaber befördert worden.

Irgendwie wirkt Michael in diesem Hochkaräter von Anwaltsbetrieb auch immer "etwas beschmutzt", zumindest "anrüchig". Was ja auch kein großes Wunder ist, schließlich ist der private Michael ziemlich aus- wie auch abgebrannt und von seinem Aufräumer-Job auch längst schon nicht mehr sehr angetan: Er ist Spieler, seine Ehe ist lange schon kaputt, und nachdem er mit einem Restaurant pleite gemacht hat, sitzt er auf 75.000 Dollar Schulden. Da kommt ihm dieser neue Job gerade gelegen, denn von dessen "Erledigung" hängt das Wohl der ganzen (Luxus-)Firma ab.

Sein brillanter Kollege Arthur Edens "vermasselt" ganz offensichtlich momentan einen gigantischen Auftrag, ja, er hat offensichtlich sogar die Parteiseiten gewechselt. Dabei geht es um eine milliardenschwere Sammelklage von Landwirten gegen einen großen Chemie-Konzern, die die Kanzlei aus der Welt schaffen soll. Die Landwirte behaupten, ein Pflanzenschutzmittel der Firma hätte sie schwer krank gemacht. Gerade stand noch ein außergerichtlicher Vergleich im Raum, da dreht Arthur Edens, eben der Prozessbevollmächtigte der Kanzlei, völlig durch. Er hatte einen Nervenzusammenbruch, schrie wirres Zeug von "Giften", zog sich im Gerichtssaal nackt aus und wurde schließlich von der Polizei festgenommen.

Höchste Zeit also, dass Michael hier "eingeschaltet" wird. Schließlich steht die Existenz der Kanzlei wie auch sein sorgenfreier Lebensabend auf dem Spiel. Doch als sich Michael näher mit den tatsächlichen Geschehnissen befasst, gerät er mehr und mehr in Gewissensnöte. Und das liegt auch an der toughen Chefin der Rechtsabteilung des beklagten Konzerns, an der "sanft"-auftretenden, dabei äußerst skrupellosen Karen Crowder (Tilda Swinton). Denn die spielt ein ganz eigenes und - nicht nur für Michael Clayton - zunehmend auch ziemlich gefährliches, bedrohliches "Erfolgs-orientiertes" Spiel. Ein Klassekrimi, ein exzellenter Thriller, ein Hochkaräter von intelligentem wie "aktuellem" Spannungsfilm. Also: Mit ganz ausgeklügeltem, fein ausgedachten, entwickelten und erzähltem "Heuschrecken"-Moral-Geschmack. Das Geld, die Gier, die Macht, darum geht es. Gesellschaftliche Leistungsträger, Entscheidungsträger "sortieren" sich ihre ganz eigene Welt mit ebenso eigenen Gesetzen, Regeln, Moralvorstellungen: Wenn Du da mitmachst, ist ein Money reiches, bequemes, ziemlich sorgenfreies Luxus-Dasein möglich, falls aber nicht und Du stellst möglicherweise Fragen oder Recherchen an oder stellst überhaupt diese Parallelwelt infrage, gibt es diverse Unbequemlichkeiten wie dann auch mörderische Probleme.

Wie also entscheiden? Wer hätte das gedacht, dass sich ein im Grunde ganz konventioneller Anwaltsthriller so prächtig zu einem intelligenten, packenden, aufregenden Gesellschaftskrimi entwickelt? In dem sich plötzlich ein Einzelner seiner Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit, aber auch sich selbst stellen muss? Indem ein Elite-Netzwerk in einer "modernen Demokratie" geschildert wird, das wie eine miese Krake die abhängige Menschheit umgarnt, um weiterhin unbehelligt wie äußerst ertragreich auftreten zu können.

Während Kameramann Robert Elswit und Szenenbildner Kevin Thompson die passenden kühl-undurchsichtigen atmosphärischen Bilder und Motive liefern, sind ihre darin verfangenen Akteure von phantastischer Ausstrahlung: Der 46-jährige George Clooney unterstreicht einmal mehr, dass er nicht nur als Danny-Ocean-Sonnyboy prima ´rüberkommt ("Ocean´s 11, 12, 13"), sondern auch als gebrochene Charakterfigur zu glänzen weiß. Der "Oscar"-Preisträger (Nebendarsteller "Syriana") besitzt tollen Charisma-Charme und ist von außerordentlicher Präsenz, sozusagen: ein heutiges Cary-Grant-Star-Monument ("Der unsichtbare Dritte"). Ebenso überzeugend sind hier seine Ensemble-Mitstreiter: Die listig-unterkühlte Tilda Swinton, die jahrelang wunderbar-sensible Leinwand-"Kunst" atmete und ausstrahlte ("Caravaggio", "Orlando", "Wittgenstein"), fasziniert hier als cool-durchtriebene Industrie-Karrierefrau und bekam für ihren prächtigen Part soeben völlig zu Recht den "Oscar" als "Beste Nebendarstellerin". Während der ebenfalls für einen Nebendarsteller-"Oscar" nominierte britische Mime Tom Wilkinson ("Ganz oder gar nicht", "Shakespeare In Love") als durchgeknallter Michael-Clayton-Kollege eine "Tour de force"-Glanznummer vom "bekehrten Moralisten" abliefert.

"Michael Clayton" ist in seiner süffisant-aktuellen gesellschaftskritischen Politik in der Tat, wie die "Süddeutsche Zeitung" am 1. September letzten Jahres bemerkte, ein legitimer Erbe des legendären US-Politfilm-Klassikers "Die drei Tage des Condors" von Sydney Pollack aus dem Jahr 1974, mit einem George Clooney als beeindruckendem Robert-Redford-Charisma-Nachfolger, ist einer der besten Hollywoodfilme seit langem und ein ganz großartiger Unterhaltungsfilm!