BND-Informationen über Türkei

"Klarer Affront in Richtung Erdogan"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt im Rahmen des UN-Nothilfegipfels am 23.05.2016 in Istanbul bei einem bilateralen Gespräch neben dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei droht neuer Ärger. © dpa
Falk Steiner im Gespräch mit Axel Rahlow und Vladimir Balzer · 16.08.2016
Die Bundesregierung betrachtet die Türkei und ihren Präsidenten Erdogan nach einem Bericht der ARD als aktive Unterstützer bewaffneter Islamisten. Korrespondent Falk Steiner prophezeit neuen Streit zwischen Deutschland und der Türkei - auch über das Flüchtlingsabkommen.
Es gibt diese Meldungen, die reißen den Berliner Politikbetrieb aus seinem sommerlichen Halbschlaf. Eine kam heute von der ARD: Die Türkei unter dem früheren Minister- und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan habe sich – so die Auffassung der Bundesregierung – seit 2011 zur "zentralen Aktionsplattform" für Islamisten und terroristische Organisationen entwickelt.
Ihre Unterstützung von Hamas, bewaffneten Islamistengruppen in Syrien und der ägyptischen Muslimbruderschaft würde die ideologische Ausrichtung der AK-Partei und des Präsidenten Erdogan unterstreichen.
Für die als vertrauliche Verschlusssache eingestufte Antwort auf eine Anfrage der Linken im Bundestag soll vor allem der Bundesnachrichtendienst die Analysen beigesteuert haben – und der untersteht dem Bundeskanzleramt. Es muss also in diese Einschätzung einbezogen worden sein. Und das gibt den Vorwürfen, die im Kern eigentlich nicht neu sind, eine ganz besondere Note.
Denn der Zeitpunkt könnte schlechter kaum sein. Nachdem Erdoğan den Aushandler der Flüchtlingsvereinbarung Ahmed Davutoğlu schasste, nach dem Putschversuch mit den verhaltenen Solidaritätsadressen aus Berlin, nach den Annäherungsversuchen Erdoğans an Russland und den deutlichen Forderungen zur Visaliberalisierung aus Ankara wird diese offizielle Einschätzung ein merkliches Echo aus der Türkei erzeugen, auch wenn sie nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt war.

Streit auch zwischen den Ministerien

Hauptstadt-Korrespondent Falk Steiner vermutete im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur, dass die Veröffentlichung der geheimen Informationen zwischen dem Innen- und Außenministerium sowie dem Bundeskanzleramt einen Streit über die Verantwortung entfachen wird:
"Denn die Auswirkungen davon sind ja nicht zu unterschätzen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass eben die Türkei als schwieriger deutscher Partner eigentlich momentan sehr vorsichtig behandelt wird durch die Bundesregierung."
Die Einschätzungen seinen ein klarer Affront in Richtung Erdogan. Die bisherigen Vereinbarungen zur Flüchtlingskrise stünden nun womöglich auf der Kippe. "Aus der Türkei wird man darauf Reaktionen bekommen", sagte Steiner, "sicherlich auch sehr deutliche".
Doch vielleicht helfe es zur Einordnung auch, einen Blick auf die letzte derartige interne Einschätzung zu werfen: Im Dezember 2015 war ein Bericht des BND zu Saudi-Arabien an die Öffentlichkeit gelangt. Der las sich weitaus verheerender als jenes, was nun über die Türkei und die AK-Partei berichtet wird. Offensichtliche, dauerhafte Konsequenzen für das deutsch-saudische Verhältnis, über ein paar Wochen demonstrativer diplomatischer Verstimmung hinaus, konnten jedoch nicht berichtet werden.
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