Blutige Konsequenz

16.02.2012
"Die Rachegöttin" erinnert an "pulp fiction", an "Schundliteratur": roh, gewalttätig, grell und bunt. Eine Ex-Hure und ein Kampfsportler fliehen vor ihren brutalen Feinden, Sex, Folter und Melancholie sind an der Tagesordnung.
Das Gros der zeitgenössischen Kriminalliteratur ist sehr gepflegt geworden, literarisch wohlerzogen, risikoarm, mit windschlüpfriger Prosa und kultivierten Gräueltaten, auf breiten Konsens getrimmt.

In diesem Kontext sticht Christa Faust heraus: Nicht nur weil sie selbst im Sex-Business gearbeitet hat und somit über einen gewissen Erfahrungshorizont verfügt; nicht nur weil die Heldin von "Die Rachegöttin" ein Ex-Porno-Star namens Angel Dare ist, sondern weil Fausts Romane ganz ursprüngliche, gar altmodische "Pulp-Fiction" sind. Also Kriminalliteratur unzensiert: Roh, gewalttätig, mit exzentrischer Moral, schnell, schlank, grell und bunt.

Die Story ist einfach, aber funktioniert effektiv: Angel Dare hatte einen Mädchenhändler-Ring auffliegen lassen, war im Zeugenschutzprogramm nicht sicher und ist auf der Flucht, von einer gefälschten Existenz in die andere. Als sie als Kellnerin in einem Diner jobbt, trifft sie zufällig einen alten Kollegen und dessen Sohn. Auch hinter diesen beiden sind Leute der unangenehmen Sorte her und als der Vater umgebracht wird, fliehen Angel und der Junior, der an einem Kampfsport-Turnier in Las Vegas teilnehmen will. Ein klassischer "Auf-der-Flucht"-Roman also, denn natürlich führt die Flucht vor der einen Bande in die Arme der anderen, nämlich der Verbrecher, die hinter Angel her sind. Die Angelegenheit wird sehr blutig.

Der Mehrwert eines solchen Konzepts "Pulp Fiction" liegt natürlich nicht in der geradlinigen Story, sondern in den Schlaglichtern auf eine Menge von Parallelgesellschaften und Milieus, die es nicht nur in den USA gibt: Porno-Business und Kampfsport rücken hier nicht nur personell zusammen, sondern haben das Primat des Physischen gemeinsam. Funktionalisierte und deswegen perfekt funktionierende Körper wie die von Angel und des später im Roman auftauchenden Kampfsportveteranen Hank "The Hammer" Hammond sind so perfekt getrimmt, dass sie alles können. Mit ihren Körpern kommunizieren die Figuren des Romans - mit Sex, mit Gewalt, mit Folter. Tristesse und Melancholie sind jedoch genauso vorhanden, wie die stille, wenn auch möglicherweise nur pragmatische, Solidarität der Außenseiter.

Die Moll-Töne, die hier nicht dem üblichen "noir" geschuldet sind, kommen aus der Unmöglichkeit, mit den hochgezüchteten und sehr flexiblen Körpern Dinge zu tun, die mit wirklicher Intimität, Verletzlichkeit, Nähe und Wärme zu tun haben. Angel Dare und The Hammer wären das ideale Paar, wenn da nicht ihre Physis wäre, die mit Emotionalität nicht klar kommt. The Hammer greint hysterisch als seine Impotenz zutage kommt, Angel Dare wird wider Willen zum Gefrierschrank - und diese Schattierung und die Trauer über solche Konsequenzen des (physischen) Machbarkeits-Wahns sind das eigentlich Thema des Romans.
Und das ist allemal spannender und faszinierender zu lesen als viele voll ausgebaute Romane mit Krimi-Touch, weil Christa Fausts Pulp-Fiction nicht räsoniert oder erklärt, sondern alles, was an Sinn und Bedeutung vorhanden ist, in Action und Bewegung auflöst. "Let´s get physical" hatte Olivia Newton-John einst gesungen - Christa Faust liefert die blutige Konsequenz.

Besprochen von Thomas Wörtche

Christa Faust: "Die Rachegöttin"
Aus dem Englischen von Gerold Hens
Rotbuch Verlag, Berlin 2012
221 Seiten, 14,95 Euro
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