Blumen und Bänke

Junge Tel Aviver hübschen ihren Busbahnhof auf

Blick auf das moderne Stadtzentrum von Tel Aviv aus Richtung der Strandpromenande in Tel Aviv Jaffa, Israel
Blick auf das moderne Stadtzentrum von Tel Aviv © dpa / picture alliance / Andreas Keuchel
Von Lissy Kaufmann · 22.07.2016
Der Busbahnhof von Tel Aviv drohte zu verrotten - bis junge Israelis sich vornahmen, ihren Busbahnhof cool und hip zu machen. Das Kollektiv "Onya" pflanzt Blumen, bastelt Wartebänke, Künstler mieten sich die leeren Flächen als Ateliers.
Am Eingang zu Etage drei des Tel Aviver Busbahnhofs steht Robert Ungar mit einem Wasserschlauch in der Hand und gießt. Oben schleppen sich Busse und Autos durch den zäh fließenden Verkehr. Hier unten rinnt das Blumenwasser den schrägen Eingangsweg hinunter bis zum verschlossenen Gittertor und versickert dort im Abwasserschacht.
Jahrelang war dieser Eingang ungenutzt. Nun haben Robert und ein duzend weiterer junger Israelis hier einen kleinen Garten angelegt. Sie haben Erdbeeren, Palmen und Feigenbäumchen gepflanzt. Onya heißt das Projekt, das mehr Leben in und um den Bahnhof bringen soll.
Rober Ungar: "Das hier war eine Müllgrube, hier sind Obdachlose und Drogenabhängige abgehangen, es wurden Feuer gemacht, es war voller Ratten und roch fürchterlich. Und das mitten an einer Kreuzung der belebtesten Straße der Nachbarschaft. Wenn du also hierher kamst, hattest du anstatt eines schönen Platzes mit Garten eine vier Meter tiefe Grube voller Müll."
Robert Ungar und seine Mitstreiter haben Hocker und Tische aus Holz gebaut. Sie laden die Nachbarn ein und organisieren Konzerte. Es sind kleine Schritte in einem Problemviertel. Robert hat sich als Architekturstudent mit dem Bahnhof und seiner Umgebung befasst. Er weiß, dass das hier seit jeher das Viertel der Armen, der Arbeitsmigranten, und heute auch der Flüchtlinge ist:
Ungar: "Vor fünf, sechs Jahren kam eine Welle von Einwanderern aus dem Sudan und aus Eritrea. Und sie kamen hier in dieses Viertel. Die Nachbarschaft war wie ein Flüchtlingscamp, bis Vermieter anfingen, 20 Betten in eine Wohnung zu stellen und die sie an eine verrückt hohe Zahl von Leuten zu vermieten. Offiziell leben hier 5000 Menschen, tatsächlich aber sind es um die 60.000, viele sind nur nicht registriert. Man kann sich vorstellen, welche Infrastruktur hier herrscht, welche Mengen an Müll produziert werden. Und in Kindergärten mit Platz für zehn Kinder sind heute 100. Natürlich werden ein paar Pflanzen das Problem nicht lösen. Aber wenn wir hier ein paar Treffpunkte für die Menschen schaffen, ein bisschen Optimismus verbreiten, dann können wir schon etwas bewirken."

Die Hälfte der Läden steht leer

Yoav Shafranek ist einer der freiwilligen Helfer. Heute hat er ein paar junge Bohnenpflanzen mitgebracht, die er umtopft und gießt. Ein Passant bleibt stehen und plaudert mit ihm. Yoav studiert Gartentherapie und weiß, dass die Arbeit hier draußen die Menschen zusammenbringt.
Yoav Shafranek: "Wenn wir die Tore öffnen, kommen pausenlos Leute vorbei, viele sind auf dem Weg zu den Bussen, andere wohnen in der Nachbarschaft. Sie kommen rein und fragen, ob das hier eine Gärtnerei ist und wir Pflanzen verkaufen. Wir sagen dann nein, aber wir geben gerne welche ab. Der Mann, der eben vorbeikam, etwa 70 Jahre alt, er sagte: 'Ah, du pflanzt Bohnen, ich hab die auch zu Hause, sind sehr gut, vergiss nicht, ihnen viel Wasser zu geben.' Also die typischen israelischen Ratschläge."
Auch im Busbahnhof haben sie Blumen gepflanzt. The White Elefant, den weißen Elefanten, nennen die Tel Aviver den Betonklotz. Im Englischen ist das eine Redewendung für etwas, was mehr Ärger macht, als dass es nutzt. Lange Zeit war er der größte der Welt – in einer Stadt, die nur knapp über 400 000 Einwohner hat. Erst später trat Neu-Delhi Tel Aviv den Rang ab. Der größenwahnsinnige Architekt Ram Karmi plante den Koloss in den 60er-Jahren. Die Gänge und Stockwerke sind so verschachtelt, dass sich hier selbst Einheimische verlaufen. Und: Die Hälfte der 1200 Läden stehen heute leer. Der Bahnhofsmanager Miki Ziv erklärt, warum:
Miki Ziv: "Der Architekt hat den Bahnhof viel zu groß geplant. Er war überzeugt, dass es hier mehr Fahrgäste und mehr Geschäfte geben würde. Aber er lag falsch. Manche Läden waren anfangs geöffnet, schlossen später aber wieder. Doch die Mehrheit der leer stehenden Ladenflächen wurde einfach niemals genutzt."

Künstler präsentieren ihre Arbeiten

Der Bahnhof mit seinen 220.000 Quadratmetern wird nun zum Zuhause von Tel Aviver Künstlern. Auf Etage fünf hat sich Gidi Gilam sein Studio eingerichtet. Über ihm wackelt im Minutentakt die Decke. Es quietscht, brummt und ruckelt, wenn oben ein Bus vorbeifährt. Nicht nur die günstigen Mieten haben Gidi angezogen, sondern auch die Menschen hier.
Gidi Gilam: "Jeden Dienstag kommen ein paar Artisten, üben Zaubertricks, jonglieren im vierten Stock. Und neben dem russischen Buchladen ist ein Shop für Hip-Hop-Klamotten, die organisieren Freestyle Rap, Breakdancing und solche Sachen. Es ist hier immer was los. Und abends studieren die Kinder von philippinischen Einwanderern Tänze ein. Es ist ein Mikrokosmos, eine Stadt in der Stadt. Ich mag das. Es wirkt sich auf meine Kunst aus, denn ich befasse mich darin hauptsächlich mit dem Thema Identität."
Gidi malt vor allem abstrakte Porträts. Eines seiner Werke schmückt eine Wand in Etage sieben. Einige Künstler präsentieren dort ihre Arbeit einem Massenpublikum: Rund 70.000 Fahrgäste kommen täglich vorbei. Und so hauchen nach und nach die Kunst und die Pflanzen dem tristen Elefanten ein bisschen Leben ein.
Mehr zum Thema