Blue Economy

Der Traum von Wachstum ohne Umweltbelastung

Gunter Pauli, Gründer der so genannten Blue Economy
Gunter Pauli ist Gründer der sogenannten Blue Economy. © picture alliance / dpa / Foto: David Chang
Von Leonie March · 03.03.2015
Papier aus Steinstaub, Speisepilze aus Pflanzenabfällen: Eine Welt, in der es keinen Müll und keine Armut mehr gibt, klingt utopisch. Der Belgier Gunter Pauli hat mit der Gründung der sogenannten Blue Economy einen wichtigen Anfang gemacht.
Agnes Chakwanira kann es kaum erwarten, den Besuchern ihren – wie sie es ausdrückt - größten Schatz zu zeigen. Er verbirgt sich in einem unscheinbaren Häuschen, drei mal drei Meter mit Wellblechdach. Drinnen ist es dunkel und feucht. Ein ideales Klima für Austern- und Shiitakepilze. Sie wachsen aus Säcken, die Agnes auf einem Regal aufgereiht hat:
"Zunächst waren ich und meine Nachbarn überrascht, dass man Pilze überhaupt züchten kann. Traditionell sammeln wir sie im Wald. Aber dann kam Chido und erklärte uns wie es geht."
Durch Zufall beim Workshop
Chido Govera lächelt bescheiden. Durch einen glücklichen Zufall lernte sie als junges Mädchen bei einem Workshop, wie man Pilze nach den Prinzipien der Blue Economy anbaut. Dieses Wissen gibt sie heute gerne weiter. Überall in ihrer Heimat Simbabwe schießen Projekte buchstäblich wie Pilze aus dem Boden.
"Die Theorie der Blue Economy ist ziemlich einfach: Es geht darum einen Wert aus dem zu schöpfen, was man in seiner Umgebung zur Verfügung hat. Und darum, die Grundbedürfnisse aller zu stillen. Genau das tun wir hier. Zwei Wochen Ausbildung reichen, damit Frauen wie Agnes in ihren Dörfern eine eigene Pilzzucht aufbauen und damit Geld verdienen können. Sie verwandeln pflanzliche Rohmaterialien, die normalerweise als Abfall gelten, in Nahrungsmittel."
Die beiden Frauen treten nach draußen in die weite Landschaft. Vor dem kleinen Haus der Familie dösen zwei Kühe in ihrem Pferch, im kleinen Gemüsegarten wachsen unter anderem Mais und Bananen. Früher waren die abgeernteten Stauden Abfall, erzählt Agnes Chakwanira, der größte Teil wurde verbrannt. Doch damit ist jetzt Schluss:
"Wir sammeln die Stiele und Blätter ein, kochen sie und mischen sie mit Kuhdung. Das ist das Substrat, in dem die Pilze wachsen. Auch die Abfälle von Baumwoll- und Kaffeeplantagen eignen sich dafür. Nach der Pilzernte können wir das Substrat weiterverwenden. Wir arbeiten es wie Kompost in die Erde ein und bauen Gemüse darauf an. So gedeiht es viel besser als früher."
Gut zweitausend Kilometer entfernt, im südafrikanischen Kapstadt, nippt Gunter Pauli, der Gründer der Blue Economy an seinem Kaffee und schwärmt davon, wie großartig Speisepilze auch auf diesem Kaffeesatz gedeihen würden:
"Wir verbrauchen ja nur 0,2 Prozent der Biomasse von Kaffee, wenn wir eine Tasse Kaffee trinken und die 99,8 Prozent werden wir immer einfach wieder zur Seite legen. Wenn wir nur mit Kaffee das 500-fache tun können, was wir heute mit Kaffee tun – stellen sie sich einmal vor, wenn wir das mit allem tun würden!"
Der Müll wird abgeschafft
Genau das ist das Ziel: Pauli will nicht weniger als eine Revolution der Wirtschaft. Lokal, nachhaltig, ohne Emissionen. Müll existiert in dem Kreislaufmodell nicht mehr. Vermeintliche Abfälle dienen als wertvolle Ausgangsstoffe für das nächste Produkt. Die Pilze sind nur eines von vielen Beispielen, die Pauli und ein Netzwerk Gleichgesinnter auf der Blue-Economy-Webseite publiziert haben. Chinesische Fabrikanten, die aus Steinstaub Papier herstellen - ohne umweltschädliche Bleichmittel oder forstwirtschaftliche Monokulturen. Brasilianische Unternehmer, die Insekten zu einem proteinhaltigen Tierfutter verarbeiten – statt aus Fisch- oder Sojamehl. Europäische Forscher, die Bio-Kunststoffe weiterentwickeln.
"Ich bin Teil eines Unternehmens, das jetzt Plastiktüten schafft aus Disteln. Und wir stellen das her, in einer alten petrochemischen Raffinerie. Das heißt wir nützen Kapital der Petrochemie nach und wir ernten am Ende des Tages Unkraut. Wir haben das jetzt geschafft in Sardinien, ein zweiter Schritt scheint ja stattzufinden in Holland. Holland hat 70 Millionen Tonnen Gülle, die einfach nirgendwohin mehr geht. Und 60 Prozent dieser Gülle sind Fasern, die werden von uns nachgenützt, um Plastikprodukte herzustellen."
Die Entwicklungsländer liegen vorne
Noch gibt es wesentlich weniger Beispiele aus europäischen und anderen Industriestaaten als aus Entwicklungsländern. Pauli macht dafür festgefahrene Strukturen und Denkmuster verantwortlich, die jegliche Kreativität und Innovation im Keim ersticken:
"Wir sind ja so fokussiert auf die Finanzanalyse. Nicht nur Gewinn, aber Cashflow und Macht auf dem Markt. Wie schaffen wir es, mehr Marktanteil zu gewinnen mit niedrigen Kosten? Der Markt, so wie wir den Markt entwickelt haben, ist ein Markt, wo wir eigentlich Mangel und Armut brauchen, um einen Preis setzen zu können. Gibt es keinen Mangel, gibt es keinen Markt. Ich glaube, die größte Herausforderung bleibt die Ignoranz, dass wir uns noch nicht bewusst sind als Homo sapiens. Und vielleicht sollten wir dann auch sagen: Wir sind Homo Non-sapiens. Wir haben es nicht gewusst, wir haben nicht gefasst, was möglich ist."
Für die arme Bevölkerungsmehrheit in Ländern wie Simbabwe sind diese neuen Möglichkeiten lebensverändernd. Agnes Chakwanira hat ihre Pilze mittlerweile geerntet, jetzt brutzeln sie in einer Pfanne auf der Feuerstelle. Im Gegensatz zu früher hat ihre Familie jetzt immer etwas zu essen und außerdem eine neue Einnahmequelle:
"Meine Nachbarn kommen fast täglich vorbei und fragen, ob sie Pilze kaufen können. Außerdem beliefere ich die Besitzerin unseres Dorfladens. Sie bringt die Pilze in ein Restaurant nach Harare. Dort sind sie ein echter Renner. Die Nachfrage ist also größer als meine kleine Produktion. Deshalb denke ich schon darüber nach, wie ich mein Geschäft bald erweitern kann."
Verblüffend einfache Umsetzung
Fünf US-Dollar bekommt Agnes pro Kilo. Und das in einer ländlichen Region Simbabwes. Ihre Ausgaben sind minimal – Säcke für das Substrat und Pilzbrut, die sie jedoch demnächst selbst züchten will. Auch eine nachhaltige Geschäftsidee müsse sich schließlich rechnen, betont Gunter Pauli. Er ist Ökonom, kein Entwicklungshelfer. Er will Arbeitsplätze schaffen, keine neuen Abhängigkeiten. Viele der Ideen sind verblüffend einfach umzusetzen, ohne viel Knowhow, ohne große Investitionen. Klingt zu schön um wahr zu sein. Ist es aber nicht:
"Ich glaube der Vorteil der Blue Economy ist, dass wir immer wieder die Wissenschaft eingeschaltet haben, um uns zu sagen ist das jetzt Phantasie oder Realität. Und wenn man sagt: Professor Pauli, es scheint ein Traum zu sein. Dann kann ich heutzutage sagen: Bitte kommen Sie mit mir mit, gehen wir zusammen da hin. Gucken es uns mal an."
Mehr zum Thema