Blogger: Blackberrys beherrschen keine Verschlüsselung

Linus Neumann im Gespräch mit Frank Meier · 10.08.2011
Laut Linus Neumann wird die Rolle von Blackberrys bei den Krawallen in Großbritannien übertrieben. Das Smartphone verfüge über keine ernstzunehmende Verschlüsselung. Außerdem handele es sich bei dem Dienst um einen Kurznachrichtendienst. Öffentliche Aufrufe zur Gewalt seien damit gar nicht möglich.
Frank Meier: Großbritannien kommt nicht zur Ruhe, Sie haben es in unseren Nachrichten gerade gehört, die Krawalle dort haben letzte Nacht auf eine ganze Reihe von Städten übergegriffen. Inzwischen gibt es Forderungen von britischen Politikern, einzelne digitale Medien abzuschalten, damit über sie nicht neue Krawalle verabredet werden können. Ein kurzer Überblick über die sozialen Medien und ihre Rolle bei den Ereignissen in Großbritannien von unserem Korrespondenten Jochen Spengler.

Unser Korrespondent Jochen Spengler, und wir haben jetzt Linus Neumann am Telefon, das ist einer der Autoren des Blogs netzpolitik.org, seien Sie willkommen, Herr Neumann!

Linus Neumann: Guten Tag!

Meier: Also die Blackberry-Dienste sollen eine besondere Rolle gespielt haben bei dem Aufruhr in Großbritannien, und Blackberry soll dort benutzt werden vor allem, weil die Nachrichten dort verschlüsselt sind. Können Sie uns sagen, wie sicher denn diese Blackberry-Verschlüsselung tatsächlich ist?

Neumann: Die Verschlüsselung von Blackberrys für Privatanwender ist nicht sicher. Es gibt von Blackberry, also von dem Anbieter "Research In Motion" die Möglichkeit für Firmen, eigene Server aufzusetzen, die dann wiederum eine verschlüsselte Kommunikation, auf die auch Blackberry selber keine Zugriffe mehr hat, zu ermöglichen.

Meier: Aber die britischen Jugendlichen waren jetzt sicher keine Firmenkunden.

Neumann: Genau, und für den Privatanwender ist es so, dass die Verschlüsselung dieser Nachrichten, die mit dem Blackberry-Messengersystem verschickt werden, im Prinzip keine ist, weil Blackberry den Hauptschlüssel hat, der Schlüssel bei allen Blackberrys gleich ist und man da eigentlich nicht mehr von einer Verschlüsselung sprechen kann, sondern vielleicht von einer rudimentären Chiffrierung.

Meier: Das heißt, wenn die britischen Behörden zum Beispiel jetzt einen juristischen Weg finden, Blackberry aufzufordern, diesen Schlüssel herauszurücken, dann könnte man damit diese komplette Verschlüsselung aller Nachrichten aufheben?

Neumann: Ja, also das ist für Blackberry gar kein Problem. Der Fall ist hier ja sogar noch andersherum, und zwar haben die britischen Behörden ja überhaupt nicht Blackberry kontaktiert bisher, sondern Blackberry hat freiwillig gesagt, hier, wir kooperieren, und haben sogar selber dort angerufen. Der Hintergrund ist, dass offensichtlich einige britische Journalisten sich gewundert haben, warum denn so wenig auf Twitter zu lesen ist, was eigentlich ja bei solchen Demonstrationen und Krawallen eine ganz erträgliche Nachrichtenquelle ist. Und dann wurde eben dieser Artikel in die Welt gesetzt, wo also gesagt wurde, ja, da haben sie ein Subnetz, das ist verschlüsselt, und die Nachrichten sind so billig und die Krawallmacher nutzen diese Blackberrys – schon mal eine ziemlich übertriebene Meldung. Und jetzt sieht natürlich, sah diese Firma Blackberry oder "Research In Motion" sich in einer relativ ungünstigen Position, quasi diese Produkte herzustellen, mit denen da eben Wohnhäuseranzündungen angeblich koordiniert würden, und daraufhin reagierte man dann mit dieser offensiven Kooperation.

Meier: Wie schätzen Sie das denn ein? Glauben Sie, dass Research In Motion, also der Blackberry-Betreiber, bereit wäre, seine Nutzerdaten an die britischen Behörden auszuliefern?

Neumann: Also da sie es in mehreren Pressemitteilungen so betont haben, dass sie bereits Kontakt hergestellt haben, bin ich mir da relativ sicher, dass sie das auch machen werden. Sie machen das ja auch in anderen Ländern, also es gab ... Research In Motion hatte Ärger in zum Beispiel den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Indien. Irgendwann kam dann immer so relativ ein paar Monate später, wenn da irgendwie das Thema nicht mehr so heiß war, die Meldung, dass sie dann doch irgendwie eingeknickt sind und irgendwie mit denen doch kooperiert haben. Insofern wäre es auch nicht das erste Mal, dass Blackberry mit einem Staat kooperiert.

Meier: Es gibt ja inzwischen auch die Forderung von britischen Politikern, die Blackberry-Dienste zeitweise zumindest abzuschalten, damit dort nicht neue Krawalle verabredet werden können. Was halten Sie von solchen Forderungen?

Neumann: Ja, also das ist natürlich der übliche Stuss. Ich halte die Rolle von Blackberrys bei diesen Krawallen für absolut übertrieben. Menschen kommunizieren, und sie werden sich auch nicht über diese Blackberrys dazu verabredet haben, zu sagen, 19 Uhr zünden wir den und den Gemüseladen von unserem Nachbarn an.

Meier: Andererseits, wenn über welche Kommunikationswege auch immer zu Straftaten aufgefordert wird – und Plünderungen sind ja nun mal eindeutig Straftaten –, dann muss der Staat doch auch eine Möglichkeit haben, dagegen einzuschreiten.

Neumann: Im Moment ist es ja erst mal noch eine zu beweisende Behauptung, dass über diese Dienste zu Plünderungen aufgerufen worden wäre. Zweitens ist das ein Kurznachrichtendienst, der also klare Adressaten hat. Es ist ja kein öffentlicher Aufruf in dem Sinne. Der Zugriff des Staates auf Kommunikation ist natürlich immer so ein heikles Thema. Die Frage ist einfach nur, welches Gut wir da höher schätzen. Dass Menschen plündern oder brandschatzen oder sonstige Verbrechen gehen, werden wir nicht durch Überwachung verhindern können, und die Kommunikationsfreiheit und das Briefgeheimnis und derartige Rechte halte ich für sehr hohe Güter, und deswegen halte ich derartige Vorschläge für nicht vertretbar.

Meier: Wenn wir mal andersherum schauen: Es gibt auch Meldungen, dass die britischen Ermittler nun die Möglichkeiten des Netzes wiederum auf ihre Weise nutzen wollen, also dass sie Fotos mutmaßlicher Randalierer zum Beispiel mit Facebookfotos abgleichen wollen, um auf diesem Wege Verdächtige aufzuspüren. Was sagen Sie zu einer solchen Umnutzung des Netzes?

Neumann: Ja, davor wurde ja immer gewarnt, als Facebook die Gesichtserkennung eingeführt hat. Dieser Möglichkeit sollten sich die Menschen bewusst sein. Kann ich keinen Einwand gegen sehen, ich finde es einfach in diesem Moment noch ganz interessant, dass die Behörden tatsächlich den Dienst von Facebook in Anspruch nehmen müssen. Also da haben wir eine Entwicklung, dass also ein Konzern da Techniken entwickelt hat, die eben auch für die Überwachung oder für die Strafverfolgung sehr geeignet sind, also die Gesichtserkennung. Dass der Staat das offensichtlich nicht hat oder nicht in diesem Ausmaß hat, kann man ja durchaus einmal als positiv erachten, andererseits als negativ, ich denke, gerade in London mit diesen CCTV-Kameras ...

Meier: Das sind die öffentlichen Überwachungskameras für den öffentlichen Raum.

Neumann: Genau, die dort eigentlich, ich weiß nicht wie viel Prozent - aber im Prinzip die gesamte Stadt fast überwachen, da kann man ja ganz froh sein, dass da offensichtlich noch keine Gesichtserkennung dran ist.

Meier: Wir haben bei Facebook ja insbesondere nun das Phänomen, gerade wenn man an diese Überwachungsmöglichkeiten denkt, dass sich da Millionen von Menschen praktisch freiwillig staatlicher Überwachung ausliefern, indem sie eben ihre Fotos hergeben.

Neumann: Ja, das ist der Punkt. Das ist ein interessantes Phänomen, dass die Menschen sich einerseits um solche Sachen Sorgen machen, andererseits eben diesem Konzern Daten und Hilfe liefern.

Meier: Wenn wir noch mal von einer größeren Perspektive jetzt auf diese Vorgänge in Großbritannien schauen, also gerade die Frage soziale Dienste, wie werden sie genutzt, wie werden sie vom Staat vielleicht beobachtet oder eingeschränkt: Wir hatten ja gerade vor wenigen Monaten die Vorgänge in den nordafrikanischen Ländern, wo ja auch viele Rebellionen organisiert wurden eben über soziale Dienste. Man sprach ja auch von der Facebook-Rebellion in Ägypten zum Beispiel. Damals wurde das bei uns gefeiert und wurde auch die Rolle der neuen sozialen Medien dabei gefeiert als Erweiterung demokratischer Möglichkeiten, und jetzt sehen wir auf einmal in Großbritannien, dass die sozialen Dienste zu Buhmännern werden. Also da ist die Anschauung der neuen Medien als quasi Erweiterungsmöglichkeiten unserer Demokratie ziemlich schnell wieder zurückgefahren worden.

Neumann: Das ist sehr eindeutig so, und auch die Überwachungsmaßnahmen, die jetzt da ergriffen werden, die wurden natürlich sehr gescholten, wenn das irgendwie in Ägypten oder Tunesien der Fall war. Gleichzeitig wurde damals in Ägypten und Tunesien, ohne die politischen Situation jetzt vergleichen zu wollen, wurde natürlich innerhalb der Länder dann genau so wieder gegen diese sozialen Netzwerke argumentiert, die dann in unseren Medien so gefeiert wurden. Also jetzt lernen zumindest die britischen Medien oder die britische Öffentlichkeit die Kehrseite kennen, und man sieht dadurch ja eigentlich nur, dass eben so ein Kommunikationsmedium inhaltsneutral ist. Es ist wirklich eine große Gefahr, das einer moralischen Bewertung zu unterziehen. Und die Menschen haben auch vor Tausenden von Jahren sich schlecht benommen, wenn sie unzufrieden waren, und da hatten sie keine Blackberrys. Es ist sehr interessant, das jetzt zu beobachten, und natürlich immer im Kopf zu behalten, dass diese Techniken einerseits das perfekte Medium für Freiheit und Kommunikation sein können, andererseits auch das perfekte Medium für Überwachung. Es sind Computer, die sind dazu gebaut worden, Dinge zu speichern. Da müssen wir also sehen, wie das in Zukunft sein wird.

Meier: Welche Rolle spielen soziale Medien bei den Krawallen in Großbritannien und anderswo? Darüber haben wir gesprochen mit Linus Neumann, Autor beim Blog netzpolitik.org. Herr Neumann, herzlichen Dank!

Neumann: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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