BKA und Verfassungschutz

Dschihad-Magazin mit Wurzeln in Bayern

Das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden
Das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden hat das Magazin ebenfalls im Blick. © dpa / picture alliance / Fredrik von Erichsen
Von Joseph Röhmel · 09.12.2016
Dschihadisten in Syrien geben seit einem Jahr ein deutschsprachiges Magazin heraus. Das Magazin gibt Tipps, wie man sich am besten vor Geheimdiensten tarnen kann. Der bayerische Verfassungsschutz geht davon aus, dass der Kopf des Magazins aus Bayern stammt. Auch das BKA ist alarmiert.
Was sofort ins Auge sticht: Das gesamte Dschihad-Magazin Kybernetiq erinnert an eine Rekrutierungs-Kampagne der Bundeswehr: Abstrakter Flecktarn mit dicken eingerahmten Botschaften. Auf Anfrage schreiben die Autoren:
"Um die Aufmerksamkeit der Muslime und Nicht-Muslime zu bekommen, haben wir bewusst versucht, mit der Bundeswehr-Kampagne zu provozieren. Im Islam gibt es auch einen Wehrdienst und auf den wollen wir aufmerksam machen. Jeder kann einen Beitrag zum Wohl der muslimischen Gemeinschaft leisten, dazu muss er nicht einmal Soldat sein und an der Waffe dienen."
Im Heft formulieren sie einen Aufruf zum sogenannten Heiligen Krieg am Computer - dem Cyber-Dschihad:
"Mach etwas, was bei Allah wirklich zählt. Deine Karriereleiter Richtung Paradies. Mache dein Hobby zum Dschihad."

"Das sind ganz massive Netzwerke, die die haben"

Wie gefährlich ist dieses Magazin? Nachgefragt beim bayerischen Verfassungsschutz. Sprecher Markus Schäfert:
"Es ist ein Magazin, das Dschihadisten dabei unterstützen möchte, sich den Sicherheitsbehörden zu entziehen. Und das ist natürlich auch der problematische Aspekt daran. Dass hier solche Personen, die sich schon sehr weit radikalisiert haben, darin unterstützt werden, den Sicherheitsbehörden ihre Arbeit so schwer wie möglich zu machen."
Der Islamwissenschaftler Nico Prucha kann diese Warnung nachvollziehen. Er erforscht an der Universität Wien sowie am King’s College in London die dschihadistische Propaganda in sozialen Netzwerken:
"Die Dschihadis sind getrieben, dass sie ihre Inhalte entsprechend Online vermitteln – und das schon seit einigen Jahren. Wir erleben jetzt einfach einen enormen Sicherheitsaspekt, zu gewährleisten, dass die Inhalte nicht von außen gestört werden können. Das sind ganz massive Netzwerke, die die haben."
Die Zielgruppe sei ganz klar technisch orientiert, sagt der Islamwissenschaftler Prucha. Die Nerds unter den Salafisten - so wie der Hauptverantwortliche des Magazins. Der Verfassungsschutz will erkannt haben, wer dahinter steckt. Sprecher Markus Schäfert:
"Bei dieser Person handelt es sich um eine, die schon während ihres Aufenthaltes in Bayern, erhebliches Know-how angesammelt hat im Hinblick auf die sichere Internetkommunikation. Zudem betreibt diese Person einen Twitter-Account mit einem Pseudonym, das sich auch als Pseudonym in dem Magazin Kybernetiq wiederfindet. Zusammengenommen gehen wir fest davon aus, dass es sich dabei um eine Person handelt – ein Salafist, der aus Bayern ausgereist ist."

Früher gezielt entlassene Häftlinge angesprochen

Dieser Salafist war früher Teil einer Gruppe, die sich um Gefangene aus Bayern gekümmert und gezielt entlassene Häftlinge angesprochen hat. Zu einem seiner alten Freunde nehmen wir Kontakt auf. Er ist ebenfalls ein überzeugter Salafist, der ganz offensichtlich mit den Sicherheitsbehörden seine zynischen Späße treibt. Im geschlossenen Bereich seines Facebook-Zugangs verbreitet er Nachrichten wie diese:
"Im Kriegszustand: Allah zerschlug im Schlachtfeld die Reihen der Ungläubigen. – Hashtag BND: Selbst meine Späße werden von den Feinden Allahs ernst genommen."
Wir schreiben den Mann an, wollen mit ihm über Kybernetiq und seinen alten Weggefährten ein Interview führen. Aber ein Gespräch lehnt er ab. Wie ran kommen an solche Personen, wie ihre Propaganda unterbinden? Das fragen sich die Sicherheitsbehörden. Schon länger wird gefordert, soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter sollten härter gegen islamistische Propaganda vorgehen. So auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl:
"Die sozialen Netzwerke sagen: Wir haben mit dem Inhalt der Botschaften nichts zu tun. Wir transportieren sie nur. Es wäre zu teuer und zu personalintensiv, wenn wir jeden Inhalt kontrollieren müssten. Bei dem Stand sind wir jetzt, können da aber nicht bleiben. Wir müssen die sozialen Netzwerke, die mit dem Geschäft auch ungeheuer viel Geld verdienen mit diesem Geschäft, in die Pflicht nehmen, und zur Not muss der Staat auch sanktionieren können."

"Sie kennen sich in Verschlüsselung aus"

Langsam reagieren Facebook, Microsoft, Twitter und die Videoplattform Youtube. Mit einer gemeinsamen Datenbank wollen sie künftig gewaltverherrlichende Bilder und Videos aufspüren. Dschihadisten nutzen jede Möglichkeit. Wie der Allgäuer Erhan A., der im August in Syrien getötet wurde.
In einem Youtube-Video läuft Erhan durch eine vollkommen zerstörte Stadt, schimpft auf das Assad-Regime und auf die Ungläubigen, die sogenannten Kuffar. Er will ihnen, sagt er, die Köpfe abschneiden:
"Scheiß Kuffar, die Köpfe abschneiden. Sind wir die Terroristen oder was?"
Einblick in die deutsche Dschihadisten-Szene im Internet. Der Freiburger Politikwissenschaftler Heiner Vogel kennt sich mit dieser Szene aus. Als Verfasser des Fachblogs Erasmus Monitor hatte er Gelegenheit, sich mit den Autoren des Magazins Kybernetiq auszutauschen. Er sagt, sie wollen kein Magazin für die Massen produzieren:
"Diese Leute wurden jahrelang beobachtet – sei es vom Verfassungsschutz, dem Staatsschutz oder wem auch immer. Den Behörden ist es nie gelungen, diese Leute zu verhaften noch an ihrer Ausreise nach Syrien zu hindern. Weil sie eben internetaffin sind, sie kennen sich in Verschlüsselung aus, und deswegen macht es denen besonders Spaß mit den Behörden, dieses Katz- und Mausspiel zu spielen."

Eher Al-Kaida als IS

"Angriffe abwehren, Ermittlern das Leben erschweren, Forensikern schlaflose Nächte bereiten, Bundestrojaner aussperren."
So der Titel eines Artikels mit konkreten Handlungsanweisungen der Autoren. Die sich übrigens ganz klar von der Terrormiliz IS abgrenzen.
"Wir gehören nicht zum IS. Ganz im Gegenteil: Wir sehen sie als Übertreiber in der Religion, die das Blut der Muslime vergießen."
Auch der bayerische Verfassungsschutz geht davon aus, dass es sich hierbei nicht um IS-Anhänger handelt. Im Magazin werde das Symbol der Allianz Dschaisch Al-Fatah verwendet – einer Al-Kaida-nahen Allianz regionaler Terrororganisationen. Der Freiburger Politikwissenschaftler Heiner Vogel vom Fachblog Erasmus Monitor vermutet ebenfalls eher Al-Kaida hinter dem Magazin:
"Wenn wir Leute vom IS und Al-Kaida vergleichen, die jetzt nach Deutschland dorthin gereist sind, dann können wir schon sagen, dass wir es vor allem bei Al-Kaida … mit einem großen Teil von sehr erfahrenen und sehr klugen Menschen zu tun haben, die über Jahre hinweg in der radikalen Szene unterwegs sind. Die Leute, die Kybernetiq machen, das sind keine Leute die wie beim IS viele unerfahrene Deutsche sind, die tatsächlich nur auf Krawall auf sind."

Die Gefahren sind schwer abzuschätzen

Viele Medien haben das ganz offensichtlich nicht durchschaut. Nach Veröffentlichung der Erstausgabe wurde immer wieder berichtet, das Magazin sei von IS-Sympathisanten verfasst worden. In der zweiten Ausgabe werden die Medien in einem Vorwort für ihre schlechten Recherchen gescholten.
"Mehrere Nachrichtenagenturen kopierten die Nachrichten, ohne Quellen und Beweise zu überprüfen. Im Zeitalter der sozialen Netzwerke, die fast im Sekundentakt Nachrichten generieren, kommt die Wahrheit leider oft zu kurz."
Kybernetiq mag für eine sehr technikinteressierte Zielgruppe gedacht sein. Die Gefahren, die von diesem Magazin ausgehen, sind aber schwer abzuschätzen. Deshalb schauen die Sicherheitsbehörden ganz genau hin. Unter anderem das Bundeskriminalamt. Es geht davon aus, dass die Aufbereitung das Sicherheitsbewusstsein einzelner Nutzer in der dschihadistischen Szene steigern könnte.
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