Bislang freiwilliger ADAC-Check

Verpflichtende Fahrtauglichkeitstest für Senioren?

Ein stark beschädigtes Auto steht am 29.09.2016 nach einem Unfall vor einer Hauswand in Braunschweig, nachdem der 78-jährige Fahrer in die Schaufensterscheibe des dortigen Geschäfts gekracht war.
Ein 78-Jähriger kracht am 29.09.2016 in Braunschweig mit seinem Auto in eine Schaufensterscheibe © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von Kristina Hüttl · 07.12.2016
Nur wenige Rentner nutzen in Deutschland das Angebot für einen Fahrfitnesscheck. Vor allem nicht die, die es nötig hätten. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist er hierzulande nicht verpflichtend. Wie läuft so eine Fahrprobe ab und warum hat der ADAC kein Interesse daran?
Fahrlehrer: "Wenn sie mal eine Lücke finden, können Sie netterweise anhalten? Vielleicht hinter dem Schwarzen da?"
Der Senior fühlt sich gut am Steuer, das merkt man. Kein Zauderer, kein Kriecher, mit knapp 60 km/h ist er im 50er-Wohngebiet unterwegs. Enttäuscht bremst er seinen silbernen Mercedes runter, eine C-Klasse, mit den Initialen LH im Berliner Kennzeichen: Lutz Holzapfel.
81 Jahre ist er, zurückgekämmtes Resthaar, den Führerschein hat er seit 1956. Nun hat er sich freiwillig zum Fahrfitnesscheck des ADAC gemeldet, eine einstündige Fahrprobe mit Fahrlehrer, der sein Urteils- und Reaktionsvermögen überprüft. Gut, die Wahrheit ist auch: Frau Holzapfel gab den entscheidenden Schubs, weil ihr Gatte ihrer Meinung nach manchmal zu langsam reagiert.
Fahrlehrer: "Gucken Sie mal, Sie sind doch dem Lastwagen ausgeschert und Sie konnten von hinten aus nicht sehen, ob vor dem Lastwagen noch etwas steht – achten Sie darauf, dass sie das Eck noch kontrollieren.
Holzapfel: "Gut."
Einen Unfall hat Lutz Holzapfel aber noch nie verschuldet...
Fahrlehrer: "So ein bisschen Bleifuß haben Sie auch..."
Holzapfel: "Naja – ich sag mal, das ist kalkuliertes Risiko..."

Sicherungsblicke bereiten vielen Senioren Mühe

Seit knapp zehn Jahren führt Fahrlehrer Michael Borucü nun Seniorenchecks durch. Im Auftrag des ADAC. Der Test findet im eigenen PKW statt, ist freiwillig und kostet für Mitglieder knapp 50 Euro. Überrannt mit Anfragen wird Borucü aber nicht, in den zehn Jahren fuhr er mit etwa 300 Senioren mit: Gerade die Sicherungsblicke, weiß der Fahrlehrer, machen die Älteren ungern. Dem einen ziepts im Kreuz, manche können sich gar nicht mehr umdrehen. Die arbeiten dann lieber mit dem Seitenspiegel.
"Ja, solche Fälle. Der eine hat eine Rücken-OP, der andere hatte irgendwas mit den Beinen, konnte nicht mehr richtig laufen, sagte aber: Wenn ich sitze, dann kann ich mein Beine gut bewegen. Es gibt verschiedene Sachen."
Borücu ist ein unaufgeregter Typ, der auch betont: Die meisten Checks verliefen gut, auf 100 Senioren kämen drei, denen er gern den Führerschein entziehen würde. Etwa dem Schlaganfall-Patienten, dem die Kraft in den Beinen zum Bremsen fehlte und der an der Ampel auf die vorderen draufknallte. Der Fahrlehrer durfte ihm das Fahren nicht verbieten.
Denn in Deutschland gibt es keine verpflichtenden Fahrüberprüfungen für ältere Verkehrsteilnehmer. Und der ADAC bewirbt seine freiwilligen Checks ausdrücklich mit: "Es besteht kein Risiko für Ihren Führerschein."
"Die haben alle Angst. Die Leute, die glauben das einfach nicht. Die sagen, dass ist eine Masche, erst sagen die: nein, nein - und hinterher muss ich meinen Führerschein abgeben."
Mit Lutz Holzapfel ist Borucü sehr zufrieden, die beiden sind am Parkplatz vor der Wohnung in Berlin-Frohnau angekommen. Ein letzter Hinweis auf die Schulterblicke und die Geschwindigkeit, dann stellt er dem 81-Jährigen eine Teilnahme-Urkunde aus.

Tests in vielen Ländern ab 50 Jahren verpflichtend

Das Problem ist natürlich: Die, die eigentlich zum Fitnesscheck kommen müssten, kommen nicht. Regelmäßige Tests, wie sie in den meisten europäischen Ländern – oft sogar ab dem 50. Geburtstag – verpflichtend sind, findet der Fahrlehrer richtig. Doch die Auto-Lobby in Deutschland ist stark, und die Deutschen eine Autofahrernation.
Besuch bei der ADAC Zentrale Berlin Brandenburg, sehr modern, sehr teuer saniert. Klaus Ulrich-Hähle arbeitet seit 25 Jahren hier, zuständig für den Bereich Verkehrssicherheitskontrolle, unter den die Fahrfitnesschecks fallen. Ein gewissenhafter Typ, der den Besprechungsraum mietet, obwohl sein Büro für das Interview zu zweit locker ausreicht.
"Wir als ADAC möchten natürlich nicht, dass es verpflichtende Tests für ältere Kraftfahrer gibt, weil es keine Untersuchungen darüber gibt, dass die verpflichtenden Tests in den anderen europäischen Ländern was bewirkt haben, dass deshalb die Unfallzahlen zurückgingen."
Hähle hat sich mit Statistiken bewaffnet, etwa: Die Zahl der Verkehrstoten ist seit 1991 sogar gesunken, obwohl heute 40 Prozent mehr Kraftfahrer über 65 auf den Straßen fahren. Oder: Jungfahrer zwischen 18 bis 25 Jahren sind viermal so häufig in Unfälle verwickelt wie ältere Kraftfahrer.
Fakt ist aber auch: Wenn Autofahrer über 65 in Unfälle hineingeraten, verlaufen sie schwerwiegender und sie sind zumeist auch die Verursacher. Ab 75 Jahren tragen drei von vier sogar die Hauptschuld am Unfall.
Mehr zum Thema