Biographie über Danilo Kiš

Einer der großen jugoslawischen Schriftsteller

Universität in Belgrad
Der Schriftsteller Danilo Kiš studierte an der Universität in Belgrad Literaturwissenschaft. © imago / Foto: Sven Simon
Von Jörg Plath · 20.02.2015
Der jugoslawische Schriftsteller Danilo Kiš war vor seinem Tod 1989 ein geschätzter Autor, der vehement den Nationalismus in seiner Heimat bekämpfte. Mit "Geburtsurkunde" ist dem Historiker Mark Thompson eine beeindruckende Biographie über Kiš gelungen.
Der mitteleuropäische Schriftsteller, schreibt Danilo Kiš in einem unveröffentlichten Fragment von 1968, lebe im Ausland, schreibe in einer toten Sprache, seiner Muttersprache, und schleife in ihr "ein Klavier und ein totes Pferd hinter sich her, zusammen mit allem, was jemals auf dem Klavier gespielt wurde (,) und mit allem, was das Pferd in der Schlacht und in der Niederlage erdulden musste". Dann folgt eine jener Listen, für die Kiš zu Recht berühmt ist, weil er in ihnen den gottlosen Himmel der Totalität mit dem Sumpf des Benutzten, Schäbigen, Ausgestoßenen, Verschwundenen vermählt. Kiš verwarf das Fragment, schreibt sein Biograph Mark Thompson, "wahrscheinlich weil es zu roh und zu persönlich war".
Die Balkankriege verdrängten die Erinnerung
Kiš konnte nicht wissen, dass man sich in den Jahren nach seinem Krebstod 1989 in Paris in Pannonien und benachbarten Regionen in Jugoslawien nicht mehr mit Klavieren und toten Pferden zufrieden gab. Die Balkankriege verdrängten die Erinnerung an die Werke des Mannes, der geschätzt wurde wie Miroslav Krleža und Ivo Andrić und den Nationalismus wütend bekämpft hatte. Der in Oxford lehrende Historiker Mark Thompson will mit seiner Biographie "Geburtsurkunde" an Kiš erinnern. Es gelingt ihm auf begeisternde Weise.
"Geburtsurkunde" ist der Titel einer kurzen Lebensbeschreibung von Kiš, die in unverwechselbarer Diktion die prägenden Ereignisse nennt: die lebensrettende Taufe des vierjährigen Sohnes eines jüdischen Ungarn und einer katholischen Montenegrinerin 1939, das mit knapper Not überlebte Massaker an den Juden 1942 in Novi Sad, die Zuflucht bei der Familie des Vaters in Ungarn, die Deportation des Vaters und aller Verwandten nach Auschwitz, Danilos Jugend mit Schwester und Mutter bei deren Familie im montenegrischen Cetinje, das Leben als Student und Schriftsteller in Belgrad sowie als Lektor in Frankreich.
Ironischen und schnörkellos
Thompson nimmt diesen kühlen und ironischen, schnörkellosen und anspielungsreichen, dokumentarischen wie fiktiven Text, der den Vater von James Joyces Erzähler in "Ulysses" mit dem eigenen verknüpft, als Gerüst und fügt jedem seiner Sätze einen kapitellangen Kommentar hinzu. Dazwischen schiebt Thompson "Zwischenspiele" ein, ausführliche Darstellungen der wichtigsten Werke: der frühen Prosawerke "Die Dachkammer" (1962) und "Psalm 44" (1962), der drei Bücher über den verschwundenen Vater "Garten, Asche" (1965), "Frühe Leiden" (1965) und "Sanduhr" (1972), der Lebensläufe von Opfern Stalins in "Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch" (1976), die eine Hetzjagd auf Kiš auslösen, gegen die er sich mit "Anatomiestunde" (1978) zur Wehr setzt, und schließlich der "Enzyklopädie der Toten" (1983). Der Biograf nimmt Maß an Kiš, er arbeitet "experimentell (..), enzyklopädisch und mit einem Hauch Epigonentum".
Ein Macho mit vielen Affären
Der Mensch interessiert Thompson wenig. Dass Kiš wohl ein Macho mit vielen Affären war, zitiert er zurückhaltend; die Ehefrau und die ihr nachfolgende französische Geliebte werden allerdings gewürdigt, weil sie den Schriftsteller stützten und stärkten. Thompson konzentriert sich auf den Künstler. Er kennt auch entlegene Schriften von Kiš, hat Anmerkungen in dessen Büchern entziffert, die Forschung über ihn gelesen, mit Freunden und Zeitgenossen gesprochen und wichtige Orte besucht. Er kennt zudem die Literatur der Moderne sowie die Geschichte und Mentalität der Region, weiß also auf vielerlei Arten zu kontextualisieren – und er kann so gut schreiben, dass der "Hauch Epigonentum" bald verweht ist.

Mark Thompson: "Geburtsurkunde. Die Geschichte von Danilo Kiš"
Aus dem Englischen von Brigitte Döbert und Blanka Stipetić
Carl Hanser Verlag, München 2015
508 Seiten, 29,90 Euro