"Biographie eines Weltreichs"

Die Psychologie des römischen Imperiums

Italien: Forum Romanum in Rom
Spuren des einstigen Weltreichs: Forum Romanum in Rom © picture alliance / Daniel Kalker
Von Katharina Döbler · 22.06.2015
In seiner Biographie des römischen Weltreichs erzählt der britische Historiker Greg Woolf neben bekannten Fakten zahlreiche bislang weniger bekannte Aspekte - beispielsweise zur Ökologie, moralischen Legitimation und der öffentlichen Inszenierung von Erfolgen.
Die Geschichte des Römischen Reiches ist in unzähligen Büchern beschrieben, erklärt und interpretiert worden, unter allen denkbaren Aspekten. Der britische Althistoriker Greg Woolf hat nun alledem eine "Biographie" hinzugefügt. Im Original heißt sein Buch "An Empire's Story" - also ausdrücklich nicht "history", sondern eher: Erzählung. Der deutsche Titel, die Doppelbedeutung des Wortes "Geschichte" vermeidend, ist keine schlechte Wahl, denn Woolf berichtet zwar chronologisch – von den Gründungsmythen und den ihnen wahrscheinlich zugrunde liegenden Fakten über die Expansionskriege, die Feldherren, die Kaiser und ihre imperialen Gesten bis zur allmählichen, jahrhundertelangen Auflösung und Teilung des politische Gebildes; aber er erzählt sehr viele anderen Aspekte mit, die gewöhnlich nur partikular abgehandelt werden und die in einer Lebensbeschreibung ebenfalls eine Rolle spielen würden.
Hochinteressant beispielsweise liest sich das Kapitel über die Ökologie dieses Weltreichs, in dem Ressourcen, klimatische Bedingungen und landwirtschaftliche Möglichkeiten untersucht werden. Woolf legt dar, wie die Ausbreitung des römischen Reiches entlang ökologischer Grenzen im Gefolge neuer landwirtschaftlicher Entwicklungen stattfand. Ein anderer Abschnitt befasst sich mit der sozialen Struktur Roms, die er in der Struktur des gesamten Imperiums wiederholt sieht: Mächtigen Familien unter der Herrschaft des "pater familias", die über ein vielschichtiges Klientel-System komplexe Geflechte von Teilabhängigkeiten und Verpflichtungen schufen. Analog funktionierten die Bündnisse, die das Reich seinen besiegten Gegnern auferlegte. Komplementär zu dieser sozialen Struktur war der Import von billigen und vollständig Arbeitskräften zwingend: Rom war eine Sklavenhaltergesellschaft gigantischen Ausmaßes, die nur durch ständige Eroberungskriege mit menschlicher Beute weiter existieren konnte.
Eröffnet interessante Perspektiven in einer zugänglichen und fesselnden Weise
Ein weiterer Aspekt, der in keiner Biografie fehlen darf, ist der psychologische. Hier interessiert sich Woolf für die öffentliche Inszenierung von Erfolgen in Rom – etwa die bombastischen Triumphzüge, die siegreichen Befehlshabern zugestanden wurden und gleichzeitig identitätsstiftend der Volksbelustigung dienten. Und er nimmt die religiöse und moralische Legitimation des imperialen Status unter die Lupe.
Kaum etwas von dem, was der Autor zahlreicher einschlägiger Werke hier zusammengetragen hat, ist wirklich neu und jede seiner Aussagen stützt sich auf vorhandene Literatur. (Sein Übersetzer, der Münchner Althistoriker Wittenburg hat verdienstvollerweise noch einige deutschsprachige Titel hinzugefügt.)
Neuartig und fesselnd an diesem Buch aber ist die Art, wie die verschiedenen Aspekte dieses Mega-Themas unter einer zentralen Fragestellung zusammengeführt werden: Was war an Rom so anders als an anderen vergleichbaren Großreichen, dass dieses Imperium über tausend Jahre bestand und seine Symbole, Herrschaftsgesten und Strukturen bis heute bedeutsam sind? Nicht, dass dieses Buch darauf klare und einfache Antworten hätte. Aber es eröffnet interessante Perspektiven in einer zugänglichen und fesselnden Weise.

Greg Woolf: Rom. Die Biographie eines Weltreichs
aus dem Englischen von Andreas Wittenburg
Klett Cotta, Stuttgart 2015
495 Seiten, 29,95 Euro

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