Biografie

Zwischen Bürgerlichkeit und Bohème

Die deutsche Schauspielerin Lilli Palmer am 17.5.1974 bei einem Fototermin in ihrem Haus. Sie wurde am 24.5.1914 in Posen geboren und starb am 27.1.1986 in Los Angeles.
Die deutsche Schauspielerin Lilli Palmer (1914-86) bei einem Fototermin in ihrem Haus im Jahr 1974 © picture-alliance / dpa / Goebel
Von Matthias Dell · 21.05.2014
Zum 100. Geburtstag von Lilli Palmer hat Heike Specht "Die preußische Diva" verfasst: die erste Biografie über die einst berühmte Schauspielerin, die nach ihrem Tod 1986 ein wenig in Vergessenheit geriet.
"Preußische Disziplin ist etwas Gutes", erklärt Lilli Palmer 1979 in einem Interview mit dem Drehbuchautor Wolfgang Menge. Der daraufhin erwidert, man müsse trennen zwischen Selbstdisziplin und jenem absoluten Gehorsam, der in das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte geführt hat. "Das bin doch nur ich", bestätigt Palmer, "es gebietet mir doch keiner was zu tun."
Streng gegen sich selbst
Das Interview illustriert die zentrale These von Heike Spechts gerade erschienener Biografie der deutschen Schauspielerin aufs Beste: "Die preußische Diva" verortet Palmers Leben" im Spannungsfeld zwischen Bürgerlichkeit und Bohème" – also streng gegen sich selbst und trotzdem frei zu sein. 100 Jahre alt wäre Lilli Palmer am 24. Mai geworden, und obwohl einst ein großer Star, kann man nicht behaupten, dass die Schauspielerin noch sonderlich präsent ist. Dabei bietet Palmers Leben reichen Stoff: Geboren in Posen, wächst Lilli Peiser, wie sie mit bürgerlichen Namen hieß, in Berlin-Charlottenburg als Tochter eines jüdischen Arztes auf. Als die Nationalsozialisten die Macht übernehmen, hat die Familie Glück: Lilli geht nach dem abrupten Ende einer ersten Anstellung am Theater in Darmstadt nach Paris und landet durch Vermittlung des Produzenten Alexander Korda in London, wohin ihre Mutter und Schwestern folgen.
Schwung erhält Palmers Karriere durch die Ehe mit Rex Harrison. Das Paar lebt in Hollywood und spielt am Broadway Theater. Anfang der fünfziger Jahre hat die deutsche Schauspielerin eine Talkshow im US-Fernsehen. Dass Lilli Palmer wenig später dennoch in das Land zurückgeht, aus dem sie und ihre Familie einst fliehen mussten, deutet Specht vor allem als Folge der Scheidung von Harrison: Für Palmer, die sich ein Leben lang als "displaced person" empfand, ging mit der Trennung die Zeit zu Ende, in der die britische Community ihre Heimat war (die englische Staatsbürgerschaft behielt sie bis zu ihrem Tod 1986).
Anfang der 60er-Jahre lässt sich Lilli Palmer mit ihrem neuen Ehemann Carlos Thompson in der Schweiz nieder und tritt auch als Autorin und Malerin hervor. Wegen der überschaubaren Möglichkeiten, die der westdeutsche Film ihr bietet, nimmt sie immer wieder Rollen in Frankreich, den USA und 1974 auch bei der DEFA in Ost-Berlin an: Sie spielt die Hauptrolle in "Lotte in Weimar".
Spekulativ imaginierte Szenen
Heike Spechts Biografie ist die erste zu Lilli Palmer. Das Buch steht aber vor dem Problem, neben Zeitzeugengesprächen und Bildmaterial vor allem auf Palmers Autobiografie "Dicke Lilli – gutes Kind" von 1974 zurückgreifen zu müssen. Diese Quellenkritik kann aufschlussreich sein, wie der Vergleich der verschiedenen Versionen zeigt: Die Selbstbezeichnung "Old Refugee" ist in der deutschen Variante in "alter Akrobat" abgemildert. Die Idee aber, jedes Kapitel mit einer spekulativen "Momentaufnahme" zu eröffnen, überzeugt dagegen nicht. Specht imaginiert darin jeweils Szenen aus Palmers Leben, um Lücken im Material lebendig zu füllen - etwa wie das Mädchen zum Tischtennisspiel fand, das Lilli meisterlich beherrschte.
Den Impuls dahinter kann man immerhin verstehen: Der Jahrhundertroman, den Lilli Palmers Leben vorstellt, scheint prädestiniert für eine Verfilmung. Schon weil er nebenher eine weibliche Beziehungsgeschichte erzählen könnte, die sich die eigene Unabhängigkeit von den ewig untreuen Gatten erarbeiten musste.

Heike Specht: Lilli Palmer. Die preußische Diva
Aufbau Verlag, Berlin 2014
352 Seiten, 22,99 Euro