Biografie

Mit den Augen des Schriftstellers sehen

Von Meike Feßmann · 13.05.2014
Als Uwe Johnson 1984 starb, hatte er Freunde und Familie vergrault. "Versuch, eine Heimat zu finden" nähert sich dem Schriftsteller an, ohne aber mit Weggefährten zu sprechen, sondern indem die Autorin die Orte besucht, an denen er sein Leben verbrachte. Eine lohnende Reise.
Wer eine "Reise zu Uwe Johnson" unternimmt, muss gewappnet sein, womöglich in Gedanken schon einmal in Drachenblut gebadet haben, etwa bei der Betrachtung des Lindwurms, der als Wahrzeichen sowohl der österreichischen Stadt Klagenfurt als auch der slowenischen Hauptstadt Ljubljana figuriert. Frauke Meyer-Gosau, Redakteurin der Zeitschrift "Literaturen", kennt beide Orte. In Ljubljana hat sie eine Zeit lang gelebt, in Klagenfurt recherchiert, als sie ihre "Reise zu Ingeborg Bachmann" unternahm, die 2008 ebenfalls bei C.H. Beck erschien. Schon dieses erste Buch war gut erzählt. In den zahlreichen Gesprächen, die sie führte, war die Strahlkraft der Bachmann selbst posthum zu spüren.
Schutzpanzer gegen Trostlosigkeit
Dieses Mal hat das Erzählen eine andere Funktion. Es ist eine Art Schutzpanzer gegen Trostlosigkeit, mit dem sich die Biografin wappnet - und zugleich ein Gestaltungsmittel, das für einen Schriftsteller einnimmt, der es nie darauf anlegte, zu gefallen. Uwe Johnsons Ruppigkeit ist legendär und wuchs sich im Lauf seines Lebens zu einer Aggressivität aus, die selbst engste Freunde fürchteten.
Als der am 20. Juli 1934 in Pommern geborene Schriftsteller mit nicht einmal fünfzig Jahren in Sheerness-on-Sea an einem Herzinfarkt starb, hatte er längst alle vergrault: Seine Frau Elisabeth und die Tochter Katharina hatten das 1974 gekaufte Haus 1978 verlassen, Freunde verkehrten nur noch brieflich mit ihm. Die Fertigstellung seines Epos "Jahrestage", dessen erste drei Bände 1970, 1971 und 1973 erschienen waren, zehrte seine Kräfte auf. 1983 kam endlich der vierte Band, kurz vor seinem Tod im Februar 1984.
Freunde und Familie wollten nicht über Johnson sprechen
Keiner wollte über den großen Schriftsteller reden. Also machte die Autorin aus der Not eine Tugend. Sie fuhr an die Orte seines Lebens, nach Darsewitz, Anklam, Recknitz, Güstrow, Rostock, Leipzig, New York und Sheerness und streifte durch Berlin-Friedenau, wo er 1959 nach seiner Übersiedlung aus der DDR für fünfzehn Jahre gelandet war. So lernte sie mit den Augen eines Schriftstellers sehen, der die Landschaft Mecklenburgs als seine "Heimat" empfand (auch wenn er den Begriff nur im Zusammenhang mit New York verwendete), und sie überall "mitsah".
An der Upper Westside lebte er mit seiner Familie von Mai 1966 bis August 1968, in direkter Nachbarschaft zu Hannah Arendt, die sich mit der Verlegerin Helen Wolff um ihn kümmerte. Unablässig sammelte er Material für das eine Jahr, das seine mecklenburgische Heldin Gesine Cresspahl in den "Jahrestagen" dort mit ihrer zehnjährigen Tochter Marie verbringen sollte.
Treffend charakterisiert Frauke Meyer-Gosau seine Weltsicht als einen "Blick durch Eis", der in der "Gefrierkammer des Gedächtnisses" noch die kleinsten Dinge aufbewahrt, bis die "Katze Erinnerung" (wie Johnson das nannte) sie wieder zum Leben erweckt. Damit erschließt sie nicht nur die Person, sondern auch die Poetologie eines Werks, dessen Eigensinn überdauert. Gegen die Apostrophierung zum "Dichter der beiden Deutschland" hat er sich stets gewehrt. Er wollte kein "Markenartikel" sein, sondern gelesen werden. Das lohnt sich noch immer.

Frauke Meyer-Gosau: Versuch, eine Heimat zu finden. Eine Reise zu Uwe Johnson.
C. H. Beck Verlag, München 2014
296 Seiten, 22,95 Euro