Biografie

Im Herzen der Macht

Von Irene Binal · 07.02.2014
Einhard war einer der engsten Berater Karl des Großen. Der Historiker Steffen Patzold begibt sich auf die Spuren dieser Persönlichkeit und entlockt den alten Quellen ein erstaunlich lebendiges Porträt.
Kann man sich einem Mann, der vor mehr als tausend Jahren gelebt hat, überhaupt biografisch annähern? Die Quellen sind spärlich und oft unzuverlässig, die Lebensumstände fremd. Dennoch hat Steffen Patzold dieses Experiment gewagt und das Leben von Einhard unter die Lupe genommen, der am Hof Karls des Großen als Berater fungierte und dessen Karlsbiografie "Vita Karoli" noch heute gelesen und zitiert wird. Einhard ist kein Unbekannter: Zahlreiche Sagen und Geschichten kursieren über ihn und selbst Wilhelm Busch verewigte ihn in seiner Bildergeschichte "Eginhart und Emma". Aber nicht die Überlieferungen sind es, die Patzold interessieren, er will den wahren Einhard kennen lernen.
Aber wer war dieser "wahre Einhard"? Ein kleines, unscheinbares Männchen, ungeeignet für Kämpfe und Kriege, wegen seiner geringen Körpergröße mitunter verspottet - aber gleichzeitig ein Gelehrter, der die antiken Schriften genau kannte, ein politischer Beobachter, der sich seinen Weg durch die Wirren der Zeit bahnte. So unvoreingenommen wie möglich versucht Patzold, die Person Einhard von Mythen und Märchen zu befreien und sich dem Menschen dahinter anzunähern: dem jungen Mann aus einfachen Verhältnissen, der, obwohl kein Geistlicher, eine Ausbildung im Kloster erhielt und später sogar zum Abt aufstieg, dem eifrigen Schreiber am Hof, der unermüdlich Protokolle und Berichte verfasste, dem klugen Manager, der seine Ländereien umsichtig verwaltete, aber auch dem schlitzohrigen Geschäftsmann, der nicht davor zurückschreckte, die Gebeine zweier Heiliger in Rom stehlen zu lassen, um seine eigene Kirche in Michelstadt aufzuwerten.
Vieles kann Patzold nur vermuten
Und immer wieder greift Einhard in die hohe Politik ein, er berät Karl den Großen wie auch seinen Nachfolger Ludwig den Frommen, laviert geschickt durch die Untiefen der höfischen Gesellschaft und erweist sich als bemerkenswert wendig, wenn es darum geht, sich dem jeweiligen Machthaber gegenüber loyal zu zeigen.
Quasi nebenbei entsteht so das Bild der uns sehr fernen Zeit karolingischer Herrschafts- und Lebensverhältnisse. Patzold befasst sich mit der damaligen Schenkungspraxis an Klöster, mit den Versuchen Karls und Ludwigs, die gottgegebene Ordnung im Reich herzustellen (wobei sich beide mitunter brachialer Methoden bedienten), mit blutigen Kämpfen um die Macht oder mit dem oft höchst zweifelhaften Umgang mit Reliquien; und er tut das auf detaillierte und gleichzeitig unterhaltsame Weise, ohne seinen Protagonisten dabei aus den Augen zu verlieren - und ohne vor weißen Flecken zurückzuschrecken: Weite Strecken von Einhards Leben bleiben notgedrungen im Dunkel, vieles kann Patzold nur vermuten.
"Der Held dieses Buches ist mein Geschöpf", bekennt er, "er kommt nicht ohne die Voraussetzungen aus, die aus meiner Gegenwart erwachsen sind." Dennoch gelingt es dem Autor, eine historisch fundierte Vorstellung des Menschen Einhard zu liefern, die der Wahrheit wohl recht nahe kommt. Er würde gern mit Einhard bei einem Becher Milchkaffee einige Stunden verplaudern, meint Patzold. Und nach der Lektüre seines Buches möchte man sich dieser Runde nur allzu gern anschließen.
Steffen Patzold: Ich und Karl der Große. Das Leben des Höflings Einhard
Klett-Cotta, Stuttgart, 2013
407 Seiten, 26,95 Euro
Mehr zum Thema