Biografie

"Alles Fiktionen und schöne Konstrukte"

William Shakespeare in einer zeitgenössischen Darstellung (
William Shakespeare im Porträt © picture-alliance / dpa
Frank Günther im Gespräch mit Gabi Wuttke · 19.04.2014
"Es ist so wahnsinnig praktisch, dass wir nichts wissen von seiner inneren Biografie", sagt der preisgekrönte Shakespeare-Übersetzer Frank Günther. "Was wir wissen, ist in diesen Werken erzählt."
Gabi Wuttke: Den bedeutendsten deutschen Übersetzerpreis bekam Frank Günther vor acht Jahren "für die sprachliche Genauigkeit seiner Shakespeare-Übersetzungen, die sich auch durch ihre shakespeare'sche Lebendigkeit auszeichnen". William Shakespeare, der Meister aller Klassen, wurde – das ist im Kirchenregister von Stratford-upon-Avon verbürgt – am 26. April vor 450 Jahren getauft. Wann er geboren wurde, wissen bestenfalls die Götter. Einen schönen guten Morgen, Herr Günther!
Frank Günther: Einen schönen guten Morgen zurück!
Wuttke: Sie haben in diesem Jahr auch zwei Bücher über ihn herausgebracht. In das Vorwort Ihres Buches "Unser Shakespeare" haben Sie 35 Lobpreisungen geschrieben. Welche ist Ihnen wichtiger – "du Stoffgeber für Bücher" oder "du Weltschöpfer"?
Günther: Der Weltschöpfer, auch wenn es sehr pathetisch ist und natürlich nicht so ganz stimmt, aber es kommt der Wahrheit doch ziemlich nah. Noch lieber ist mir der "du Seelenabgrund-Ergründer", das fand ich sprachlich witziger.
Wuttke: Sprachlich witziger – und inhaltlich?
Günther: Inhaltlich auf jeden Fall zutreffend, denn Shakespeare hat wie kein zweiter Autor, wie kein zweiter Dramatiker das Innenleben seiner Figuren ausgebreitet.
Wuttke: Er hat ausgebreitet etwas, wovon wir bis heute lernen können, aber ich habe es angesprochen: Wir wissen nicht und auch Sie wissen nicht, wann Shakespeare genau geboren wurde. Aber Sie schreiben, seine bürgerliche Biografie sei heute sehr gut belegt, was Veröffentlichungen von Texten und Geld angeht. Wieso ist man ein Romantiker, wenn man mehr über ihn wissen will?
Günther: Weil man meint aus der romantischen Tradition heraus, die sich bei den Stürmern und Drängern und dann in der Romantik selbst herausgebildet hat, dass ein Autor jemand ist, der seine private Biografie auf das Papier hustet, der sein inneres Seelenleben ausbreitet in dem, was er schreibt. Das ist eine Auffassung vom Dichter, vom Künstler, also vom aufbrausenden Ich des Genies, das sich erst eben im Geniekult des Sturm und Drang ausgebreitet hat, und das vollkommen unbekannt war zur Shakespeare-Zeit.
Shakespeares Kollegen und er selber waren Handwerker. So ähnlich wie in Handwerkerschulen bei den Malern die Schüler Bilder zu Ende gemalt oder angelegt hatten, so gab es auch in der Shakespeare-Zeit das kollektive Schreiben. Ich habe das mal überprüft anhand eines Gespräches mit der Chefin von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten": Die Methodik des gemeinsamen Stückeschreibens ist heute ziemlich identisch mit der von vor 600 Jahren – fünf Leute schreiben ein Stück. Shakespeare hat einige Stücke in Kollaboration mit anderen Autoren geschrieben, ist aber in seinen wesentlichen Stücken ein Solo-Autor gewesen, das ist selbstverständlich. Aber die Verhältnisse waren nicht so, dass der große dramatische Künstler seine eigene Seele aufs Papier gebracht hat.
Wuttke: Sie schreiben ja auch sehr schön, man hat eben vor 450 Jahren – das machen wir heute auch – nicht jede Postkarte aufgehoben und jeden Einkaufszettel. Deshalb müssten wir uns nicht wundern. Ist es denn für Sie letztlich gut, dass der Mensch Shakespeare ein Buch mit sieben Siegeln geblieben ist?
Günther: Das finde ich ganz hervorragend. Stellen Sie sich vor, was man da alles nicht lesen muss. Stellen Sie sich vor, er hätte da jedes Jahr ein Handbuch geschrieben, wie er sich das Leben vorstellt, eine Art Autobiografie, ein Tagebuch. Es ist so wahnsinnig praktisch, dass wir nichts wissen von seiner inneren Biografie, von seiner Weltsicht, von seinen religiösen Überzeugungen, seinen politischen Überzeugungen, sondern wir haben nur seine Werke und alles, was wir wissen, ist in diesen Werken erzählt.
Wuttke: Und damit haben wir und Sie genug zu tun?
Günther: Ausreichend.
Wuttke: Just im Februar präsentierte eine Professorin aus Mainz mit Namen Hildegard Hammerschmidt-Hummel zwei Bildnisse und die Überzeugung: Das ist Shakespeare. Wird das nie aufhören?
Ein bislang unbekanntes Portrait des englischen Lyrikers William Shakespeare wird am 12. Februar 2014 in Mainz (Rheinland-Pfalz) präsentiert.
Ein angeblich bislang unbekanntes Shakespeare-Porträt wurde im Februar 2014 in Mainz präsentiert© picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Günther: Nein, das wird nie aufhören, weil dieser weiße Fleck auf der Landkarte, dieses fehlende Innenleben von Shakespeare, das fehlende Wissen um seine menschliche Dimension –, wie war er als Mensch, was für Liebesbriefe hat er geschrieben, welche Frauengeschichten hatte er, welche Abenteuer hat er privat erlebt – ... weil wir alles das nicht wissen, sondern nur die Stücke haben, ist der Reiz offenbar unbezwinglich und der Sog unwiderstehlich, Genaueres über die Person zu wissen. Man könnte boshafterweise sagen, dass das Interesse an der Person des Dichters Shakespeare größer ist als das Interesse an den Werken selbst.
Wuttke: Glauben Sie denn, dass, weil wir von Shakespeare letztlich ja doch so wenig Biografisches wissen, wir die Möglichkeit haben, tatsächlich das, was aus seiner Feder kam, wir ganz und gar auf uns selbst und auf die Welt beziehen können, anstatt dann wiederum – nicht nur die Literaturwissenschaftler, sondern auch die Hobby-Literaturwissenschaftler – nicht die Biografie Shakespeares mit seinen Werken verschränken müssen?
Günther: Das wird ja immer wieder versucht und immer wieder gemacht. Es gibt unglaublich viele Biografien, gerade in den letzten 10, 15 Jahren wurden sehr viele neue Biografien geschrieben, und man kann als Faustregel beim ersten Blick, ohne ein Wort gelesen zu haben, auf eine neue Shakespeare-Biografie sagen: Je dicker sie ist, desto mehr ist frei erfunden. Denn es gibt zwar sehr viel Wissen um sein bürgerliches Leben, seine Hauskäufe, seine Grundstücksgeschäfte, seine Geldverleihgeschäfte, wie er Malz gehortet hat, lauter solche Dinge sind bis ins Detail wirklich belegbar, und alles andere wissen wir nicht, und darauf gibt es keinerlei Hinweise, wo wir es hernehmen sollten.
Und so gehen die Leute her und nehmen also so ein Stück wie "Hamlet", und dann sagen sie, also hier hat er sein Leben ausgebreitet, Shakespeare ist Hamlet. Und dann kann man natürlich sagen: Wieso ist Shakespeare Hamlet und wieso ist er nicht Macbeth, der Massenmörder, oder so was? Also das sind alles Fiktionen und schöne Konstrukte, die man sich um Shakespeare herum bastelt, aber sie sind allesamt nicht belegbar.
Wuttke: Für die Bühne übersetzten Sie "Romeo auf dem Weg zur toten Geliebten" mit dem Satz "Tja, Julia, ich will heute bei dir schlafen – fragt sich nur, wie". Sind Sie immer so flockig?
Günther: Nein, aber ich kann Ihnen jetzt nicht mehr genau sagen, wie es auf Englisch hieß, aber der englische Satz ist durchaus etwas flockig, und er hat etwas, was ... Wenn Sie ihn so sagen, wirkt er sehr flockig. Aber wenn Sie ihn sagen, dass das mit einem tödlichen Galgenhumor gesagt ist, jemand, der weiß, dass seine Geliebte gestorben ist, sterben wird, dass er gleich sterben wird, dass er sich umbringen wird, dass das das Ende der großen Liebesbeziehung, das Ende seines Lebens und ihres Lebens ist, dann sagen Sie, glaube ich, nur im ganz schlechten Film "Oh mein Gott, Julia, ich möchte heute neben dir meine Seele verhauchen" – das ist Kitsch. Kein Kitsch ist es, was Shakespeare macht und was ich auf meine Form wiedergebe, nämlich diese Art von todgeweihtem Zynismus, einer todgeweihten Komik, die um das nahe Ende weiß.
Wuttke: ... sagt der Shakespeare-Übersetzer und Autor Frank Günther im Deutschlandradio Kultur im Monat, an dem vor 450 Jahren in Stradford-upon-Avon ein Kind auf den Namen William Shakespeare getauft wurde. Herr Günther, besten Dank!
Günther: Danke ebenfalls!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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