Bioethik und menschliche Würde

02.07.2009
Der Philosoph Franz Josef Wetz erläutert in "Baustelle Körper – Bioethik der Selbstachtung" alle Eingriffsvarianten in den menschlichen Körper, die durch die modernste Biotechnik möglich wurden. Darauf aufbauend diskutiert er ethische Fragen - auf der Suche nach einer Position, an der sich staatliches Handeln orientieren könnte.
Die Würde des Lebens ist antastbar und wird angetastet. Ist dies jedoch auch durch moderne Medizin und Biotechniken der Fall? Bedrohen patentierte Gene, Organentnahmen bei Hirntoten, Embryonenforschung, das Klonen von Menschen, Präimplantationsdiagnostik, Genomanalysen, Eingriffe in das menschliche Erbgut, Neuroimplantate, Schwangerschaftsabbrüche und Sterbehilfe einen dem ungeborenen und geborenen Menschen innewohnenden Wert? Wer das ausloten möchte, muss den Begriff "Menschenwürde" zunächst definieren. In seinem neuen Buch "Baustelle Körper" sucht Franz Josef Wetz, Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd und Autor zahlreicher Bücher und Rundfunksendungen zu philosophischen Fragestellungen, nach einer Position, die in einer pluralen und säkularen Gesellschaft Leitbild staatlichen Handelns sein könnte.

Würde, so sagt der Autor, entsteht erst durch kulturelle Akte: im Umgang des Einzelnen mit sich und seinesgleichen und im Umgang des Staates mit seinen Bürgern. Nicht Ausgangspunkt, sondern Ziel des Handelns sei die Würde des Menschen – nur diese Auffassung wertet er im Vergleich zu religiös-christlichen oder vernunftphilosophischen Erwägungen, die dem Menschen eine Würde als Wesensmerkmal zusprechen, als weltanschaulich neutral. Auf dieser Grundlage macht sich Franz Josef Wetz in 15 Kapiteln an eine Einschätzung sämtlicher bioethischer Themengebiete, die derzeit die Gemüter erhitzen. Auf dem aktuellen Stand referiert das Buch Genpatentierung, Stammzellenforschung, Neurochirurgie und Transplantationswesen. Wissenschaftliche und rechtliche Aspekte präsentiert der Autor lesbar und übersichtlich; die Argumentationen von Kritikern der Gen- und Biotechnologie sind ihm vertraut.

Neutral, sachlich, ideologiefrei - wie er immer wieder betont - kommt der Autor nach ausführlichen Pro- und Kontra-Erwägungen schließlich zu einem erstaunlich homogenen Ergebnis: Die Politik sollte fast alles gestatten, was medizintechnisch möglich ist, weil fast nichts davon die "Würde des Menschen als Gestaltungsauftrag" verletze: Genpatente fügen niemandem Schmerzen zu, ebenso wenig der Verbrauch von Embryonen in der Forschung. Gentechnisch optimierte Kinder können glückliche Menschen werden. Fremdnützige Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Patienten ist sinnvoll. Konservierte Leichen in Ausstellungen zu präsentieren, schadet niemandem, der Schaden empfinden könnte. Aktive Sterbehilfe mindert Leiden.

In seiner Argumentation blendet der Philosoph ganze Aspekte systematisch aus: So gut wie gar nicht ist in seinem Buch die Rede von sozialen und politischen Implikationen - die in politische Entscheidungen sehr wohl einfließen müssen. Gar nicht ist die Rede von den Schattenseiten des technischen Zugriffs auf die Welt - Franz Josef Wetz kann darin nur neurotische Zukunftsängste erkennen. Die Medizinverbrechen des Nationalsozialismus verurteilt er selbstverständlich scharf - dass sich ihre Ergebnisse jahrzehntelang fugenlos in die medizinische Forschung einspeisten und was das in der Analyse bedeutet, geht an Wetz vorüber.

In den Kapiteln über Embryonen sucht man das Wort "Frau" vergebens – erstaunlich für einen Autor, der antritt, Menschenwürde aus menschlichen Lebenszusammenhängen heraus zu generieren. "Baustelle Körper" bietet einen detaillierten Einblick in eine Position, die im Rahmen bioethischer Debatten mit Verve vertreten wird - das allein macht das Buch empfehlenswert. Die Position hat einen Namen: Utilitarismus. Für ideologiefrei hält sich diese Weltanschauung nur selbst.

Besprochen von Susanne Billig

Franz Josef Wetz: Baustelle Körper - Bioethik der Selbstachtung
Klett-Cotta, Stuttgart 2009
287 Seiten, 24,90 Euro