Bioethik

Auf dem Weg zum künstlichen Menschen?

Sensation im Mai 2010: Craig Venter präsentierte ein kleines Bakterium, dessen Erbmaterial vollständig im Labor zusammengebaut wurde.
Sensation im Mai 2010: Craig Venter präsentierte bereits damals ein Bakterium, dessen Erbmaterial im Labor zusammengebaut wurde. © picture alliance / dpa / J. Craig Venter Institute/ho
Moderation: Liane von Billerbeck · 28.03.2014
Ein internationales Forscherteam hat erstmals ein Hefe-Chromosom im Labor nachgebaut. Ist das der Anfang von künstlichen Tieren und Menschen? Dieser Frage stellt sich der Philosoph und Bioethiker Joachim Boldt.
Liane von Billerbeck: Im Mai 2010 präsentierte der streitbare Biowissenschaftler Craig Venter der Welt den ersten Organismus, dessen Erbmaterial vollständig im Labor zusammengebaut wurde: ein kleines Bakterium namens Mycoplasma. Etwa zur gleichen Zeit begann ein internationales Konsortium damit, das Gleiche auch mit der Hefe zu machen. Auch die Bäckerhefe sollte ein synthetisches Genom erhalten.
Noch ist die synthetische Hefe nicht fertig, aber heute stellte das internationale Forscherteam in der Zeitschrift "Science" das erste künstlich nachgebaute Hefechromosom vor, ein kleiner Teil des Hefe-Erbmaterials, gewissermaßen die erste von 16 Etappen.
Das Hefechromosom aus dem Labor ist jetzt mein Thema im Gespräch mit Dr. Joachim Boldt, der Philosoph und Bioethiker ist stellvertretender Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und jetzt am Telefon. Herr Boldt, ich grüße Sie!
Joachim Boldt: Ja hallo, guten Tag!
von Billerbeck: Bäckerhefe - wenn ich mir die im Kühlschrank ansehe, dann sieht die mir nicht gerade ähnlich, aber offenbar ist die Hefe näher an Pflanze, Tier und Mensch als am Bakterium. Ist das also der Anfang von künstlichen Tieren und Menschen?
Boldt: Ja, noch nicht wirklich, denke ich, aber natürlich, es ist ein kleiner Schritt weiter vielleicht in Richtung auf, ja, Tiere und Menschen, als es jetzt das Bakterium war, das Craig Venter vor vier Jahren mit einem künstlichen Genom ausgestattet hat. Jetzt sind wir bei einem Organismus der Hefe, der schon einen Zellkern hat, immer noch einzellig, aber mit Zellkern, also eine etwas höhere Stufe der Komplexität - das auf jeden Fall, ja.
"Das ist ein Feld, was sehr wächst"
von Billerbeck: Sie haben Craig Venter erwähnt, vier Jahre - das ist ja ein ziemlich rasantes Tempo. Gewinnt die Entwicklung dieser synthetischen Biologie da an Rasanz?
Boldt: Also man sieht, wie viel Rasanz in diesem Feld schon immer enthalten war, würde ich denken. Das ist ein Feld, was sehr wächst, junge Forscher anzieht, sehr enthusiastische Forscher anzieht, und dieser neue Erfolg ist ein Beleg dafür, dass da so eine Dynamik drin ist in diesem Feld.
von Billerbeck: Nun sind ja die Schritte, bis man etwas kann, bis man zum Beispiel künstlich Menschen erschaffen kann, das scheint ja noch zu dauern, das ist ja immer nur graduell, was wir da so konstatieren. Und Hefe, habe ich nun gelernt, ist uns ähnlicher als ein Bakterium, aber immer ja noch sehr unähnlich. Als nächstes wäre dann was dran, künstlich erschaffene Pflanzen?
Boldt: Ja, das wäre so die Stufenfolge, die man sich vorstellen könnte, ja, die künstlich erschaffen ... oder was heißt künstlich erschaffen, also eine Pflanze mit einem synthetisch erzeugten Genom, so müsste man sagen, und dann vielleicht ein Tier und dann vielleicht der Mensch, aber das ist nun wirklich Science-Fiction, da sind wir bei der Hefe noch bei einem Organismus, der für uns dann vielleicht viele nützliche Dinge produzieren kann, aber uns selbst ja dann doch noch sehr unähnlich ist.
Welche Visionen wirklich beunruhigend sind
von Billerbeck: Trotzdem ist es schon so ein bisschen beunruhigend. Das ist so ein Schritt auf so einer Leiter, und Sie sagen so selbstverständlich, Pflanze, Tier und irgendwann ein Mensch, auch vielleicht, wenn es noch dauert. Beunruhigt Sie das gar nicht?
Boldt: Also wenn ich jetzt diese konkreten Forschungsergebnisse ansehe, dann beunruhigt mich das nicht. Was mich eher beunruhigt, ist so ein wenig vielleicht auch die große Vision, die auch bei manchen der Forschenden im Bereich der synthetischen Biologie mit dem eigenen Forschungsfeld verbunden wird. Also es gibt ein jetzt relativ aktuell neues Buch von George Church, einem Forscher aus den USA, der hat sein Buch genannt "Regenesis"; also die Neuerschaffung der Welt mithilfe der synthetischen Biologie.
Das bezieht sich dann auf die Idee, dass, wenn man das so ein wenig ins Große denkt, man doch eben tatsächlich sich überlegen könnte: Ja, wenn wir so von Grund auf Genome neu und selbst gestalten können, können wir denn dann nicht auch im größeren Maßstab uns überlegen, wie die Natur eigentlich aussehen sollte, die uns am angenehmsten ist? So etwas. Und das ist eine Vision, die setzt ein sehr, sehr großes Vertrauen in die Weisheit des Menschen, die man nicht unbedingt teilen muss, würde ich denken.
Also wir sind selber Natur, wir leben in der Natur und mit der Natur, und diesen archimedischen Punkt, von dem aus wir beurteilen wollen, könnten vielleicht, wie denn die Natur als Ganzes am Besten aussehen sollte, den haben wir nicht, den gibt es nicht, sodass ich denke: Von diesen Visionen sollten wir uns ein bisschen frei machen und, ja, Schritt für Schritt vorgehen und uns immer genau überlegen, welchen Nutzen, welchen Schaden kann der nächste Schritt, den wir da machen, denn dann haben?
"Mit welcher Rechtfertigung?"
von Billerbeck: Mein Eindruck ist ja auch immer, dass man versucht, Mikroorganismen, Chromosomen et cetera zu züchten, denen man bestimmte Eigenschaften wegzüchtet und dafür bestimmte andere zuzüchtet, das heißt, die einen Sinn haben. Leben hat doch aber eigentlich nur den Sinn, sich selbst zu erhalten und soll jetzt nicht nur Maschine werden. Ist das genau die Frage, die Sie meinen?
Boldt: Ja, also das ist vielleicht ein Teil der Frage. Was wir natürlich versuchen jetzt im Fall der Bakterien, aber auch der Hefen dann, ist, die so zu ändern, dass sie möglichst effizient für uns bestimmte Stoffe produzieren können. Sie haben immer einen Stoffwechsel, auch von sich selbst aus, und produzieren immer Stoffe. Wir versuchen, diesen Prozess für unsere Zwecke zu optimieren, das heißt, wir setzen diesen Lebewesen Zwecke, die sie selber so zunächst noch nicht haben, wenn man von Zwecken im Bereich dieser einfachen Organismen da sprechen will. Wir geben denen etwas vor.
Das klappt bei diesen einfachen Organismen gut, da gibt es ja auch keine großen jetzt Streitpunkte im Hinblick darauf, ob wir so etwas dürfen sollten oder nicht. Aber wenn man sich das eben ins Große übersetzt vorstellt, dann ist wirklich die Frage: Ja, mit welcher Rechtfertigung wollen wir denn der Natur als Ganzer und damit auch uns selber eigentlich ein für allemal vorgeben, was unsere Zwecke sein sollen?
Da, denke ich, braucht es auch ein bisschen Offenheit und vielleicht auch Vertrauen darauf, dass das, was uns die Natur selber zuliefert, etwas Gutes sein kann. Und da ist die synthetische Biologie sehr getragen von so einer Vision, dass wir die Weisheit und die Fähigkeit besitzen, diese Vorgaben eben von uns selber aus machen zu können.
Selbstbild des Menschen
von Billerbeck: Sie haben es ja erwähnt: Der Mensch ist Teil der Natur und es stellt sich ja auch die Frage nach dem Selbstbild des Menschen. Also gehören wir zur Natur oder betrachten wir sie als außerhalb existierend oder uns darüber erheben könnend?
Boldt: Ja, und da hat man manchmal den Eindruck - und das ist vielleicht natürlich aber auch ein bisschen, ja, PR in eigener Sache -, dass gerade in den USA einige der Forscher doch aber sehr dieses Bild verinnerlicht haben, dass sie jetzt als neue Schöpfer der Natur auftreten können und dass es da in dieser Hinsicht, auch, was die eigene Fehlbarkeit angeht, keine Grenzen gibt.
von Billerbeck: Das holt uns doch aber vielleicht am Ende irgendwann ein, dass auch Säugetiere künstlich erschaffen werden und man dann irgendwann vor der Frage steht: Machen wir es auch mit dem Menschen?
Boldt: Ja, also im Sinne von Science-Fiction - so würde ich das jetzt noch nennen, das ist das ja, wenn wir an Säugetiere und den Menschen denken, im Sinne von Science-Fiction - kann man sich diese Frage aber natürlich stellen. Also Science-Fiction hat auch immer etwas mit der Wirklichkeit der Wissenschaft jetzt schon zu tun, ist ein Weiterspinnen der Fragen, die sich da stellen, und es schadet nie, sich diese Fragen auch frühzeitig zu stellen, ja.
von Billerbeck: Und möglicherweise genug Fantasie zu haben.
"Der Komplexität der Natur Herr werden"
Boldt: Genug Fantasie und wer weiß denn dann wirklich, was kommt. Ja, vielleicht ist doch auch an einem bestimmten Punkt die Herausforderung, der Komplexität der Natur da Herr zu werden, so groß, dass die Forschung in diese Richtung in eine Sackgasse gerät. Jetzt offensichtlich der Übergang von der Bakterie zum Hefeorganismus, war noch nicht dieser Punkt, aber vielleicht kommt ja auch der, und dann brauchen wir in dieser Hinsicht dann auch nicht ganz so viel Angst vielleicht zu haben.
von Billerbeck: Das erste künstliche Hefechromosom aus dem Labor, ein Gespräch mit dem Bioethiker Joachim Boldt von der Universität Freiburg. Herzlichen Dank!
Boldt: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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