Bill Gates investiert in Berliner Startup

Ijad Madisch im Gespräch mit Britta Bürger · 20.08.2013
Berlins Startup-Szene träumt von einem eigenen Silicon Valley und schielt nach Kalifornien. Ausgesprochen erfolgreich war dabei Ijad Malisch. Der Gründer des Online-Unternehmens Research Gate, einem Portal für Wissenschaftler, hat 35 Millionen Dollar bei Bill Gates akquiriert.
Britta Bürger: Vom Latte Macchiato trinkenden Laptop-Bediener zum Milliardär, so das Klischee der Berliner Startups-Szene, die zwar weiterhin Zulauf aus allen Richtungen bekommt, doch noch immer darauf wartet, den ersten Milliardendeal zu präsentieren. Millionen fließen allerdings schon: Anfang Juni hat sich Bill Gates entschlossen, das Projekt Research Gate mit 35 Millionen Dollar zu unterstützen. Gründer dieses Berliner Startup-Unternehmens ist der Virologe und Informatiker Ijad Madisch. Schönen guten Tag, Herr Madisch!

Ijad Madisch: Hallo!

Bürger: Was genau bietet Ihr Portal Research-Gate?

Madisch: Wir sind ein Online-Netzwerk für Wissenschaftler. Wir versuchen, Wissenschaftler weltweit und in Echtzeit zu verbinden, um halt mehr wissenschaftliche Durchbrüche zu ermöglichen.

Bürger: Drei Millionen Wissenschaftler sollen sich weltweit bereits bei Ihnen registriert haben, eine Million Forscher nutzen das Portal aktiv, habe ich gelesen. Was haben die Wissenschaftler davon? Sind die nicht ohnehin längst alle miteinander vernetzt?

Madisch: Das ist ein Fehlglaube. Wissenschaftler sind gerade nicht miteinander vernetzt. Häufig ist man in seinem eigenen Labor, in den eigenen vier Wänden, kennt nur die Leute, die um einen herum arbeiten, aber eigentlich nicht die Leute, die man auch kennen sollte, vor allem auch aus komplett anderen Disziplinen. Research Gate bietet genau diese Möglichkeit, mit anderen Forschern sich zu vernetzen, sich selber zu präsentieren: Woran arbeite ich, was sind die Projekte, an denen ich gerade forsche, was für Publikationen habe ich, und vor allen Dingen, wie kann ich meine Expertise anderen Leuten in irgendeiner Weise hilfreich darstellen oder zeigen, sodass andere Leute auf mich zugreifen können, ich mit denen zusammen Probleme lösen kann.

Bürger: Aber ist im Wissenschaftsbetrieb nicht Geheimhaltung oberstes Gebot? Also, hier geht es oftmals auch um enorme Summen. Es gibt eine Riesenkonkurrenz um Forschungsgelder. Warum sollten Wissenschaftler ihre Ergebnisse – auch ihre Misserfolge unter Umständen – mit anderen teilen?

Madisch: Ja, es sind jetzt viele, viele Punkte, die Sie in diesen einen Satz unterbringen, und es sind auch viele interessante Punkte. Zum einen, würde ich sagen, müssen Wissenschaftler umdenken, das ist eine ganz wichtige Sache. Wissenschaftler haben in der Vergangenheit immer gedacht: Oh, das, was funktioniert im Labor, ist ein Ergebnis. Aber alles das, was auch nicht funktioniert, ist auch ein Ergebnis. Wir produzieren ganz viele Negativdaten, die wir nicht veröffentlichen, und somit dann auch viele, eine hohe wissenschaftliche Redundanz haben, Dinge, die wir immer wieder tun, obwohl irgendwer auf der Welt weiß, dass es nicht funktioniert. Das Problem, was wir ja auch verändern wollen, wie ich das auch sehe, ist, dass Forscher viel früher mit ihren Ergebnissen an die Öffentlichkeit gehen müssen, dass das uns allen helfen würde, und wir auch viel schneller Therapien für bestimmte Erkrankungen oder auch andere Bereich der Wissenschaftswelt viel schneller beforschen und Ergebnisse erzielen könnten, wenn Forscher viel offener wären. Und diese Veränderung des Denkens ist ja unser Ziel. Wir wollen, dass Wissenschaftler - das ist ja Jahrhunderte schon so, wie sie arbeiten, das hat sich ja nicht verändert, das ist schon immer so gewesen, auch teilweise beeinflusst durch die Religion et cetera - das wollen wir: diese Art Revolution wollen wir induzieren.

Bürger: Können Sie an einem Beispiel beschreiben, wie Wissenschaftler über Research Gate bereits weitergekommen sind?

Madisch: Ja, wir haben zahlreiche Beispiele: Wir haben einen Wissenschaftler aus Nigeria, der zusammen mit einem Wissenschaftler in Italien kollaboriert hat. Die sich auf Research Gate gefunden haben, also die kannten sich vorher nicht. Und es ist ein Kind in Nigeria gestorben. Der Forscher in Nigeria hat sich gewundert, warum dieses Kind gestorben ist an einer Infektionserkrankung, und hat dann die Proben dieses Kindes nach Italien geschickt. Und der italienische Forscher hat sie analysiert und hat einen neuen Typen einer Hefe – also Hefe ist auch ein Infektionserreger – entdeckt, der eigentlich nur Pflanzen infiziert, also eigentlich macht der nur Pflanzen krank, und nicht Menschen. Scheinbar ist der jetzt mutiert und macht jetzt auch Menschen krank. Jetzt fangen sie an, das zu analysieren und versuchen natürlich jetzt auch, über Therapien nachzudenken. Diese Information, diese Verbindung zwischen dem nigerianischen Forscher Emanuel und dem italienischen Professor Horatio wäre nie zustande gekommen ohne Research Gate. Wir haben zig weitere Beispiele aus der Mathematik, Physik, Krebsforschung, über Energieforschung et cetera, die ähnliche Erfolge darstellen.

Bürger: Sie selbst hätten als Virologe Karriere machen können, was treibt Sie persönlich jetzt zu diesem anderen Weg an, und warum ist Berlin für Sie der richtige Ort?

Madisch: Ja, ich glaube, ich war schon immer ein bisschen größenwahnsinnig. Ich wollte immer irgendwas ganz Großes machen. Ich habe lange auch Forschung gemacht und war da auch immer angetrieben, was zu erreichen, was noch keiner geschafft hat. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich glaube, mit dem was ich kann, in der Wissenschaftswelt mehr verändern kann, wenn ich dieses Netzwerk aufbaue. Ich war ja schon immer sehr interessiert zwischen Mensch und Informatik und Computer, und das passte dann irgendwie. Wie gesagt, habe ich aus persönlichen Erfahrungen gemerkt, dass Forscher halt nicht gut kommunizieren. Wir haben uns dann, als das Netzwerk begonnen hat – wir sind ja dann erst … ich bin ja erst nach Deutschland zurückgekehrt, dann mit meinem Professor zu dem Zeitpunkt …

Bürger: Aus den USA?

Madisch: … aus den USA, das war 2008. Ich wollte es eigentlich von hier aus aufbauen, aber mein Professor hat mir keine halbe Stelle gegeben in der Klinik. Er meinte, ich solle mich auf meine akademische Karriere konzentrieren und nicht diesen Firlefanz machen. Ich habe mich dann entschieden, zurück nach Amerika zu gehen vor drei Jahren, und da angefangen, es aufzubauen. Und jetzt, vor zwei Jahren, sind wir dann zurückgekehrt, eine der wenigen Startups, die eigentlich aus Amerika wieder zurückkehren mit diesem Rieseninvestment. Berlin ist der perfekte Platz, um …

Bürger: Warum?

Madisch: Warum? Erstens, hier ist sehr viel Talent. Die Berliner Szene ist ja so ein bisschen in Verruf geraten, als man gesagt hat: Oh, es gibt nur Ideen, die kopiert werden. Was aber passiert ist durch diese Startups, ist, dass wir ein Ökosystem aufgebaut haben mit sehr viel talentierten Programmierern, mit talentierten Arbeitern, die in diesem Bereich etwas bewegen wollen. Berlin ist der perfekte Platz dafür, die Kombination aus kultureller Vielfalt, Kunst – was viele Leute immer nicht verstehen, dass Kunst auch sehr viel was mit Entrepreneurship zu tun hat –, und dann diese Talente, die noch nicht diesen großen Erfolg hatten, die sind noch sehr hungrig. Diese Kombination ist maßgeblich dafür, dass wir gesagt haben, wir möchten nach Berlin kommen und möchten den ersten großen Erfolg in Berlin hier aufbauen.

Bürger: Sie haben ja Erfahrung in den USA zuvor gesammelt. Gibt es denn in Berlin diese spezielle amerikanische Art des Ehrgeizes, also das, was Menschen wie Mark Zuckerberg, Jeff Bezos oder Bill Gates antreibt? Ist die Berliner Gründerszene nicht doch eher so eine Art digitaler Bohème, in der mehr der coole und relaxte Lebensstil zählt als das knallharte und ernste Big Business?

Madisch: Also Sie können, sind herzlich eingeladen, bei uns mal ins Office zu kommen. Ich würde sagen, wir sind keine Mark Zuckerbergs oder Bill Gates, wir sind anders. Aber wir versuchen, das beste aus der USA, was ich da gelernt habe in der Zeit, als ich da war, zu kombinieren mit den Dingen, die uns Deutsche in irgendeiner Art und Weise auch immer ausgezeichnet hat. Und ich glaube, deswegen hat Research Gate so große Chancen, Erfolg zu haben. Ich sage hier nur zwei Beispiele: Ein Beispiel ist, jeder Mitarbeiter, der bei uns arbeitet, bekommt Anteile an der Firma, an der er auch arbeitet. Typisches Modell in den USA, in Deutschland hat sich das noch nicht durchgesetzt. Wir sind da auch relativ alleine auf weiter Flur. Das zweite ist, das wir einen Gamefloor haben, also eine Ebene bei uns im Office, im Büro, in dem eine Tischtennisplatte steht, Schlafräume sind, Billard, Kicker, Air-Hockey, es gibt kostenloses Essen jeden Tag für alle Mitarbeiter, sie können aus drei Gerichten wählen, wir werden jetzt auch bald einen Koch einstellen – das ist etwas, was ich natürlich in den USA gelernt habe und das mitbringe, und auch nicht kontrolliere, wann die Leute das nutzen, und wann nicht. Weil der Erfolg und das gemeinsame Ziel, dass wir etwas in der Welt verändern wollen, treibt alle an, und hoffentlich werden wir genau die sein, die Sie eben benannt haben, einer dieser ganz Großen.

Bürger: Berlins Startup-Unternehmen träumen vom nächsten Silicon Valley, doch warten noch viele auf spendable Investoren. Bill Gates hat gerade einen ersten Schritt nach Berlin gemacht, 35 Millionen Dollar investiert er in das Unternehmen Research Gate, und dessen Gründer Ijad Malisch ist heute unser Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Wie sind Sie überhaupt an Bill Gates und seine Millionen herangekommen?

Madisch: Ja, das ist eine etwas längere Geschichte. Es war so, dass – um es kurz zusammenzufassen –, ich habe jemanden kennengelernt durch einen meiner Investoren, der die rechte Hand von Bill Gates ist, der ihn auch berät. Ich bin dann nach Seattle geflogen und musste sozusagen erst mal ihn überzeugen. Er war innerhalb von einer halben Stunde hin und weg von der Idee und von dem, was wir auch schon erreicht haben. Er selber war auch ein Fan von Berlin, also die rechte Hand von Bill Gates – Boris ist sein Name. Und ich habe dann sofort von Boris gesagt bekommen, dass ich nächste Woche oder übernächste Woche Bill treffen soll. Und dann kam dann, ja, hat das ein bisschen gedauert, bis wir dann einen Ort finden, wo wir uns treffen und dann haben wir uns in Frankreich eine Woche später getroffen, und dann kam eines zum anderen.

Bürger: Kommen wir noch mal zurück auf die Berliner Szene: Wie unterscheidet die sich denn vom legendären Silicon Valley?

Madisch: Also erst einmal glaube ich, dass der größte Unterschied ist, dass die Gründer in Deutschland eine andere DNA haben als die Gründer in den USA. Die Gründer in Deutschland kommen häufig aus den sogenannten Business Schools. Und Business-School-Absolventen haben jetzt nicht häufig die DNA einer Person, unbedingt innovativ sein zu wollen. Die wollen – was auch legitim ist – ein System, was es gibt, genau so noch mal aufbauen, halt ein bisschen kosteneffizienter vielleicht. Also irgendwas kopieren, was funktioniert, aber halt sehr kosteneffizient aufbauen. Und das sieht man schon, dass diese Szene, wenn man rückblickend sich Berlin mal anschaut, sehr stark von diesen Leuten geprägt war. Und das ist etwas, was in Amerika anders ist. Häufig kommen die Gründer aus der jeweiligen Industrie, weil sie ein Problem sehen in dieser Industrie, die sie dann verändern wollen, oder weil sie ein Problem, was sie im normalen Leben irgendwie gemerkt haben, ändern wollen. Das unterscheidet uns auch, wie gesagt – Research Gate –, im Vergleich zu vielen deutschen Startups. Das ist, dass wir das aus meinen eigenen Problemen im Forschungsbereich, dass ich das gemerkt habe, dass Forscher nicht gut kommunizieren. Wir dann angefangen haben, das aufzubauen, um das Problem zu lösen.

Bürger: Ijad Madisch über die Zukunft der Berliner Startup-Szene, zumindest hat er für sein Wissenschafts-Projekt Research Gate jetzt schon mal eine schöne Finanzspritze von Bill Gates bekommen. Danke, Herr Madisch, für das Gespräch.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.