Bildung

"Wir hoffen, dass das jüdische Leben erblüht"

Rabbiner Walter Homolka im Gespräch mit Christine Watty · 19.11.2013
Die Universität Potsdam hat als erste in Deutschland ein Institut zur Ausbildung jüdischer Theologen eingerichtet. Sein Direktor, der Rabbiner Walter Homolka, freut sich über Studenten aus der ganzen Welt.
Christine Watty: Fast 200 Jahre alt ist die Forderung der Gleichstellung der jüdischen Theologie mit den christlichen Theologien an deutschen Universitäten. Und erst jetzt wird sie erfüllt mit der Eröffnung des Studienganges Jüdische Theologie an der Uni Potsdam. Jetzt ist Walter Homolka Rektor des Rabbinerseminares am Berliner Abraham-Geiger-Kolleg beschäftigt mit den Vorbereitungen für den Festakt heute Abend. Heute Vormittag aber war er bei uns, und wir haben ihn zuerst gefragt, wieso eigentlich hat das so lange gedauert, die jüdische Theologie als Studienfach zu etablieren.
Walter Homolka: Ja, das ist eine gute Frage. Im 19. Jahrhundert lag es sicherlich daran, dass weder Staat noch Kirche ein Interesse daran hatten, dass sich die jüdische Theologie als Fach in der Universität etabliert.
Watty: Wenn wir aber zurückgucken, es gab ja dann doch vor dem Ersten Weltkrieg zumindest schon erste Initiativen, die jüdische Theologie zu etablieren, auch wenn sich das dann nicht durchsetzen konnte. Wer war denn auf der Seite der jüdischen Theologie, wenn wir so weit in der Historie zurückschauen?
Homolka: Einer der ersten, der das gefordert hat, war Abraham Geiger. Der hat 1830 das erste Mal davon gesprochen, 1836 einen richtungsweisenden Aufsatz geschrieben über die Forderung nach einer jüdisch-theologischen Fakultät. Und das hat dann aber noch viele Jahrzehnte gedauert. 1854 gab es dann die erste Gründung eines privaten Seminars, des jüdisch-theologischen Seminars in Breslau. Da wurde Abraham Geiger übergangen als Direktor. Und er kam dann 1872 zum Zug bei der Gründung der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, die hat er dann noch zwei Jahre leiten dürfen, bevor er dann starb. Also zumindest das Lebenswerk Abraham Geigers können wir hier vollenden.
Mehr als 50 Jahre ohne Rabbiner-Ausbildung in Deutschland
Watty: Wir bleiben trotzdem noch ein bisschen in der Geschichte, bevor wir auf das Heute schauen. Dann gab es natürlich den großen Bruch, der Zweite Weltkrieg, den Holocaust. Wie erfolgten denn daraufhin die ersten Schritte in die Richtung, jüdische Lehre in Deutschland zu etablieren?
Homolka: Also, diese beiden Einrichtungen sind ja nicht wirklich an der Universität gewesen, sondern man hat ein duales System verfolgt. Die Kandidaten haben ihr Studium an der Universität Breslau oder an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin gemacht, meistens Orientalistik oder irgendein verwandtes Fach, und haben dann das Seminar eben absolviert. Im dritten Reich sind diese Seminare geschlossen worden. 1938 das Breslauer und 1942 die Berliner Hochschule, die dann schon Lehranstalt hieß, weil sie ja heruntergestuft wurde von den Nazis. Und damit war die Tradition der Rabbinerausbildung in Deutschland unterbrochen bis 1999. Da haben wir das Abraham-Geiger-Kolleg gegründet, auch erst an der Universität Potsdam, also in diesem selben dualen System, wo Studierende den Studiengang Jüdische Studien absolviert haben an der Universität Potsdam und parallel dazu das Abraham-Geiger-Kolleg besuchten.
Oliver Günther (r), Präsident der Universität Potsdam, und Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham Geiger Kollegs, vor dem Auditorium Maximum der Universität Potsdam.
Oliver Günther (r), Präsident der Universität Potsdam, und Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham Geiger Kollegs, vor dem Auditorium Maximum der Universität Potsdam.© dpa/ picture alliance / Ralf Hirschberger
Watty: Die Tradition der Rabbiner-Ausbildung war lange unterbrochen. Es gab aber natürlich die ganze Zeit zum Beispiel das Studium der Judaistik. Was ist denn der genaue Unterschied zwischen dem Studienfach Jüdische Theologie und der Judaistik?
Homolka: Ich glaube, die Gründung der judaistischen Lehrstühle so in den 50er-Jahren ist darauf zurückzuführen, dass man sich nach der Shoa in Deutschland bewusst wurde, welche Tradition hier zerstört worden ist. Das war also ein wissenschaftliches Interesse, dem philologisch und später durch die jüdischen Studien in den 80er-Jahren auch kulturwissenschaftlich sich anzunähern. Aber ich glaube, es ist korrekt zu sagen, dass das eine Außensicht ist. Die jüdische Theologie ist die Innensicht. Also die Sicht derer, die diese Religion lebendig leben und die ja dann auch als Rabbiner und Kantoren in der Gemeinde tätig werden. Insofern ist das eine ähnlich unterschiedliche Perspektive wie zwischen Theologie und Religionswissenschaft.
Watty: Nachdem Sie uns so ausführlich in diese Geschichte noch mal eingeführt haben, kann man eigentlich wirklich schwer verstehen, warum es dann jetzt noch mal so einer großen Anstrengung bedurft hat, jüdische Theologie als Studienfach zu etablieren. Und es musste in Brandenburg sogar das Hochschulgesetz geändert werden, damit dieses Fach nun stattfinden kann. Was waren denn konkret diese Schwierigkeiten?
Homolka: Ich glaube, der Ansatz für die jetzigen Veränderungen ist in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 2010 zu sehen. Damals hat sich der Wissenschaftsrat überlegt, was ist denn überhaupt die Rolle der religionsbezogenen Wissenschaften an der deutschen Universität. Und es hat manche erstaunt, dass der Wissenschaftsrat gesagt hat, nein, Theologie ist ein wichtiger Bestandteil der deutschen Universitätslandschaft. Und das war der Einstieg in die islamische Theologie. Viele werden sich noch erinnern, dass jetzt auch in den letzten Jahren vier islamische Zentren entstanden sind, die für die Imam-Ausbildung zuständig sind. Und für uns war das dann der Grund zu sagen, wenn dieses Privileg der geistlichen Ausbildung nun auch Muslimen gewährt wird, dann ist das auch der Moment, die Hand zu heben und zu sagen, also für die Rabbinerausbildung soll doch Ähnliches gelten. Und insofern wurde diese Idee Abraham Geigers neu virulent, und wir haben sie in den drei Jahren seit diesen Empfehlungen dann umgesetzt. Sie haben schon drauf hingewiesen, das ist ein holpriger Weg gewesen. Das hat natürlich Gründe in der Frage der Finanzierung. Hier sind wir dem Bund sehr dankbar, der die ähnliche Anschubfinanzierung zur Verfügung gestellt hat, wie er das bei den islamischen Zentren gemacht hat. In der Tat war das Land Brandenburg zunächst nicht munitioniert, dieses Thema sofort aufzugreifen, weil es gar keine Theologie gibt an Brandenburgs Hochschulen und deswegen das Hochschulgesetz auch nicht vorsah, die konfessionsspezifische Berufung – ich denke, eine Lösung hat sich abgezeichnet, als der Landtag eine Resolution verabschiedet hat, Rabbinerausbildung in Brandenburg stärken, dass nämlich der Landtag wünscht, dass diese Probleme angegangen werden, dass die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, und auch eben diese Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht werden.
Hälfte der Studenten sind Nichtjuden
Watty: Walter Homolka, Rektor des Rabbiner-Seminars am Berliner Abraham-Geiger-Kolleg im Radiofeuilleton im Deutschlandradio Kultur. In Potsdam kann man also jetzt jüdische Theologie studieren. Wie groß ist denn bisher das Interesse an diesem Angebot?
Homolka: Wir haben ja 46 Studienplätze für diesen neuen Studiengang eingerichtet und hatten 47 Einschreibungen, sodass wir im Prinzip bummvoll sind.
Watty: Wer sind denn die Studenten? Sind es jüdische Studenten oder nichtjüdische Studenten?
Homolka: Also es ist fifty-fifty. Wir haben Studierende im Rabbinerseminar und Kantorenseminar. Das heißt, das sind Menschen, die sich fürs geistliche Amt vorbereiten. Einige sind ja noch in der alten Studienordnung. Bei 47 Studenten kann man also etwa sagen, 50 Prozent der sich jetzt Einschreibenden sind entweder Juden, aber wollen das nicht beruflich aufs geistliche Amt hinführen, oder es sind Nichtjuden. Und es sind auch aus aller Herren Länder Studierende da, von Uruguay bis Serbien und von Schweden bis Spanien.
Watty: Wie schätzen Sie denn diese neue, junge Generation ein, die Sie natürlich dann auch ansprechen. Zeigt die ein großes Interesse am Judentum oder zeigt die sich eher übersättigt von dem, was sie in der Schule über den Holocaust erfahren haben und ist deswegen eher zurückhaltend?
Homolka: Wir haben ja schon Erfahrungen durch den Studiengang Jüdische Studien, an dem ich ja auch mitgewirkt habe. Insofern glaube ich, dass man schon sagen kann, das ist etwas, was junge Menschen interessiert weit über die Frage hinaus, was man dann später beruflich damit machen kann. Bei unserem Studiengang ist das ja anders. Wir haben ja eine klare spezifische Berufsvorgabe. Und hier muss man sagen, junge Juden studieren das, um sich ihrer Identität deutlicher bewusst zu werden, auch um einen Beitrag zu leisten für die Gesundung der jüdischen Gemeinden hier in Europa. Das ist gerade in Osteuropa noch ein ganz offenes Feld, und hier kommt uns, glaube ich, sehr zugute, dass Deutschland ja keine Studiengebühren kennt, und damit ist diese Ausbildungsform in Deutschland hochinteressant für, würde ich sagen, ganz Kontinentaleuropa und auch Lateinamerika oder das südliche Afrika, wo wir auch Studierende haben. Und deswegen haben wir hier ein ziemlich gutes Alleinstellungsmerkmal.
Sechs Lehrstühle: von jüdischer Musik bis zum Recht
Watty: Was ist Ihr Anliegen, also neben natürlich dem Angebot der konkreten Lehre in dem Fach der jüdischen Theologie. Also den Reichtum des Judentums zu zeigen, oder wie sehr spielt dann doch immer noch auch eine Rolle, diese Themen wie Juden in Deutschland, die Geschichte der Juden in Deutschland aufzugreifen und auch eben wieder diese Fragen beantworten zu müssen, ist es seltsam, dass jüdische Theologie jetzt ausgerechnet in Deutschland ihren Platz findet, wenn europaweit kein anderes Angebot dieser Art zur Verfügung steht?
Homolka: Es gibt ja in London ein Ausbildungsseminar, dass ich selbst besucht habe, das Leo-Beck-College. Wenn ich das jetzt vergleiche mit dem Angebot, das wir hier aufbauen konnten, unterscheidet es sich dramatisch. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, als ich da studiert habe, da waren sehr viele Lehrbeauftragte Gemeinderabbiner. Wenn da eine Beerdigung war, fiel eben der Unterricht aus. Aussuchen konnte man sich die Fächer auch nicht. Es gab ein sehr schmales Angebot, und insofern ist auch immer wieder die Frage zu stellen, können wir es leisten, dass den akademischen Anspruch, den Abraham Geiger hatte, auch wirklich mit Leben zu füllen. Und hier, in Potsdam, gibt es nun wirklich sechs Lehrstühle, die das Fach Jüdische Theologie in der geschichtlichen Dimension, in der philosophischen, in der historischen, aber auch in der rechtlichen abdecken. Da wird Liturgie unterrichtet, wir haben einen Professor für jüdische Musik. Also wir haben hauptamtlich Lehrende, die auch forschen und die damit das Fach jüdische Theologie überhaupt erst zur Entfaltung bringen.
Watty: Diese neue Studienmöglichkeit gilt auch, so hab ich zumindest gelesen, als Renaissance des Judentums in Deutschland. Würden Sie das auch unterschreiben, als Überschrift auch für die Etablierung dieses Studienfaches?
Homolka: Die Renaissance ist ja ein Wunsch, der noch sich entfalten muss. Ich vergleiche das eher mit einem Garten. Wir hoffen, dass das jüdische Leben erblüht. Dafür brauchen wir aber auch Gärtner, und diese Gärtner bilden wir aus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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